"Jack" ist ein Freibeutername, und das ist kein Zufall: draußen die wilde, weite Welt und drinnen... nichts! Wo eigentlich Liebe, Vertrauen und Zuneigung sein sollten, herrscht in Edward Bergers Wettbewerbsbeitrag JACK gähnende Leere. Alle wollen, keiner kann - das ist das Bild, das Berger von den Erwachsenen entwirft.
"Du bist toll!" Ich hab´ Dich lieb!" sagt da die Mutter, bevor sie Jack den Nachhauseweg auf den Handrücken krickelt und eigentlich meint: "Ich werde jetzt mein eigenes Leben leben, toll, dass Du mitspielst!" Das Gefühl zieht sich durch den ganzen Film: Erwachsene sind entweder gar nicht anwesend (Vater), vollkommen in ihrem eigenen Leben gefangen (Mutter) oder einfach gleichgültig.
Kein Wunder, dass sich dieses Gefühl auch auf der Bildebene wiederspiegelt: konsequent aus der (eben auch visuellen) Perspektive des Jungen erzählt, haben die Erwachsenen mitunter nicht einmal ein Gesicht, und damit - man ahnt es - auch nichts, was sie dem Jungen - übrigens großartigst gespielt von Ivo Pietzcker - zuwenden könnten.
So ist der auch permanent auf der Flucht - zumindest wirkt es so. Schon in den ersten Einstellungen bereitet der Zehnjährige hektisch und atemlos die Brotdose für seinen jüngeren Bruder vor, und dieser Eindruck von Getriebenheit zieht sich fast durch den ganzen Film - selbst im Heim ist Jack dauernden Gefahren ausgesetzt, auch hier kommt er nicht zur Ruhe.
Als er schließlich flieht, um zurück zur Mutter zu ziehen, ist diese unauffindbar. Es folgt eine Reise durch den Großstadtdschungel, und natürlich ist auch dies der Versuch, bloß irgendwo anzukommen. Bildlich dargestellt wird dies durch die verschlossene Tür, gegen die Jack - eben auch im übertragenen Sinne - immer wieder anläuft. "Ich brauche den Schlüssel", schreibt Jack immer wieder auf Notizzettel, die er der Mutter hinterlegt; hier meint er eben auch den Schlüssel zu Aufmerksamkeit und Wahrgenommen-Werden, und so überrascht es nicht, dass Jack die Zettel zerknüllt, als er feststellen muss, dass sich seine Hoffnung nicht erfüllt.
Nur in ganz kurzen Momenten kommt Jack überhaupt zur Ruhe, und in diesen Szenen steckt für mich die ganze Kraft dieses Films: Etwa zur Hälfte seiner Odyssee sitzt er mit seinem kleineren Bruder in der Bahn, isst einen Pfirsich und verschnauft merklich. Im Hintergrund zieht die Stadt vorbei, und es wirkt kurz, als habe Jacks Welt angehalten, während sich die böse Welt draußen weiterdreht.
"Immerhin haben sich die beiden", mag man denken, obgleich dieses Glück nur Sekunden dauert. Denn auch Jack trägt die Saat der Lieblosigkeit in sich, auch er vergisst kurz darauf seinen Bruder auf einer Parkbank, während er sich der Betrachtung eines Fernglases hingibt. Nur: Jack darf das natürlich, er ist ein Kind, das nicht die Bürde der Verantwortung für ein anderes Leben tragen sollte, und das macht das Gesehene umso tragischer: Alle Erwachsenen verhalten sich in dem Film wie Kinder - es scheint fast so, als wäre Freibeuter Jack der Erwachsenste unter Ihnen.
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