Die Zeiten der großen Schweigemärsche und Friedensdemonstrationen sind vorbei. Heute wird gequerfrontet, was das Zeug hält. Manch einer führt seine verstaubte Peace-Flagge und Friedenstaube nun auf Querdenker-Märschen aus. Und auch 99-Luftballons-Nena singt jetzt für die Schwurbler und trinkt Mondwasser (was auch immer das sein soll). Gleich geblieben sind nicht nur die Symbole, sondern auch der Antisemitismus und die bodenlose Selbstgerechtigkeit. Man wähnt sich auf der richtigsten Seite der Geschichte.
Vor einigen Tagen hat der Bundestag für die Verlängerung des Anti-IS-Mandats gestimmt. Sogar die Grünen haben zugestimmt. Während Joschka Fischer beim Sonderparteitag der Grünen 1999 noch mit Farbbeuteln beworfen wurde, als er sich für ein militärisches Eingreifen im Kosovo aussprach, ist die Verlängerung des IS-Mandats geradezu sang- und klanglos über die Bühne gegangen.
Tränen für KriegsverbrecherRadikal pazifistische Positionen sind etwa so gut gealtert wie Nena. Pazifismus in a nutshell findet man heutzutage noch bei Konstantin Wecker und Margot Käßmann (auch die andere Backe hinhalten und Feindesliebe und so) und in Teilen der Linken - man erinnere nur daran, wie viele Tränen 2020 vergossen wurden, als der Kriegsverbrecher Qassem Soleiami von einer US-Drohne getötet wurde, inklusive Strafanzeige gegen Angela Merkel. Natürlich haben auch Kriegsverbrecher Menschenrechte, und ein Gerichtsverfahren wäre dem Chef der Al-Quds-Brigaden auch zu Zwecken der Aufklärung nur zu wünschen gewesen. Wenig aber scheinen die zahlreichen Opfer von Soleimanis jahrelang rücksichtslos betriebenem Terror und expansionistischer Kriegstreiberei im Nahen Osten zu Tränen zu rühren.
Mit einem haben die Pazifisten recht: Krieg ist immer falsch. Er kostet immer unschuldige Menschenleben. Aber mitunter ist ein Sichraushalten noch falscher. Radikaler Pazifismus macht die Welt eben nicht zu einem friedlicheren Ort. Manchmal ist ein Militäreinsatz moralisch eben richtig, wie 2014, als der sogenannte „Islamische Staat" einen Genozid an den Ezîden verübte. Cem Özdemir hatte nur recht, als er sagte, der IS ließe sich eben nicht mit der Yogamatte unterm Arm stoppen. Und manchmal wäre eine militärische Intervention womöglich besser gewesen. Etwa 2013, nachdem das Assad-Regime Nervengas gegen die Zivilbevölkerung einsetzte, was laut Obama eine „rote Linie" überschritt. Er drohte Assad dann mit einem Militärschlag, dieser Militärschlag kam aber nie. Unterlassene Hilfeleistung könnte man es nennen. Ein Freifahrtschein für Assad, und dann kam ihm auch noch Russland militärisch zu Hilfe. Oft wurde damals mit der fehlgeschlagenen Libyen-Intervention argumentiert, doch Libyen ist nicht Syrien. Und Intervention nicht gleich Intervention. Wichtig ist auch, was nach einer Intervention passiert. Und was zu welchem Zeitpunkt. So kamen nach dem Truppenabzug im Irak der IS, in Nordostsyrien das türkische Militär mit seinen Dschihadisten-Söldnern und in Afghanistan die Taliban.
Hamas, Hizbullah und Assad als NachbarnPazifismus kann durchaus menschenverachtende Züge annehmen, frei nach dem Motto: Ist zwar Kriegsverbrechen oder Genozid, aber Hauptsache, man fühlt sich ein bisschen wie Gandhi und steht auf der guten Seite der Geschichte. Da wurde 2003 von Buxtehude oder Stuttgart aus der Krieg der USA gegen das Saddam-Regime verurteilt. Und zwar nicht, dass er auch aus falschen Gründen und auf die falsche Art und Weise geführt wurde, sondern es wurde ganz allgemein verurteilt, dass Saddam vom Sockel gestürzt werden sollte, während Iraker in seinen Folterknästen saßen und die Kurden sogar einen Genozid erlitten (Operation Anfal). Menschenverachtend ist ein Pazifismus auch, wenn es wieder darum geht, dass Israel ein Militär besitzt, einen Iron Dome und ein paar Raketen zur Selbstverteidigung. Was soll man denn auch machen, wenn man von so reizenden Nachbarn wie der Hamas, Hizbullah und Assad umgeben ist?
Krieg als Ultima Ratio bedeutet auch, es gar nicht erst bis zur Ultima Ratio kommen zu lassen. Das Anti-IS-Mandat wurde nur für den Irak, nicht aber für Syrien verlängert. Dabei ist es in Nordostsyrien erst kürzlich zu einem großen Ausbruch von IS-Mitgliedern aus einem Gefängnis gekommen. 800 IS-Terroristen sind dabei geflohen. Sie haben Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht. Die Kurden in Nordostsyrien werden seit Jahren mit Tausenden inhaftierten IS-Kämpfern alleingelassen. Und außerdem bombardiert auch das türkische Militär mal wieder Ziele in Nordostsyrien und im Irak, darunter die Sindschar-Region, in der 2014 der IS einen Genozid an den Ezîden verübte.
Annegret Kramp-Karrenbauer hatte sich bereits 2019 beim türkischen Einmarsch für eine internationale kontrollierte Schutzzone ausgesprochen und damals jedoch viel Kritik und Häme geerntet. Was jetzt zu tun ist, weiß ich auch nicht. Welche diplomatischen oder militärischen Mittel nun nötig sind, um diese Angriffe zu beenden. Es gibt etwas, zwischen rücksichtsloser Kriegstreiberei und Pazifismus. Nur Erdogan weiter gewähren zu lassen und die Menschen seinen Bomben und Raketen zu überlassen darf nicht sein. Vielleicht lag AKK gar nicht so falsch.