1 subscription and 0 subscribers
Article

Leaving Albania Behind

Egal was? "Egal was", sagt Dimitri. Der Mann sitzt auf einem großen Balkon mit Blick auf die Bucht von Sarandë, einer heruntergekommenen Touristenstadt im Süden von Albanien. "Wenn ich in Deutschland wäre", so der Mittzwanziger, „würde ich dort alles machen, ich würde jede Arbeit nehmen." Dimitri hat sich über Geldwechselkurse informiert, darüber, wieviel man in Deutschland durchschnittlich verdient und was man sich davon leisten kann. Seitdem steht fest: Er möchte nach Deutschland.

Dimitri betreibt in Sarandë ein Hostel. Sarandë ist zwar eine Touristenstadt, aber Touristen sind selbst im Sommer rar gesät. Auf der Straße drängen sich die Einheimischen um jeden, der nach Urlauber aussieht, und flehen ihn an, ein Zimmer zu mieten oder ein Busticket zu kaufen. "Wenn die Sommersaison Ende August vorbei ist und alle Touristen fort sind, muss jeder genug haben, um durch den Winter zu kommen", sagt Dimitri. Auch er hat jedes Jahr Probleme, finanziell über den Winter zu kommen, obwohl es ihm noch vergleichsweise gut geht. "In Sarandë", sagt er tonlos, „gibt es nichts." Von seinem Balkon aus sieht er auf nackte Betonbauten, von denen viele erst halb fertig sind und wie Skelette in den blauen Himmel ragen. „Viele davon wurden da bloß hin gebaut, um Geld zu waschen", sagt Dimitri. Ein wirkliches Interesse, die Häuser fertig zu bauen, hätten die Besitzer nicht.

Genau wie Dimitri glauben viele Albaner nicht an eine Zukunft im eigenen Land. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus hat Albanien eine sehr hohe Auswanderungsquote. 1,25 Millionen Albaner lebten 2014 im Ausland, in Albanien selber leben nur 2,89 Millionen. In Deutschland sind um die 200.000 Menschen mit albanischen Wurzeln, davon sind allerdings die meisten Kosovo-Albaner, die während des Kosovokrieges vor gut 16 Jahren aus ihrem Land geflohen sind. Der größte Teil der ausgewanderten Albaner lebt in den angrenzenden Ländern vor allem in Mazedonien, im Kosovo und Griechenland, aber auch in Italien und der Türkei.

Die politische Situation in Albanien ist alles andere als transparent, Korruption an der Tagesordnung. Trotzdem ist das Land Beitrittskandidat für die EU. Bis Albanien es aber tatsächlich in die Union schafft, wird wohl noch eine lange Zeit vergehen. Es gibt zwei große Parteien, die Sozialisten und die Demokraten. Diese bekommen bei den Wahlen abwechselnd die Mehrheit und machen in der Regel das rückgängig, was die andere Partei vorher aufgebaut hat. Manchmal auch ganz wörtlich: So hat der 2013 gewählte Präsident Edi Rama von der Sozialistischen Partei nach seinem Amtsantritt die komplette Inneneinrichtung des Regierungssitzes herausgerissen und erneuert. Seine Anhänger halten den ehemaligen Basketballspieler und Bürgermeister von Tirana für einen ehrlichen Hoffnungsträger und guten Repräsentanten des Landes. Allerdings ist im September ein inoffizieller OECD-Bericht aufgetaucht, der den Verdacht nahelegt, dass Rama 200 Millionen Euro auf ausländischen Konten angehäuft hat - angeblich Schmiergelder aus der Zeit, in der er als Bürgermeister von Tirana für die Vergabe von Baugenehmigungen zuständig war.

Auch die wirtschaftliche Situation Albaniens ist schwierig. Problematisch ist vor allem die Infrastruktur. Das Straßennetzwerk in dem bergigen Land ist schlecht ausgebaut, nur die wenigsten von ihnen sind asphaltiert, und es gibt nur wenige Bahnverbindungen. In den Dörfern gibt es häufig nicht einmal geteerte Straßen und oft kein fließendes Wasser. Kein Wunder also, dass es nur wenig Industrie gibt. In den bergigen Gebieten landeinwärts leben die Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft. Tourismus ist zwar wichtig für das Land, allerdings nur in den Küstenstädten - und auch die ziehen weitaus weniger Urlauber an als die Küstenorte in Griechenland oder Kroatien. In welche Richtung sich die Wirtschaft in den nächsten Jahren entwickeln wird, ist schwer zu sagen, aber die Grundstimmung ist pessimistisch. Viele Menschen wollen deshalb ihr Glück woanders versuchen.

Zwischen Januar und August 2015 gab es in Deutschland 37.669 Erstanträge auf Asyl von Albanern, so ein Report des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Nur aus Syrien gab es mehr Anträge. Letztes Jahr stellten im selben Zeitraum nur 5151 Albaner einen Erstantrag.

Die Massenemigration stellt das Land vor viele Probleme. Besonders der sogenannte Brain Drain ist fatal: Viele Akademiker gehen ins Ausland; zwischen 1991 und 2008 taten das rund 40 Prozent der Akademiker. Zwar hat sich der Brain Drain seitdem abgeschwächt, aber der allergrößte Teil der Akademiker ballt sich in der Hauptstadt Tirana, während sie in anderen Städten fehlen. Aber Albanien leidet nicht bloß unter den abwandernden Universitätsabsolventen. Potentielle Investoren werden abgeschreckt, weil - auch gut ausgebildete - Arbeitskräfte das Land verlassen Besonders im Norden des Landes gibt es Gegenden, wo auf einen Schlag eine große Anzahl von Menschen verschwand. Mat, ein Bezirk nördlich von Tirana, gehört zu den am schwersten betroffenen. "Mir wurde gesagt, dass alleine im August 7000 Leute Mat verlassen haben", sagt Barbara Richardson, die für den American Peace Corps als Entwicklungshelferin mit Schulen in Burrel, der Hauptstadt des Bezirks, und in den umliegenden Dörfern zusammenarbeitet. Hauptsächlich sind es die jungen Leute, die fortgehen. Die Arbeitslosenquote bei den 15- bis und 29-Jährigen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Je geringer die Qualifikation, desto geringer sind auch in Albanien die Aussichten auf Arbeit: Unter allen im Jahr 2014 registrierten Jobsuchenden hatten nur fünf Prozent einen Universitätsabschluss, 95 Prozent hatten keinen.

Unter den Perspektivlosen hat Deutschland einen guten Ruf. "Die Leute hier haben gehört, dass Deutschland sehr offen ist und Menschen aus anderen Ländern willkommen heißt", sagt Barbara Richardson. Doch für die meisten Albaner endet der Weg nach Deutschland mit einer Enttäuschung. Im September hat Kanzlerin Angela Merkel erklärt, dass Albanien als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden soll. "Auf dem westlichen Balkan sind wir schon seit einigen Monaten dabei, den Menschen etwa im Kosovo, in Albanien, in Serbien, in Bosnien-Herzegowina zu erklären, dass sie keine Perspektive haben, beziehungsweise, dass jedenfalls nur ein verschwindend kleiner Teil der Menschen eine echte Perspektive hätte, bei uns überhaupt politisches Asyl zu bekommen", sagte Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtigen Amtes, im September bei einer Bundespressekonferenz. "Wir erklären den Menschen, dass sie Gefahr laufen, nach kurzer Zeit in ihre Heimatländer zurückverbracht zu werden." Chance auf Asyl hat nur, wer beweisen kann, politisch verfolgt zu werden. In Albanien ist das kaum der Fall. Die deutsche Botschaft in Tirana hat Aufklärungskampagnen in auflagestarken Zeitungen in Albanien gestartet, um klarzumachen, wie aussichtslos ein Asylantrag ist. Der Botschafter ist in die Gebiete gereist, aus denen besonders viele Menschen auswandern, um dort direkt mit den Menschen zu sprechen. Gleichzeitig jedoch fahren zwielichtige Geschäftemacher mit Bussen in die abgelegenen Dörfer und bieten für viel Geld Fahrten nach Deutschland an. Das tun sie mit viel Erfolg. Denn Deutschland bleibt der Realität zum Trotz der Traum vieler Albaner. Auch der von Dimitri aus Sarandë.

Original