Zettel. Überall Zettel. Sie ließ den Blick an den übereinandergeschichteten Eisschollen aus weißem Papier hinaufwandern. Ein Blatt, gefährlich nah an der Kante eines Stapels gelegen, flatterte in dem plötzlichen Luftzug und segelte langsam hinunter. Frau S., die noch in der Tür gestanden hatte, trat einen Schritt nach vorn und fing es auf.
Herr W. räusperte sich. „Ja, also ... das wäre dann also Ihre Aufgabe, Frau ... äh ..."
„S.", murmelte sie, den Blick auf das Blatt in ihrer Hand gesenkt. Es war überschrieben mit „Neujahrsvorsätze 2014", danach folgte ein langes Aktenzeichen.
„Tja. So viel zu Fortschritt und papierlosem Büro. Hätte ich Ihnen gleich sagen können, dass so ein Projekt bei uns gegen die Wand fährt. Hier im Vorsatzarchiv kann man nicht einfach mal kommen und irgendwelche Standardlösungen implementieren, aber das kapieren die Fuzzis aus der EDV ja immer erst hinterher. Jedenfalls ist ausgerechnet zu Silvester das nagelneue Superduper-Hightech- Webinterface ausgefallen." Er betonte das Wort mit ironisch hochgezogenen Augenbrauen. „Und dem EDV-Notdienst ist dann nichts Besseres eingefallen, als alle eingehenden Vorsätze einfach auszudrucken. Warum wundert mich nicht, dass ausgerechnet meine Abteilung den Schlamassel jetzt ausbaden muss?" Er wandte sich wieder ihr zu. „Ja, also, jedenfalls herzlich willkommen, Frau ... äh ... Gut, dass Ihre Zeitarbeitsfirma so schnell jemanden schicken konnte. Frau L. wird Ihnen zeigen, wie Sie die Vorsätze in unsere Datenbank eingeben müssen. Viel Erfolg."
Als er die Tür hinter sich zufallen ließ, brachte der Luftzug weitere Zettel ins Rutschen. Frau S. beobachtete, wie sie zu Boden fielen, dann stellte sie ihre Tasche neben den Schreibtisch und setzte sich vorsichtig auf den Drehstuhl vor dem Papiergebirge.
Von dem Schreibtisch gegenüber war eine nicht mehr ganz junge Frau mit pechschwarz gefärbtem Pagenkopf aufgestanden. „Hallo, ich bin Karin L." Sie umrundete den Schreibtisch und schüttelte Frau S. die Hand. Der fiel auf, dass das Lippenstiftrot der neuen Kollegin genau zu der auf den Pullover applizierte Satinschleife passte, unter der neckisch ein eingestricktes Kätzchen hervorlinste. „Es gibt viel zu tun, lassen wir's langsam angehen, was?" Karin L. kicherte ein bisschen und griff wahllos nach einem der Zettel. „Dann wollen wir mal."
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