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Luther, Pornos, Gott ohne Geschlecht: Eine angehende Pfarrerin kämpft gegen das Patriarchat in der Kirche

Maike Schöfer ist angehende Pfarrerin - und Feministin

#DasGleicheBitte

Porträt Luther, Pornos, Gott ohne Geschlecht: Eine angehende Pfarrerin kämpft gegen das Patriarchat in der Kirche

von Sabrina Winter

Maike Schöfer bezeichnet sich selbst als Feministin und Christin. Sie will über Masturbation sprechen und vor dem Abendessen beten. Damit schwebt sie jahrelang zwischen zwei Welten, die unvereinbar scheinen - bis sie sich selbst einen Platz schafft, an den sie passt.

Maike Schöfer erzählt von einem Gespräch, das sie schon oft geführt hat. Es läuft jedes Mal etwa so ab:

"Du bist Religionslehrerin? So siehst du gar nicht aus", sagt jemand zu ihr.

"Wie sieht eine Religionslehrerin denn aus?", fragt Schöfer zurück.

"Naja, nicht so mit Lederjacke... Glaubst du denn auch an Gott?", fragt die andere Person.

"Ja", sagt Schöfer.

"Auch so richtig? Also jeden Sonntag in der Kirche?"

"Ja, so richtig."

Als sie davon berichtet trägt sie das, was sie gewöhnlich anhat: schwarze Lederjacke, goldenes Nasenpiercing, roter Lippenstift. Ihre blonden Haare sind so kurz geschoren, dass sie nur wenige Millimeter von ihrem Kopf abstehen. Während Maike Schöfer spricht, lauschen ihren Worten fast 100 Menschen vor ihren Computern. Sie hält einen Vortrag auf dem Ökumenischen Kirchentag. Dieses Jahr findet er online statt. Maike Schöfer ist eingeladen, um über theologischen Aktivismus im Netz zu reden. Als der Moderator sie vorgestellt hat, hat er davon gesprochen, dass sie in Berlin arbeite und in Potsdam lebe, dass man sie auf TikTok und Instagram unter dem Namen "ja und amen" finde, dass sie Bloggerin, Influencerin und angehende Pfarrerin sei. "Danke", sagt Maike Schöfer nach ihrer Einführung, "ein Wort hast du vergessen - nämlich: Feministin."

Kirche, Internet und Feminismus - wie passt das zusammen?

Maike Schöfer ist 31 Jahre alt und seit einem dreiviertel Jahr arbeitet sie nicht mehr als Religionslehrerin. Nach sieben Jahren hat sie gekündigt. Nun lässt sie sich zur Pfarrerin ausbilden. In der evangelischen Kirche heißt diese Vorbereitungszeit Vikariat. Doch der Berufswechsel hat nichts daran geändert, dass es manchen Menschen schwerfällt, ihr zu glauben, dass sie sich als Christin und Feministin versteht. "Mein Auftreten und mein Beruf irritieren und polarisieren", sagt Schöfer. Beides zu vereinen, kostete sie viel Kraft. In einem Post auf Instagram schreibt sie:

"Irgendwie passte ich nirgendwo ganz dazu. In meinem eher atheistischen Umfeld war ich zu christlich, zu fromm - in meinem christlichen Umfeld zu "weltlich" und nicht fromm genug."

Fast 20.000 Menschen folgen ihr auf der Foto- und Videoplattform Instagram. Dort hält sie regelmäßig Andachten, produziert Kurzvideos und spricht vor der Kamera über das, was sie bewegt. Wer über ihr Profil scrollt, findet Gedanken zu vielen Themen: Haare an den Beinen, Luther als Antisemit, Pornos, Bibel, Rassismus, Gott, wütende Mütter.

Maike Schöfer wächst in Bremen auf. Ihre Eltern lassen sie taufen, weil man das eben so macht. Sonst ist ihre Familie kaum religiös. Sie betet nicht, spricht nicht über Gott, im Bücherregal steht keine Bibel. Nur an Weihnachten betreten Maike und ihre Eltern die Kirche. Die Familie einer Freundin nimmt Maike Schöfer an Sonntagen mit in Gottesdienste, die Schöfer gefallen. Doch sie verfolgt viele Interessen. Als Jugendliche ist sie mal Punk, mal Gothic, tanzt mit hohen Absätzen durch Discos und hört gern HipHop. "Heute weiß ich, dass es ein großes Suchen war", sagt Schöfer über ihre Jugend. "Ich wollte gucken, wo ich hingehöre. Es gab keinen Anker für mich." Lange weiß sie nicht, ob sie studieren will oder nicht. Sie spielt gern Theater und überlegt, Schauspielerin zu werden. Der Religionsunterricht ist freiwillig in Bremen. Maike Schöfer nimmt nicht teil. Ihr Abitur schafft sie gerade so.

Nach der Schule zieht sie nach Berlin. "Ich dachte, dann studier' ich halt mal was. So wie das alle machen", erinnert sich Schöfer. Sie merkt: Um Schauspielerin zu werden, fehlen ihr Voraussetzungen, Kontakte und Geld. Für viele Studiengänge ist ihr Abitur zu schlecht. Das grenzt die Auswahl ein: Religionspädagogik oder naturwissenschaftliche Fächer kommen in Frage. "Dann habe ich mich für Religionspädagogik eingeschrieben. Meine Freunde haben gesagt: Irgendwie hast du dich doch schon immer für Religion interessiert - könnte passen."

Viele ihrer Mitstudierenden kommen aus christlichen Familien oder gar aus Pfarrfamilien. Sie haben viel Vorwissen. Maike Schöfer weiß nicht so viel. Sie klemmt sich ihre Konfirmationsbibel aus den 90er Jahren unter den Arm und stiefelt damit in die Seminare. Erst während des Studiums wird ihr klar, dass sie nur für die Kirche arbeiten kann. Das Studium zwingt sie, sich mit dem Sinn des Lebens zu beschäftigen, mit der Frage nach Gott und der Bibel. "Das habe ich gebraucht, um zu wachsen", sagt Schöfer heute über die Zeit. Ihre Familie und Freunde verstehen allerdings nicht, warum sie ausgerechnet Religionspädagogik studiert. Maike Schöfer spricht kaum drüber. "Es war mir peinlich zu sagen: Ich will gern beten und habe eine Sehnsucht zu Gott. Das klang ja irgendwie fanatisch - aus deren Perspektive", erklärt sie. Innerhalb von Berlin probiert sie verschiedene Gottesdienste aus und lernt Gemeinden kennen. "Da habe ich immer gedacht: Wo sind hier die jungen Leute? Wer ist hier so wie ich?" Willkommen fühlt sie sich nirgendwo.

Eigentlich hätte Maike Schöfer direkt nach dem Studium ein Vikariat beginnen und Pfarrerin werden können. Doch die Geistlichen kommen ihr so schlau und fromm vor. Sie zweifelt, ob sie auch so sein könne. Darum beginnt Schöfer als Religionslehrerin zu arbeiten. An ihrer Schule ist sie die einzige Christin. In Brandenburg ist das Fach freiwillig - genau wie in Bremen. Schöfer muss dafür werben, dass Kinder und Jugendliche zu ihr in den Unterricht kommen. Das kommt ihr seltsam vor, fast so, als müsse sie missionieren. Sie wolle aber niemanden überreden, sagt sie. Die Schule gibt ihr einen Raum ohne Tafel im Keller für Religionsunterricht.

Auch als Religionslehrerin begegnen ihr Vorurteile - zum Teil wegen ihres Aussehens, zum Teil wegen ihres Feminismus. In einem Blogeintrag schreibt sie darüber, wie Feminismus im Bildungsbereich fehlt:

"Ich brauche mal kurz vier starke Jungs die mir zwei Tische in die Aula tragen!" So oder ähnlich habe ich diesen Satz schon viele Male in der Schule gehört. Als ich noch selbst Schülerin war, aber auch jetzt als Lehrerin. Und schon damals habe ich mir gedacht: "Hallo? Können das nicht auch Mädchen?"

Im September 2020 beendet Maike Schöfer ihren Beruf als Lehrerin und beginnt ihre Ausbildung zur Pfarrerin. Erst arbeitet sie ein halbes Jahr lang für das Medienhaus der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Während der Ausbildung nimmt sie immer wieder an Seminaren der Landeskirche teil. Im März stößt sie zur Gemeinde am Lietzensee in Berlin-Charlottenburg. Dort organisiert sie Gottesdienste, hat einen Bibelkreis gegründet und ist als Seelsorgerin für die Mitglieder da.

Am Pfingstsonntag steht Maike Schöfer vor dem Mikrofon auf der Kanzel. Hinter ihr flattert ein Spatz an der Glasfront der Kirche entlang. Ein schweres Kreuz aus buntem Glas thront hinter dem Altar. Vor ihr sitzen etwa 30 Gemeindemitglieder auf Holzbänken. Die meisten von ihnen sind alt, tragen Anzüge, feine Stoffhosen und Strickjacken, und haben sich FFP-2-Masken über die Gesichter gezogen. Es ist das zweite Mal, dass Maike Schöfer vor der Gemeinde steht und eine Predigt halten wird. Sie trägt ein Talar, ein weites, schwarzes Gewand mit langen Ärmeln und weißem Halsstück. "Liebe Gemeinde, liebe Schwestern, liebe Brüder, haben Sie schon mal aus Holzklötzen einen Turm gebaut?", beginnt sie ihre Predigt. Dann erzählt sie von ihrem dreijährigen Sohn, davon wie beide im Kinderzimmer Türme so hoch bauen, bis sie einstürzen. Die Parallele zur Bibel ergibt sich fast von selbst: der Turmbauzu Babel. Maike Schöfer spricht über das Höher, Schneller, Weiter, den Wettbewerb und Hochmut heutiger Gesellschaften. Sie spricht über Mut, Kraft, Versöhnung und den Heiligen Geist. Ihre Predigt ist lebensweltlich. Feministische Themen oder Gedanken kommen jedoch nicht vor. "Die Predigt war sehr sanft", reflektiert sie nach dem Gottesdienst. Man müsse das Publikum im Kopf haben. Sie sei dankbar, dass die Gemeinde sie herzlich aufgenommen habe. Als Vikarin sei sie vor allem Lernende. Mit ihrer Ausbildung zur Pfarrerin folgt Schöfer dem klassischen, kirchlichen Weg. "Mein politisches Engagement kann ich in der Gemeinde gut zurückstecken", sagt sie.

Ihre Andachten auf Instagram sehen ganz anders aus. Eine Andacht über Kleidung beginnt damit, dass Schöfer in Unterwäsche vor der Kamera steht und sich anzieht. In einer Predigt zum Hirtensonntag, dem zweiten Sonntag nach Ostern, sagt sie:

"Der gute Hirte ist nicht nur ein altes Gottesbild, sondern vor allem ein männliches - und ein ziemlich romantisches. Hirt*innen hat es aber schon immer gegeben und es gibt sie auch heute. Nur leider sind sie noch immer in Ämtern und Führungspositionen unterrepräsentiert. Die meisten werden nämlich von cis-Männern besetzt - in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft. Frauen, nicht-binäre Menschen oder People of Color haben es immer noch schwer in Führungspositionen zu gelangen und dort erntst genommen zu werden. Bestes Beispiel: Jetzt gerade in der Coronakrise werden werden Regelungen von Expertengremien geschlossen, die zum größten Teil aus cis-Männern bestehen."

Vor zweieinhalb Jahren fängt sie an, solche Gedanken laut zu äußern. Auf ihrem Blog "ja und amen" schreibt sie über Feminismus und Religion. Sie wechselt zu Instagram und erstellt später einen TikTok-Account. Im Internet findet Maike Schöfer Menschen, die wie sie sind: jung, progressiv, gläubig. Sie tauscht sich intensiv mit ihnen aus. Aus digitalen Freundschaften werden analoge. "Da habe ich gemerkt: Hier bin ich richtig", sagt Maike Schöfer. "Endlich habe ich Menschen gefunden, die so sind wie ich. Deswegen: Props ans Internet!"

Inzwischen ist sie Teil des YouTube-Talkshow "feministisch fromm freischnauze" und des Podcasts "3 Frauen, 3 Religionen, 1 Thema". In beiden Formaten redet sie mit anderen jungen Frauen über Religion und ihre Perspektive darauf. Der digitale Raum funktioniert wie ein Ventil für Schöfer: Sie kann politisch sein, frei sprechen, Freunde finden. Aber auch Hass schlägt ihr dort entgegen. Wegen ihrer politischen Äußerungen bekommt sie täglich Nachrichten wie diese:

"Sowas wie du sollte niemals Pfarrerin werden drüfen."

"Als Frau hast du zu schweigen!"

"Teuflisch, bist du - und ein Wolf im Schafspelz."

Maike Schöfer löscht solche Kommentare. Ihre Absender blockiert sie. Manchmal schwappt der Hass in Wellen über sie. Dann kommentieren plötzlich 15 Menschen gleichzeitig ihre Bilder und Texte. Die angehende Pfarrerin verarbeitet die Beleidigungen wiederum in ihren Beiträgen. In einem Instagram-Beitrag bewegt sie ihre Lippen zum Klang einer tiefe Stimme, die sagt: "Sometimes the most spiritual thing you can do is to tell someone to fuck off."

Vor mehr als einem Jahr gründet Maike Schöfer gemeinsam mit anderen jungen Frauen das feministische Andachtskollektiv, kurz "fAk". Jeden Sonntag 10.00 Uhr gestalten sie eine Andacht gemeinsam auf Instagram - und zwar eine, die sie sich wünschen, zu Themen, die sie interessieren. Ihre Freundinnen aus dem fAk ünterstützen Schöfer auch, wenn sich die Hasswellen über ihr brechen: Sie helfen ihr beim Moderieren der Kommentare, hören zu, wissen Rat.

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte aus Instagram integriert.

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Trotz des Hasses bringt das Internet Gutes: Klassische kirchliche Hierarchien interessieren dort nicht. Aufmerksamkeit generiert sich durch witzige Videos und provokante Thesen, nicht weil Menschen übermäßigen Respekt vor Würdenträgern haben. So kann die feministische Theologie, die sonst selten in Gottesdienste einzieht, Raum einnehmen.

Den Platz, nach dem Maike Schöfer so lange gesucht hat, hat sie sich im Internet selbst geschaffen. Hier kann sie das Bild von Eva als Sünderin kritisieren und Gott* (mit Sternchen) schreiben. In einem Video auf Instagram sieht man sie mit Brille und Block. Im Hintergrund läuft eine Tonspur, die auf Englisch erklärt: "Wer zweimal die Woche masturbiert, erhöht seine Lebenserwartung um 20 Prozent." Schnitt. Dann tanzt Schöfer durch ihre Wohnung zur Musik von Irene Cara, die singt: "I'm gonna live forever."

Ihr Hauptanliegen aber sei es, Gott nicht mehr männlich zu denken, sagt sie. Man müsse von der patriarchalen Interpretation der Bibel Abstand nehmen. Das fange bei Sprache an. "Gott ist nicht männlich, sondern übergeschlechtlich", sagt Schöfer. Die Bibel sei eben in einem patriarchalen Umfeld entstanden und spiegele solche Strukturen wider. Darüber müsse man reden.

In ihrem Vortrag auf dem Ökumenischen Kirchentag zitiert sie die US-amerikanische Feministin Audrey Lorde, die sagte: "Du kannst nicht das Haus des Herren mit dem Handwerkszeug des Herren abreißen." Maike Schöfer übersetzt das auf ihre Situation: "Um am kirchlichen Patriarchat zu sägen, kann man nicht die männlich, akademischen Wege gehen."

Nach zweieinhalb Jahren Internetaktivismus zeigen sich zumindest erste Risse im Kirchenpatriarchat: Der evangelische Landesbischof von Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz hat Maike Schöfer eingeladen. Sie soll das fAk vorstellen.

Zum Ende ihres Vortrags auf dem Ökumenischen Kirchentag kommt Schöfer kurz ins Grübeln. "Ich habe jetzt gar keinen klugen Satz, mit dem ich schließen kann", sagt sie. Und pausiert kurz. "Vielleicht der:", setzt sie wieder an, "Ich kann das Haus des Herrn mit dem Handwerkszeug von Instagram abreißen."

Wenige Wochen später wird ihr Instagramkanal immer ruhiger. Eine Weile lang postet sie nichts mehr. Dann erscheint ein Beitrag mit dem Titel "Bye, Bye". Maike Schöfer schreibt:

"In den letzten Wochen und Monaten ist hier alles sehr schnell gegangen und sehr viel geworden. Insta ist gerade kein guter Ort für mich. Ich hatte keine Ruhe, Konzentration, Kreativität und Kraft mehr für meine Ausbildung. Deshalb: eine Pause."

Sie stellt ihr Profil auf privat. Nur ihre knapp 20.000 Followerinnen und Follower können ihre Beiträge noch sehen. Sie kommentieren ihren Post: Schade. Alles Gute. Viel Segen. Pass auf dich auf <3 Wie lange Schöfers Instagrampause dauern wird, lässt sie offen. Aber sie schreibt: Bis Bald.

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