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So viel Strom bräuchte ein vollständig elektrischer Straßenverkehr | Edison

Blackout oder nicht: Wie würde sich die Stromnachfrage verändern, wenn über Nacht alle Kraftfahrzeuge auf deutschen Straßen elektrifiziert würden? Wir haben nachgerechnet.

Nur noch elektrische Fahrzeuge auf den Straßen, von Verbrennern fehlt jede Spur. Für viele ist diese Vorstellung ein Wunschtraum. Klar: Am schönsten wäre es, die Anzahl der Fahrzeuge würde sich durch Sharing und Letzte-Meile-Angebote zusätzlich noch drastisch verringern. Aber selbst eine Elektrifizierung des aktuellen deutschen Autobestands wäre ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz.

Doch was würde das für den Strombedarf in Deutschland bedeuten? Kritiker führen neben den Herausforderungen an die Netze auch immer wieder an, dass für die E-Mobilität gar nicht genug Strom erzeugt werde. Würden Kraftwerke, Solar- und Windanlagen in Deutschland mit der Produktion also nicht mehr hinterher kommen, wenn die über 56 Millionen Autos nicht mehr zur Tankstelle sondern an die Ladesäule fahren? Je nachdem wen man fragt, bekommt man unterschiedliche Antworten.

Steigt der Strombedarf um ein Drittel?

In einer Studie der Beratung PwC schreibt das Unternehmen: "Wären aktuell alle Autos in Deutschland mit Strom betrieben, stiege der Strombedarf um rund ein Drittel des heutigen Gesamtbedarfs pro Jahr." Bei einem aktuellen Verbrauch von rund 530 Terawattstunden (TWh) im Jahr wäre das also eine Zusatzlast von gut 175 TWh. Eine nicht zu verachtende Menge.

Eine McKinsey Studie klingt da auf den ersten Blick etwas zurückhaltender. Sie sagt für einen Anteil von 40 Prozent E-Pkw einen zusätzlichen Strombedarf von 40 TWh voraus - bei hundertprozentig elektrifiziertem Pkw-Verkehr also rund 100 TWh.

Und auch das Umweltministerium prognostiziert einen ähnlichen Rahmen: "Eine vollständig elektrifizierte deutsche Pkw-Flotte von 45 Millionen Fahrzeugen hätte einen Strombedarf von rund 90 Terawattstunden (TWh)", heißt es in einem Bericht. "Dies entspricht weniger als einem Sechstel der aktuellen Bruttostromerzeugung in Deutschland."

Unterschiedliche Szenarien führen zu unterschiedlichen Ergebnissen

Wer hat also recht? Wie viel Strom würde tatsächlich für einen komplett elektrischen Verkehr gebraucht? Wir haben selbst mal unseren Rechenschieber gezückt, um das zu überprüfen.

Wer genau aufpasst, erkennt zunächst einmal, dass die Studien gar nicht weit auseinander liegen. Sie beschreiben bloß unterschiedliche Szenarien: Zum einen ist die Bruttostromerzeugung in Deutschland mit der das Ministerium rechnet, höher als der Strombedarf, den McKinsey nutzt. Deshalb sind auch die Anteile, die PwC und das Ministerium angeben, auf unterschiedlichen Gesamtheiten basierend.

McKinsey und das Umweltministerium beziehen sich außerdem bloß auf E-Pkw, während PwC alle Kraftfahrzeuge einbezieht. Und es ist zu vermuten, dass die Studien jeweils mit unterschiedlichem durchschnittlichem Verbrauch und Jahresfahrleistung gerechnet haben. Das Umweltministerium hat dabei mit 20 kWh pro 100 Kilometern und 12.000 gefahrenen Kilometern im Jahr gerechnet, bei den anderen beiden ist das leider nicht ersichtlich.

Knapp 100 Terawattstunden für Elektroautos

Wir haben bei unserer Rechnung unterschiedliche Szenarien durchgespielt. Dazu sollte gesagt werden: Es geht nur um den Stromverbrauch durch das Fahren, Produktion und andere Faktoren lassen wir der Einfachheit zuliebe erst mal außen vor. Außerdem tun wir so, als wären die 50.000 bereits fahrenden E-Autos Verbrenner, da die geringe Zahl die Rechnung nicht großartig beeinflusst.

Insgesamt waren laut Kraftfahrt-Bundesamt Anfang 2018 rund 56,5 Millionen Kraftfahrzeuge in Deutschland zugelassen. Darunter sind rund 46,5 Millionen Pkw und 5,7 Millionen schwere Nutzfahrzeuge wie Lkw und Busse. Der Rest fällt in andere Fahrzeugklassen wie etwa Motorräder. Die durchschnittliche Fahrleistung im Jahr 2017 betrug 13.257 Kilometer, unter Pkw lag sie etwas höher bei 13.922.

Betrachtet man also nur elektrifizierte Pkw und legt einen Durchschnittsverbrauch von 15 kWh pro 100 Kilometer an, erhält man für 46,5 Millionen Pkw einen Strombedarf von gut 97 Terawattstunden - ziemlich nah also an den Zahlen von McKinsey und auch des Umweltministeriums. Das hatte eine geringere Fahrleistung, aber höheren Verbrauch angesetzt als wir.

Nutzfahrzeuge als Stromschlucker

Die Berechnungen für alle Kraftfahrzeuge sind etwas komplizierter, da schwere Nutzfahrzeuge natürlich einen anderen Energieverbrauch haben als Pkw. Realistisch für sie dürfte ein Verbrauch zwischen 100 und 120 kWh/100Km sein, allerdings sind aufgrund der im Vergleich zum Pkw geringen Zahl an elektrifizierten Nutzfahrzeugen diese Verbrauchswerte mit Vorsicht zu genießen.

Kombiniert man die unterschiedlichen Verbrauchswerte (um es zu vereinfachen rechnen wir für alle restlichen Fahrzeugklassen mit dem Pkw-Verbrauch) erhält man durchschnittlich 23,6 kWh pro 100 Kilometern. Bei einer Fahrleistung von 13.257 Kilometer kommt man so auf einen Strombedarf von knapp 177 Terawattstunden. Das wiederum entspricht ziemlich genau den von PwC genannten Zahlen. In der Tabelle haben wir den Strombedarf für unterschiedliche Szenarien für Jahresfahrleistung und Durchschnittsverbrauch durchgerechnet.

100 Prozent E-Mobilität könnte schon heute von Erneuerbaren angetrieben werden

Was sagen einem diese Zahlen? Zunächst einmal, dass die Stromproduktion in Deutschland aktuell die Nachfrage nicht decken würde, wenn auf einen Schlag der komplette Straßenverkehr elektrifiziert würde und alle externen Faktoren gleich blieben.

Allerdings gilt zu beachten, dass Deutschland momentan Stromexporteur ist: 621 TWh betrug die Nettostromerzeugung 2017. Dem gegenüber stand ein Verbrauch von rund 530 TWh. Deutschland hat also ein Energiepolster, sodass nicht die komplette zusätzliche Nachfrage neu produziert werden müsste. Außerdem könnte bereits heute die komplette Mobilität von erneuerbaren Energien getragen werden: 2017 betrug deren Erzeugung laut Fraunhofer Institut 210 TWh.

Weniger Individualverkehr verändert die Rechnung

Interessant ist auch zu beobachten, wie sich die Jahresfahrleistung im Durchschnitt verändern wird. Durch neue Mobilitätsangebote wie Sharing, Letzte-Meile-Lösungen und einen Ausbau und verstärkte Nutzung des ÖPNV könnte diese über die kommenden Jahrzehnte sinken. Im Idealfall wäre dann weniger Individualverkehr unterwegs - und der Strombedarf dementsprechend geringer.

Der wichtigste Punkt ist aber, dass die Entwicklung hin zum elektrischen Straßenverkehr natürlich nicht über Nacht kommen wird. McKinsey rechnet beispielsweise mit einem E-Pkw Anteil von 40 Prozent im Jahr 2050. Stromerzeugung und vor allem auch die viel diskutierten Netze können also nach und nach an die neue Nachfrage angepasst werden.

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