Der Sprache wird eine immense Macht beigemessen, so viel wie zurzeit über sie geredet wird. Dabei geht es weniger um sprachexperimentelle Lyrik, sondern darum, dass niemand verletzt werden soll. Nicht dass es was Schlechtes ist, dass man rassistische Begriffe wie das N-Wort nicht mehr benutzt und „Mischling" nur noch zu Hund und Katze sagt, aber nicht mehr zu Menschen. Und dass man in der Sprache an einem Binnen-I, Sternchen oder Unterstrich lesen kann, dass die Welt nicht nur aus Männern besteht.
Bisweilen wird das Ganze aber absurd, wenn der Chef in seinen Mails Gendersternchen verwendet, aber trotzdem Frauen aus dem Unternehmen mobbt, wie mir eine Freundin kürzlich erzählt hat. Oder wenn Studierende in Seminaren neunzig Minuten lang diskutieren, weshalb es problematisch ist, vom „arabischen Frühling" zu sprechen. Und zwar nicht weil bestimmte arabische Staaten wie Syrien beispielsweise genau das nicht sind, was sie gerne wären: homogene arabische Staaten. Das wäre ja noch ein interessanter Punkt. Nein, in dem Uni-Seminar ging es darum, dass der Begriff „arabischer Frühling" eurozentristisch sei. Da beteten also 20 Studierende eine Doppelstunde lang das postkoloniale Einmaleins herunter und hatten keinen blassen Schimmer, wie es dazu kam, dass in Kairo, Qamishli und Sidi Bouzid Menschen massenhaft auf die Straße gingen, ein Diktator namens Assad ganze Städte ausbombte, Mursi Folterknäste füllte und Islamisten Landstrich für Landstrich eroberten.
Kategorien für eine komplexe WeltDas Problem ist nicht nur eine gewisse Sprachversessenheit. Das Problem ist auch ein sprachliches Instrumentarium, das gerade in Mode ist. Bisweilen ist es sehr nützlich, aber blind für Details. Es dient dazu, in einer immer komplexeren Welt klare Kategorien aufzumachen, an denen man sich orientieren kann wie an Verkehrsschildern. Zu den beliebten Kategorien gehört gerade: „der imperiale Westen" und „der subalterne, marginalisierte Nahe Osten". Zwar wirken koloniale Grenzziehungen und jahrzehntelange Fremdherrschaft bis heute nach. Trotzdem ist es ein dichotomisches Narrativ, dessen sich auch gerne die Schurken vom Dienst - Assad, Erdogan und die Mullahs in Iran - bedienen. Schuld sollen immer nur die anderen sein, vor allem Israel, wenn es um die eigene Misere geht.
Ein nicht eurozentristischer Blick bedeutet auch, diese Regime nicht auszuklammern. Saddam hat den Irak ins Elend gestürzt, wirtschaftlich, moralisch, mit Massakern wie dem Anfal-Genozid an den Kurden und brutalster Diktatur. Es sind nicht nur die westlichen Militäreinsätze, die das Chaos zu verantworten haben, es sind auch die iranischen Schergen, die gerade Aktivisten in Basra und Bagdad exekutieren. Es ist auch der expansive Islamismus von Qatar und Saudi-Arabien, der Koranschulen und Moscheen bauen lässt, nicht aber Universitäten und Bibliotheken. Auch hier werden mit den Formeln vom „imperialen Westen" und „unterdrückten Nahen Osten" Details unterschlagen.
Rassismus und PrivilegienÄhnliche Unschärfen gibt es auch bei der zweiten, viel beschworenen Kategorie „People of Color" in Abgrenzung zur „weißen Mehrheitsgesellschaft". Neulich hörte ich in einem Gespräch über Kim Kardashian, Armenier seien keine People of Color, sie seien Weiße, da christlich und somit doch total mehrheitsgesellschaftskompatibel. Nur unterschlägt das die lange Verfolgungsgeschichte der Armenier inklusive Genozid 1915. Ebenso das mantrahaft wiederholte „es gibt keinen Rassismus gegen Weiße". Das ist insofern richtig, als dass Franziska Giffey mit ihrem, wie sie sagt, „ostdeutschen Migrationshintergrund" keinen Rassismus erfährt oder „Süßkartoffel" beim besten Willen keine rassistische Beleidigung ist. Doch kehrt die „Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße"-Litanei auch den antislawischen Rassismus und damit den Vernichtungskrieg der Nazis im Osten, in dem Millionen Menschen versklavt und ermordet wurden, unter den Teppich. Das ist Geschichtsblindheit par excellence. Und wir brauchen nicht mal so weit zurück in die Geschichte zu gehen. Bis heute wird „Polacke" als Schimpfwort verwendet. Meist garniert mit ein paar Sprüchen über geklaute Autos - rassistischer Humor at its best.
Vollendet wird die heilige Dreifaltigkeit der Sprachkategorien von den omnipräsenten Privilegien - die man hat oder nicht hat, aber regelmäßig checken sollte. Doch auch mit dem „Privilegiertsein" ist das so eine Sache. Vor Kurzem bekam ich zu hören, Jesiden wären die privilegierten Geflüchteten, da sie ja in Deutschland die „beliebteren" seien, weil sie nicht muslimisch sind. Nun ja, also ob man das so sagen kann, bei den Jesiden, die aufgrund eines Genozids und wegen Verfolgung nach Deutschland kamen und auch hier antijesidischen Rassismus erleben („Kafir"-Sprüche auf dem Schulhof und das Geheimhalten der jesidischen Identität aus Sicherheitsgründen in den Flüchtlingsheimen). An der vermeintlichen Privilegiertheitsskala wird dann die Sprecherlaubnis festgemacht. Argumente und Inhalt? Fehlanzeige. Damit wären wir von der Sprache auf den Inhalt gekommen. Und der ist oft komplexer, als dass man ihn in ein paar angesagte Begriffe pressen könnte.