Der neue starke Mann in Mexiko ist ein Linksnationalist: Andrés Manuel López Obrador, genannt Amlo. Was könnte das für Mexiko bedeuten? Für die deutsche Wirtschaft im Land? Und was für die Beziehungen zu den USA?
Von Roland Peters, Mexiko-Stadt
In der Stunde des Triumphs sind die letzten Meter die schwierigsten. Andrés Manuel López Obrador, unangefochtener Sieger der Präsidentschaftswahl in Mexiko, versucht die Bühne auf dem zentralen Zócalo-Platz per Auto zu erreichen. Als die Bilder seiner nahenden Ankunft auf der riesigen Leinwand erscheinen, umringen seine Anhänger den Wagen. Es dauert einige Minuten, bis er es hinter und dann auf die Bühne schafft. Der Hoffnungsträger der mexikanischen Linken winkt in die Menge, der Wahlkampfsong seiner Partei Morena schmettert aus den Boxen, in Nationalfarben angestrahltes Konfetti wirbelt durch die Luft. "Pre-si-den-te! Pre-si-den-te!" jubeln Zehntausende.
Amlo, wie er entsprechend seiner Initialen genannt wird, kündigt erste Maßnahmen an. Jede davon wird bejubelt: ein Recht auf ein Studium, eine Grundrente für alle, die wirtschaftliche Stärkung ländlicher Gebiete. "No nos falles", enttäusche uns nicht, skandiert die Menge. Er werde grundlegende Prinzipien anwenden, sagt Amlo, bevor er wieder von der Bühne tritt: "Nicht lügen, nicht stehlen, nicht das Volk betrügen."
Viele hatten an den Umfragen gezweifelt, die Amlo weit vorne sahen; manche rechneten mit Wahlbetrug oder einer mysteriösen Wende in den letzten Stunden. Doch Amlo gewann deutlich. Der 64-jährige Linke erhielt laut offizieller Hochrechnung in der Wahlnacht mehr als 51,8 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sein schärfster Konkurrent, der Konservative Ricardo Anaya, erhielt demnach 24,6 Prozent. López Obradors Erfolg ist umfassend: Seine Partei Morena und ihre Verbündeten haben aller Voraussicht nach auch im Kongress die Mehrheit errungen.
Was der Sieg bedeutetAmlo ist also der neue starke Mann jenseits der US-Südgrenze. Was wird er dort verändern können? Wie entwickeln sich die Beziehungen zu den USA und Donald Trump? Und was bedeutet der Sieg für die deutsche Wirtschaft, die im Land vertreten ist?
Der neue Präsident ist auf Mexiko fixiert, nicht nur die von ihm gegründete Partei heißt so - Morena steht für "Movimiento Regeneración Nacional", Bewegung für eine Erneuerung des Landes -, auch sein kompletter Wahlkampf war entsprechend ausgelegt. Die Korruption sieht er als Wurzel allen Übels, von Gewalt, Armut und Ungleichheit. Er schimpfte gegen "Machtmafia" aus Politikern und Unternehmern, die das Land im Griff hätten und die er verjagen will. Dafür kündigte er Gesetzesverschärfungen an. Dass er links ist, heißt nicht, dass er zwingend die öffentliche Hand stärken will: Er verspricht einen schlanken Staat, keine höheren Steuern oder Schulden. Das zusätzliche Geld für die Sozialleistungen will er durch die Eindämmung der Korruption einnehmen.
In Mexiko ist die Amtszeit eines Präsidenten auf eine sechsjährige Wahlperiode beschränkt. Amlos Gegner befürchteten vor der Wahl, er könne wegen seiner autoritären Tendenzen diese Regel kippen und das Land in ein zweites Venezuela verwandeln. "Wir werden keine offene oder versteckte Diktatur errichten", versprach der Linke am Wahlabend. "Wir werden alle persönlichen und gesellschaftlichen Freiheiten garantieren." Auch Verstaatlichungen sind nicht geplant. "Es wird keine Enteignungen geben." Was López Obrador jedoch mit Venezuelas früherem linken Präsidenten Hugo Chávez verbindet, ist der Personenkult und populistische Anspruch, der einzige zu sein, der das Land im Namen des Volkes retten kann.
Deutsche Wirtschaft unbesorgtFür deutsche Unternehmen ist Mexiko der größte Markt in Lateinamerika, Waren im Wert von 12,9 Milliarden Euro exportierten sie im Jahr 2017. Wichtigste Branche ist die Autoindustrie. Deutschland führt vor allem Maschinen aus und dafür Autoteile ein. Sorgen über mögliche venezolanische Zustände gibt es nicht. "Die Äußerungen sind eindeutig, die Privatwirtschaft ist Partner der Regierung und die Regierung ist Partner der Wirtschaft", sagt Johannes Hauser von der deutschen Außenhandelskammer in Mexiko-Stadt im Gespräch mit n-tv.de. "Das wird nicht infrage gestellt. Das ist ein beruhigendes Signal."
Amlo hat sich mit der Unternehmerschaft arrangiert. Im April etwa lieferte er sich ein öffentliches Duell mit dem mexikanischen Superreichen Carlos Slim über die Zukunft des neuen Flughafens von Mexiko-Stadt, in den auch der Unternehmer investiert. Amlo kündigte an, die Bauarbeiten abbrechen zu wollen. Slim kritisierte, Amlo ruderte zurück. Anfang Juni setzte sich der Linke schließlich mit den Wirtschaftsbossen an einen Tisch. Ergebnis: Sollte Amlo die Wahl gewinnen, werde man gemeinsam einen Plan zur Wirtschaftsentwicklung erarbeiten. Den Wahlkampfabschluss am Mittwoch veranstaltete Amlo dann im Aztekenstadion. Es gehört Televisa, eine der beiden Mediengruppen, die den mexikanischen Markt dominieren. Die andere gehört Carlos Slim.
Gefährliche AbhängigkeitFür die Wirtschaft Mexikos sind die USA mit Abstand der wichtigste Handelspartner, 80 Prozent der Exporte gehen in den Norden, 46 Prozent der Importe kommen von dort. Vier Fünftel des Bruttoinlandsprodukts hängen an den Vereinigten Staaten. Zudem leben 55 Millionen Mexikaner in den USA und überweisen Geld in die Heimat, 24 Milliarden Dollar waren es im Jahr 2015. Das heutige Mexiko ist völlig abhängig vom Norden, fast untrennbar verbunden. US-Präsident Trump nutzt das aus. Er will das Freihandelsabkommen Nafta neu verhandeln, droht mit Aufkündigung und setzt den Handelspartner mit Zöllen unter Druck.
Von Amlo ist kaum ein außenpolitisches Programm bekannt. Juan Barrón von der Universidad Nacional Autónoma de México erwartet eine Abkehr von der US-orientierten Politik. "Ich gehe von einem radikalen Wandel aus, dass er weniger mit den USA und mehr mit Lateinamerika zusammenarbeitet." Das derzeitige Verhältnis mit dem nördlichen Nachbarn hält er für höchst gefährlich. "Ein Ende von Nafta würde uns sehr schaden", sagt der Politikwissenschaftler. "Alles in der mexikanischen Wirtschaft ist nach Norden orientiert, die Produktion, die Infrastruktur."
Was macht Amlo also, was geschieht mit Mexiko, sollte Trump wirklich Nafta kündigen und womöglich sogar aus der Welthandelsorganisation austreten? Für den Entwurf eines Notfallplans hat der neue Präsident nun fünf Monate Zeit. Am 1. Dezember wird er ins Amt eingeführt.
Quelle: n-tv.de
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