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Uno-Verbrechensbericht: Was tödliche Gewalt fördert

Durch Mord und Totschlag kommen weltweit mehr Menschen ums Leben als durch Terrorismus oder Kriege. Besonders schlimm ist die Situation in Mittelamerika - warum?

464.000 Menschen sind im Jahr 2017 weltweit durch Mord und Totschlag ums Leben gekommen - viermal so viele Menschen wie durch bewaffnete Konflikte und Terrorismus. So steht es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Uno-Büros für Drogen und Verbrechensbekämpfung.

Visualisiert man die Anzahl der Tötungsdelikte auf einer Karte, sticht ein Land sofort als dunkelroter Fleck hervor: Honduras. Dort starben 2017 dem Bericht zufolge 3864 Menschen durch Mord und Totschlag - und das war sogar ein Jahr mit vergleichsweise wenig Toten: Seit 2010 waren es in Honduras insgesamt 47.000 Mord- und Totschlagsopfer. Auf 100.000 Einwohner kamen also 68 Tote pro Jahr - in keinem anderen Land der Welt gab es zwischen 2010 und 2017 anteilig mehr Tötungsdelikte.

Auch die Nachbarländer sind gefährlich: In Mittelamerika kommen im Jahr 24 Menschen je 100.000 Einwohner durch Tötungsdelikte ums Leben, in Südamerika sind es 16. Nur im Süden Afrikas ist die Tötungsrate mit 23 getöteten Menschen je 100.000 Einwohnern ähnlich hoch. Dort liegen aber nur für wenige Länder Daten vor.

Warum sind die Zahlen gerade in diesen Regionen so hoch, aus welchen Gründen leben Menschen in Mittelamerika so gefährlich? Eine einfache Erklärung gibt es dafür nicht. Allerdings nennen die Uno-Studie und Sicherheitsforscher einige Faktoren, die nach ihren Erkenntnissen einen Einfluss haben dürften:

Die Vermögensverteilung innerhalb eines Landes hat offenbar eine besondere Bedeutung. In der Uno-Studie heißt es: Länder mit großer Lücke zwischen Arm und Reich hätten "eine größere Wahrscheinlichkeit für höhere Tötungsraten als Länder mit weniger ausgeprägter Einkommensungleichheit".

Das trifft zum Beispiel in Mittelamerika zu: Honduras hatte zwischen 2010 und 2017 die höchste Tötungsrate - und auch die größte Einkommensungleichheit. Forscher messen diese mit dem sogenannten Gini-Index: Je höher der Wert, desto größer ist die Kluft zwischen Arm und Reich.

Warum führen größere Einkommensunterschiede zu mehr Gewalt? Die Menschen seien frustriert, dass vom wirtschaftlichen Erfolg des Landes wenig bei ihnen hängen bleibe, erklärt Friedensforscher Christian von Soest. Er leitet den Fachbereich Frieden und Sicherheit am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien. "Man sieht, dass es aufwärts geht, gleichzeitig profitieren aber nur wenige von der wachsenden Wirtschaft. Oft gibt es eine reiche Führungsschicht, die sich abgrenzt." Daraus könne nicht nur ein Gefühl der Benachteiligung, sondern auch Verzweiflung entstehen. "Für einige, gerade junge Männer, ist das der Anlass für Gewalt."

Trotzdem gibt es Länder mit ungleich verteilten Einkommen, in denen Menschen vergleichsweise selten Opfer von Mord und Totschlag werden. So werden in Chile oder Kamerun im Jahr weniger als vier Menschen je 100.000 Einwohner getötet. Einkommensunterschiede allein können Morde und Totschlag also nicht erklären.

Eine schlechte Ausbildung in Kombination mit einer jungen Bevölkerung und hoher Arbeitslosigkeit könne die Menschen in Kriminalität abrutschen lassen, schreibt die Uno in ihrem Bericht. Wenn man die Zahl der Tötungsdelikte senken wolle, seien Investitionen in Bildung sogar vielversprechender als Prävention oder Bestrafung, heißt es im Bericht. Friedensforscher Christian von Soest betont: "Gerade junge Männer mit einer Ausbildung können und wollen andere Chancen nutzen."

Die Effizienz der Strafverfolger spiele eine Rolle, ist sich von Soest sicher: "Wenn Menschen das Gefühl haben, dass kriminelles Verhalten nicht bestraft wird, empfinden sie das nicht nur als unfair. Es steigt dadurch auch für einige der Anreiz, selbst kriminell zu werden." Die Empfehlung der Uno: die Strafverfolgung verbessern und die Unabhängigkeit der Gerichte stärken.

Der Bildungsstand oder auch die Einkommensverteilung sind Faktoren, die überall auf der Welt eine Rolle spielen. Von Region zu Region haben die Forscher jedoch auch eine Reihe spezifischer Probleme ausgemacht. In Mittelamerika sind das vor allem die gewalttätigen Gangs. In Honduras nennen sie sich MS-13 oder 18th Street Gang: Die Männer erpressen die Bewohner von Städten und Dörfern, ermorden diejenigen, die kein Schutzgeld zahlen.

Nach Angaben der "New York Times" haben die Gangs in Honduras seit 2010 mehr als 1500 Menschen umgebracht, die im Transportsektor arbeiten. Sie fahren Busse, Taxis, Motorräder - und müssen eine sogenannte war tax zahlen, oft an mehrere Gangs gleichzeitig.

Die Gangs terrorisieren nicht nur Honduras. Weite Teile Mittelamerikas haben große Probleme mit organisierter Kriminalität. In Mittel- und Südamerika werden zudem laut Uno so viele Morde mit Waffen begangen wie nirgendwo anders auf der Welt.

Alleine in Honduras sind laut Schätzungen von Experten 1,2 Millionen private Waffen im Umlauf. Was diese Zahl besonders gefährlich macht: die fehlende Kontrolle. Laut Friedensforscher Christian von Soest zeige der Uno-Bericht, "wie gefährlich es ist, wenn der Zugang zu Waffen nicht reguliert ist". Während die Tötungsrate seit Anfang der Neunziger in fast allen Weltregionen zurückgegangen ist, hat sich die Quote in Lateinamerika auch deshalb fast verdoppelt.

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