Der grüne Bundestagsabgeordnete und Finanzexperte Gerhard Schick stellte im Café Kanapee in Wiesloch sein Buch "Machtwirtschaft - nein danke!" vor.
Von Sabine Hebbelmann
Wir haben keine Marktwirtschaft, sondern eine Machtwirtschaft, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete und Finanzexperte Gerhard Schick, der im Café Kanapee in Wiesloch sein Buch "Machtwirtschaft - nein danke!" vorstellte. Schick macht deutlich, dass die Deregulierung der letzten 30 Jahre nicht zu mehr Wettbewerb, sondern zu einer Umverteilung von unten nach oben geführt habe. Immer weniger Konzerne und Banken vereinten immer mehr wirtschaftliche und politische Macht auf sich - zulasten des Gemeinwohls und auch des Mittelstandes. "Wer ist eigentlich marktwirtschaftlich - die politische Linke oder die Konservativen?", fragt er.
Er beruft sich auf Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, die Anteilsverflechtungen transnationaler Konzerne mittels Netzwerkanalyse untersuchten und feststellten, dass 0,3 Prozent der Unternehmen 40 Prozent aller Unternehmenswerte weltweit kontrollieren.
Freundschaften und Interessenübereinstimmungen zwischen den Mächtigen in Staat und Wirtschaft gereichten häufig zum Nachteil der Bürger, sagt Schick. So versuchten Lobbyisten nicht etwa von außen in die Kreise der Politik einzudringen, sie säßen längst mittendrin. Beispiel: die "Liaison" von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) mit dem Investmentbanker Dirk Notheis (CDU) beim EnBW-Deal.
Kämmerer klammer Kommunen, die Steuergelder verzocken und eine Bankenaufsicht, die hilflos der Krise entgegensieht - Schick glaubt, dass der Staat gegenüber den gewieften Akteuren des Finanzmarktes zu schwach ist. Der Bundestagsabgeordnete erzählt, wie er 2006 bei einem Besuch der BaFin festgestellt hat, dass es dort keine unabhängige Finanzmarktforschung gab. Später interessierte ihn die Frage, warum die SachsenLB problematische Geschäfte ausgeweitet hat, obwohl die Märkte in den USA bereits am Kippen waren.
Die Antwort auf die Frage nach der Teilnahme der Aufsichtsbehörden an Sitzungen des Verwaltungsrats wurde ihm nur zur Einsicht in der Geheimschutzstelle des Bundestages hinterlegt. Auch den Zuhörern in Wiesloch darf er sie nicht verraten. So habe er 2011 mit seiner Fraktion Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen den Missbrauch von Geheimhaltungsregeln im Bundestag eingereicht.
"Ach, kannsch eh nix mache", sagten sich viele Bürger. Schick ist überzeugt, dass Politik- und Europaverdrossenheit den Großbanken und Konzernen in die Karten spielen. Er rät, bei der Europawahl keine Rechtspopulisten, sondern "sinnvolle demokratische Parteien" zu wählen. Und sie zu unterstützen, "damit die Regierung das Parlament nicht ausspielt". Nur eine breite Bürgerbewegung in Europa könne den übermächtigen Konzernen und ihren staatlichen Unterstützern etwas entgegensetzen. So wie die Anti-Trust-Bewegung vor hundert Jahren in den USA, die dafür sorgte, dass marktbeherrschende Wirtschaftskartelle wie General Electric und Standard Oil entflochten wurden.
Regeln müssten her, damit sich eine Wirtschaft entfalten kann, die uns allen dient, sagt Schick. Dazu gehörten Standards der Unternehmensberichterstattung, in denen es nicht nur um den Profit, sondern auch um ökologische, soziale und ethische Kriterien gehe.
Dass es, wie ein Zuhörer anmerkte, die rot-grüne Regierung war, die mit der Zulassung von Derivaten, Hedgefonds und Leerverkäufen zur Entfesslung der Finanzmärkte beigetragen hatte, ficht den 42-Jährigen nicht an. Das sei für ihn nur ein weiterer Grund gewesen, für den Bundestag zu kandidieren.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Rolf Gramm vom Kreisverband Odenwald-Kraichgau von Bündnis 90/Die Grünen, der zusammen mit der Wieslocher Buchhandlung Eulenspiegel zu der Lesung eingeladen hatte.