"Die Uhren ticken langsam" heißt es typischer Weise, wenn es darum geht, wie sich die Energiewirtschaft an neue Entwicklungen anpasst und die Richtung ändert. Claire Roumet, Geschäftsführerin von Energy Cities, sieht das ganz anders. "Der Energiesektor sollte ein Vorbild für den großen gesellschaftlichen Wandel sein!" In einem Interview mit Communication Works erklärt sie, warum und wie das gehen soll.
Claire Roumet: Wir bei Energy Cities verstehen den „Energiedemorkatie" als einen Schritt zu mehr Demokratie im Wirtschaftssystem insgesamt im Hinblick darauf, wie Gemeinschaften zusammen arbeiten, um Ressourcen zu teilen. Es geht darum, wie diejenigen, die lokal von Regeln betroffen sind, daran teilhaben können, diese Regeln zu ändern - so wie Elinor Ostrom es in ihrem Konzept der „Commons", Ressourcen jenseits von Markt und Staat, beschreibt. [ Elinor Ostrom ist die erste Frau, die jemals den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt. Sie bekam ihn 2009 für ihre Untersuchungen dazu verliehen, wie es Gemeinschaften gelingt - oder nicht - gemeinsame und endliche natürliche Ressourcen zu managen.]
Claire Roumet: Das derzeitige Wirtschaftssystem - die fossile Gesellschaft - hat drei große Ressourcenbereiche: das Finanzsystem, das Nahrungsmittelsystem, und das Energiesystem. Deren Wachstumsparadigma basiert auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Historisch gesehen wurde jeder Fortschritt darüber definiert. Das macht den Wandel der Energieversorgung, die unser Wirtschaftssystem quasi „befeuert", zu einem Treiber für den großen gesellschaftlichen Wandels.
Claire Roumet: In der Vergangenheit haben die Städte vom fossilen System profitiert: durch Arbeitsplätze, Bereitstellung von Infrastruktur und Reichtum im allgemeinen. Heute entsteht durch das System mehr Schaden als Vorteile, insbesondere in den Städten. Diese ersticken im wahrsten Sinne des Wortes unter der Luftverschmutzung, und die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen werden beeinträchtigt.
Du bist bekannt dafür zu sagen, dass der Wandel von unten kommen muß. Reicht es nicht, wenn institutionelle bzw. die bisherigen Akteure sich wandeln?
Claire Roumet: Die Digitalisierung hat die Beziehung zwischen Bürgern und jeder Art von Autorität radikal verändert. Sie macht den Verlust von Vertrauen in die Legitimität der demokraktischen Institutionen und Prozesse deutlich. Dieser Vertrauensverlust ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Darum brauchen die Städte eine enge Verbindung zu ihren Bürgern und müssen Wege finden, diese in Entscheidungsprozesse einzubinden. Die Energiewende ist eine Möglichkeit, die Demokratielücke zu adressieren und Wege zu finden, sie zu schließen.
Claire Roumet: Disruptive digitale Technologie und die immer weiter sinkenden Kosten für erneuerbare Energien machen es möglich. Die öffentliche Debatte fokussiert sich sehr auf Verkehr und Handel. Aber der Energiesektor ist jetzt dafür bereit. Schon heute.
Was sind die größten Hindernisse, wer sind die Gegner?
Claire Roumet: In der Energiewirtschaft? Ich würde sagen die traditionellen Versorger. Weil sie eigentlich schon gar nicht mehr wirklich Teil des Energiesystems sind.
Claire Roumet: (lacht) Energieunternehmen können sehr aggressiv sein, nicht zuletzt wenn es darum geht, um Konzessionen zu kämpfen. Sie wollen die Macht nicht an die Städte zurückgeben. Wir laufen auch Gefahr, dass einige von ihnen die neue Energielandschaft in Geiselhaft nehmen. Z.B. indem sie die neuen Ideen und Start-ups aufkaufen.
Claire Roumet: Sie versuchen es und vielleicht gelingt es ihnen. Aber die neue Technologie ist nicht einfach nur Technologie an sich. Es geht auch um die neue Art der Steuerung, die dadurch möglich wird. Sie machen es möglich, mit direkter Demokratie zu experimentieren. Vielen Start-ups geht es stark um Ethik, sie wollen, dass vollkommen offen für alle sein. Blockchains zum Beispiel sind ein großartiges Werkzeug im Sinne vollständiger Transparenz.
Claire Roumet: ...dass wir verstehen, dass das Energiesystem wesentlich weniger kompliziert ist, als sie es heute alle glauben lassen. Mit der ICT-Revolution und dem Internet der Dinge, werden alle Systeme auf lokaler Ebene miteinander kommunizieren. Und das ist ein Vorteil für die Städte.
Claire Roumet: Es fehlt ihnen an Selbstvertrauen. Bei jedem Wandel geht es ja wie man weiß hauptsächlich um Psychologie. Wir begeben uns auf komplett neues Gebiet, und es ist schwierig, den politischen Ausgleich zwischen den Interessen der sehr lautstarken und mächtigen, aber „alten" Akteure und den legitimen Interessen der Menschen zu finden.
Auch die Art, wie die Märkte organisiert und reguliert sind, entspricht noch nicht den neuen Trends und Erfordernissen. Europäische und nationale Gesetzgebung muß den Städten mehr Raum und mehr Zuständigkeiten dafür geben, lokal zu experimentieren. Jeder spricht über Sektorintegration, aber die Gesetzgebung steht ihr eher im Weg als sie zu fördern.
Elinor Ostrom: Es gibt keinen Grund zu glauben, dass Bürokraten und Politiker, egal wie gut sie es meinen, besser darin sind, Probleme zu lösen, als die Menschen vor Ort, die den stärksten Anreiz haben, die richtige Lösung zu finden
Was sind die stärksten Treiber?
Claire Roumet: Technisch gesehen, ist die Dezentralisierung Treiber des Wandels. In politischer Hinsicht mag das Potenzial des Energiesektors für Transformation nicht so präsent in der öffentlichen Debatte sein, da es sehr lokale Wurzeln hat. Aber auf der lokalen Ebene gibt es viele Graswurzel-Bewegungen, und alle unserer Bemühungen bei Energy Cities zielen darauf ab, diese Schneebälle ins Rollen zu bringen und größer zu machen. Unsere Zusammenarbeit läßt das, was jedes einzelne unserer Mitglieder in seiner Region tut, größer werden.
NGOs wie Greenpeace - geht es denen nicht um die gleichen Ziele?
Claire Roumet: Die populäre und dauerhafte Fokussierung in der öffentlichen Diskussion auf die Klimathematik allein unterstützt nicht unbedingt den demokratischen Wandel im Energiebereich. Eher im Gegenteil. Darin unterscheiden wir als Energy Cities uns auch von anderen Städtebündnissen: Wir wollen die Städte nicht nur grüner machen, wir wollen, dass sie sozial integrativer werden und bessere Lebensbedingungen für alle bieten. Nicht nur eine Energiewende, sondern eine gerechte Energiewende. Das bedeutet auch, dass die Behörden nicht alles für den Bürger erledigen, sondern zusammen mit den Bürgern.
Claire Roumet: Zunächst einmal ist es Aufgabe der neuen Akteure, eine Rolle für die alten Akteure zu finden - und nicht anders herum, wie uns einige Interessengruppen glauben machen wollen. Aber wir müssen unser Verhältnis zu den Energieversorgern ändern. Diese glauben, dass sie einen Auftrag haben, und dass dieser Auftrag für immer und alle Zeiten gilt. Natürlich werden Ingenieurwissen und erfahrenes Personal immer gebraucht werden. Aber die großen Versorgungsunternehmen als solche und die Art, wie sie heute gesteuert werden, wird nicht überleben.
Claire Roumet: Stimmt. Aber kommunale Unternehmen wurden und werden immerhin anders gesteuert als die großen Versorger, die wir heute kennen. Ein modernes kommunales Unternehmen muss mehr einer öffentlich Partnerschaft mit den Bürgern gleichen. Barcelona ist ein gutes Beispiel für eine lokale Regierung, die an Beteiligung interessiert ist und sich für ökonomische Demokratie im Energiesektor einsetzt. Sie bieten wesentlich niedrigere Preise an als irgendeines der großen Unternehmen. Die öffentliche Dienstleistung ist nur ein Mittel. Gute Steuerungsmodelle müssen noch entwickelt werden. Und das ist wo wir als Energy Cities unseren Mehrwert sehen, indem wir eine Debatte darüber anstossen, wie wir den Energiesektor in ein demokratischeres und von Bürgern gesteuertes System überführen - nicht einfach in Unternehmen nach alter Machart, die sich aber in öffentlicher Hand befinden.
Claire, was bringt die Zukunft?
Claire Roumet: Die alten Systeme werden kollabieren, sei es der Finanz- oder der Energiesektor (lacht). Aber das ist nicht das Ende der Welt!
Das Interview wurde geführt von Niels Reise und Sabine Froning. Übersetzt aus dem Englischen. Original