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Vom Schwindel zum Gehirntumor

Findet alles, nur oft nicht die richtige Diagnose: Experten raten davon ab, bei Krankheitssymptomen ausschließlich das Internet zu befragen. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Wer sich nicht gut fühlt und dafür keine Erklärung hat, sucht oft Hilfe im Internet. Doch Verbraucherschützer warnen.

Marianne Brenner leidet unter Angstzuständen, um ihre Gesundheit ist sie ständig besorgt. "Ich könnte schwören, ich habe Diabetes oder hohen Blutdruck, vielleicht auch Krebs", schreibt Brenner, die in Wirklichkeit anders heißt, in einem Gesundheitsforum. Und: "Ich bin immer überzeugt, dass ich gerade an irgendwas sterbe." Regelmäßig schlägt sie ihre Symptome im Internet nach - und bekommt ein Angebot an möglichen Krankheiten zurück. "Ich weiß", sagt die Frau, "dass ich da auf irgendwelche verrückte Diagnosen stoße." Trotzdem kann sie nicht aufhören mit ihren medizinischen Recherchen. Ihre Diagnose dazu: "Es ist, als wäre ich abhängig."

"Beim Thema Hypochondrie spielt das Internet mit Sicherheit eine Rolle", sagt die Psychotherapeutin Karin Kutz. Doch auch Menschen, die nicht unter extremen Krankheitsängsten litten, könnten bei der Suche im Internet leicht in Panik verfallen. "Wenn man zum Beispiel nach Schwindel sucht, landet man schnell beim Gehirntumor." Auf einen Termin beim Facharzt warte man dann oft mehrere Monate. "Das", sagt Kutz, "kann eine harte Zeit sein." Jedenfalls Zeit genug, um sich verrückt zu machen.

Bei einer Umfrage des Eurobarometers der Europäischen Kommission gaben rund 60 Prozent der Befragten an, schon einmal im Internet nach ihren Symptomen beziehungsweise einer passenden Diagnose gesucht zu haben. Und auf Seiten wie Netdoktor.de, Was-fehlt-mir.net oder Ihresymptome.de werden sie auf unterschiedlichste Weise fündig.

Auf Ihresymptome.de etwa können Nutzer aus anfänglich 20 Symptomen auswählen und bekommen nach nur einem Klick bis zu 2600 mögliche Ursachen für ihr Leiden geliefert. Zwar kann man die Suche noch verfeinern, doch nicht immer bekommt man sinnvolle Hinweise. So finden Männer mit Schmerzen im unteren Bauchbereich beispielsweise heraus, dass sie unter Umständen "falsche Wehen" oder gar eine Fehlgeburt hatten.

Ein ähnliches System bietet Was-fehlt-mir.net, das dem Nutzer auf der Homepage eine Liste mit 365 Symptomen präsentiert. Nachdem er beliebig viele Symptome angekreuzt hat, kommt die Diagnose umgehend. Das verheißungsvolle Grundprinzip: Je mehr Symptome, desto mehr mögliche Krankheiten.

Auf Netdoktor.de engt der Symptom-Checker in einem Frage- und-Antwort-System die Menge möglicher Diagnosen ein. Die Nutzer haben auf die Fragen nur wenige Antwortmöglichkeiten, die Folgefragen gehen wiederum auf diese Antworten ein. Am Ende des Prozesses steht eine Reihe möglicher Diagnosen.

Doch egal, nach welchem Muster die Seiten funktionieren: Man sollte ihnen nicht blind vertrauen. Dass man sich im Internet vorinformiere, sei in Ordnung, sagt Regina Behrendt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Es bestehe aber die Gefahr, dass man dann den Arztbesuch hinausschiebe oder gar vermeide. Den könne ein Diagnoseportal aber nicht ersetzen. "Solche Websites liefern keine gesicherten Diagnosen, es besteht immer die Gefahr einer Fehleinschätzung."

Gesicherte Diagnosen wollen die Betreiber auch gar nicht liefern. "Unser Gesundheitsportal kann und will keine Diagnosen stellen und kann den Arzt nie ersetzen", sagt Jens Richter, Chefredakteur von Netdoktor. "Wir können dem Besucher unserer Seite aber helfen, seine gesundheitlichen Probleme besser einzuschätzen und in Zusammenarbeit mit seinem Arzt mündige Entscheidungen zu treffen." Auch deshalb erscheint auf den Websites immer der Hinweis, dass die Onlineberatung den Arztbesuch nicht ersetzen kann. Er erscheint auf den einzelnen Seiten allerdings in sehr unterschiedlicher Größe. Deutlich sichtbar dagegen ist meist die Werbung - was nicht überrascht, schließlich finanzieren sich die Websites über sie. Werbung wird entweder über Google geschaltet, oder die Plätze werden Werbekunden individuell zur Verfügung gestellt.

Ein weiteres Problem, das bei diesem Thema auch nicht vergessen werden darf: der Datenschutz. Die Bestimmungen können sich von Seite zu Seite sehr unterscheiden. "Nutzer können nicht ausschließen, dass ihre Daten für andere Zwecke verwendet oder weiterverkauft werden", warnt Verbraucherschützerin Behrendt. "Gerade bei scheinbar kostenlosen Angeboten 'bezahlt' man häufig mit den persönlichen Angaben."

Das gilt auch für Diagnose-Websites. Ihresymptome.de schreibt beispielsweise zu den gesammelten Daten: "Sie dürfen auch für Werbung, verkaufsfördernde Aktionen, Sponsoring, Marketing, Planung, Produktentwicklung und für die Forschung genutzt und für diese Zwecke an Dritte weitergegeben werden." Es lohnt sich also, vor der Nutzung der Webseiten in die Datenschutzrichtlinien des Anbieters zu schauen. Besonders achten sollte man auf die "Weitergabe an Dritte" und überlegen, ob es einem das wert ist. Hundertprozentigen Schutz der Daten gibt es für Verbraucher ohnehin nur auf eine Art: die Seiten nicht aufrufen.

Die Ärztekammer Nordrhein hat keine abschließende Meinung zu den Angeboten. Bedenklich findet deren Vizepräsident Bernd Zimmer aber Seiten, auf denen Nutzer unbegrenzt viele Symptome ankreuzen können. "Die beliebige Auswahl aus einer Vielzahl von Symptomen kann den Nutzer beeinflussen, ohne dass ihm das bewusst wird, und damit zu fehlerhaften oder gar falschen Ergebnissen führen." Ein Frage-Antwort-System beispielsweise sei dagegen nicht schlecht, urteilt der Ärztevertreter. Dieses könne Betroffenen "erste Anhaltspunkte liefern". Schließlich erstellten Ärzte ihre Ausschlussdiagnosen auf ganz ähnliche Weise. Auch zur Vorbereitung auf das Patienten-Arzt-Gespräch könne der Besuch einer fachlich korrekten und durch Fragen gut strukturierten Seite hilfreich sein. Der Patient sei dann unter Umständen eher in der Lage, einige seiner Symptome strukturiert darzustellen.

Aber auch Zimmer unterstreicht, dass kein Diagnosesystem das direkte Gespräch ersetzen könne: "Im direkten Patienten-Arzt-Gespräch können zahlreiche auch nonverbale Kommunikationsebenen für eine Diagnose zusätzliche wichtige Fakten liefern." Weiche die Diagnose von der des Internets ab, sei das in der Regel auch kein Problem. Die wenigsten Patienten vertrauten dem Internet mehr als ihrem Arzt. Eine haftungsrechtliche Verantwortung der Betreiber ist nach Zimmers Einschätzung aber noch zu klären.

Auch Marianne Brenner glaubt ihrem Arzt, wenn er ihr sagt, dass ihr nichts fehlt. Doch sie vertraut gleichzeitig dem Internet und sucht deshalb immer weiter. Vor Kurzem allerdings hat sie in einem Internet-Gesundheitsforum gelesen, dass einer Studie zufolge 60 Prozent der Gesundheitswebsites mit ihren Aussagen danebenlägen. Ausnahmsweise mal gute Nachrichten für Brenner.

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