Es ist eine ganz neue Ausflugsfahrt, die Busunternehmer Karl-Heinz Dott im Programm hat: „Frankfurt Primark". Wer sie bucht, wird für 18 Euro 150 Kilometer aus dem Eifelörtchen Mayen nach Frankfurt gefahren, um dort im Klamottendiscounter Primark einzukaufen. Die nahe Einkaufsstadt Koblenz bleibt links liegen. Primark ist beliebt, weil hier angesagte Kleidung zu extrem niedrigen Preisen zu haben ist. Es gibt aber nur wenige Filialen im Land.
Obwohl die Tour erst in einem Monat startet, ist sie schon fast ausgebucht. Vielleicht schickt Dott sogar einen zweiten Bus nach Frankfurt. Die neue Fahrt reiht sich ein in eine Liste mit Tagesausflügen wie „Verkaufsoffen in Maastricht" oder „Shopping in Köln".
Dott profitiert von einem Phänomen, das alte Einkaufsgewohnheiten umkrempelt: Längst frequentieren die Deutschen nicht mehr nur die Fußgängerzonen in der Nähe ihres Wohnorts. Wer das Einkaufserlebnis sucht, nimmt dafür auch weite Wege in Kauf. Selbst Großstädter fahren zum Einkaufen in andere Metropolen, obwohl sie in den Ladenstraßen ihres Wohnortes insgesamt vielleicht eine größere Auswahl und Vielfalt vorfinden würden.
Neue Einkaufsstraßen kennenlernen„Wien, Salzburg, Innsbruck", zählt ein Passant aus München in der Frankfurter Fußgängerzone auf, der mit seiner Frau öfter auswärts einkauft, um neue Einkaufsstraßen kennenzulernen.
„Ich fahre diesen Samstag von Hamburg nach Bremen. Möchte zu Primark", ist in einem Internetforum zu lesen. „Ich habe noch vier Plätze auf dem Ticket frei und suche nette Mitfahrgelegenheiten." Und eine Bremerin wiederum berichtet auf ihrem Blog von ihrem Einkaufsausflug nach Oldenburg, wo die Textilkette Gina Tricot eine Filiale hat. „Klasse, wenn es ein paar Shops nicht direkt vor der Haustür gibt, so bleibt immer noch etwas Besonderes außerhalb."
Großes Angebot, günstige Preise, schönes ErlebnisFast drei Viertel der Deutschen unternehmen mehrmals im Jahr Einkaufsausflüge, hat das Meinungsforschungsinstitut Emnid für die Kreditkartenfirma Visa erfragt. Davon fährt rund ein Fünftel normalerweise mehr als 50, sieben Prozent sogar mehr als 100 Kilometer, um einzukaufen. Besonders junge Leute unter 30 nehmen weite Wege in Kauf. Das Angebot in der Nähe des eigenen Wohnorts reichte einfach nicht aus, findet mehr als die Hälfte der Einkaufstouristen. Auch günstige Preise spielen demnach eine wichtige Rolle für die Auswahl des Einkaufsziels, außerdem müsse Einkaufen ein schönes Erlebnis sein.
Handelsforscher beschäftigen sich schon länger mit Einkaufsreisenden. Da gibt es erstens die „Smart Shopper", wie sie Elmar Kulke von der Humboldt-Universität Berlin nennt, „die sich vor dem Einkauf informieren, wo sie teure Markenprodukte zum Schnäppchenpreis erstehen können." Dazu zähle etwa die Kundschaft von Fabrikverkäufen. Zweitens die „Erlebnis-Shopper", die nicht nur einkaufen wollen, sondern zum Beispiel auch Sehenswürdigkeiten oder Kino auf dem Programm haben.
Neue Marken und VerkaufskonzepteWas auf dem Radar der Wissenschaftler noch fehlt: Neue, bekannte Marken, die es aber noch nicht überall gibt. Meistens sind das international bekannte Unternehmen, die erst langsam in deutsche Innenstädte und Einkaufszentren vordringen. Sie bedienen Marktnischen, inszenieren ihre Produkte effektvoll und zelebrieren Ladeneröffnungen wie Popkonzerte. Das macht sie auch außerhalb der klassischen Einzugsgebiete beliebt.
Primark ist längst nicht der einzige Anbieter mit solch Magnetwirkung. So lockt die spanische Kette Bershka junge Leute mit den „neuesten Modetrends" für wenig Geld in ihre Geschäfte. Mit wöchentlich wechselnden Kollektionen wirbt das schwedische Unternehmen Gina Tricot. Die amerikanische Modefirma Abercrombie & Fitch, einschließlich der Tochtermarke Hollister, setzt auf dunkle, mit lauter Musik beschallte Boutiquen, die nach dem betriebseigenen Parfum riechen und in denen die Kunden „Store Models" statt Verkäufern begegnen. Der amerikanische Händler Urban Outfitters hat „Lifestyle-Produkte" von der Jeans bis zum Bilderrahmen im Angebot.
Mobile Kunden suchen sich aus, wohin sie zum Einkaufen fahrenDie veränderte Einkaufsorientierung führt zu ganz neuen Konkurrenzverhältnissen: Die Lieblingsmarke oder die Suche nach neuen Läden sind für den Besuch einer Stadt plötzlich wichtiger als großstädtisches Flair - letzteres war laut Rolf Monheim von der Universität Bayreuth, der sich seit Jahrzehnten mit Shoppingtourismus beschäftigt, ein klassisches Motiv für Einkaufsreisen. „Frankfurt muss sich um attraktive Anbieter bemühen", sagt Silvio Zeizinger vom hessischen Einzelhandelsverband. Sonst würden die Leute zum Beispiel nach Düsseldorf fahren, um einzukaufen.
Der Bus von Karl-Heinz Dott aus der Eifel soll seine Gäste fast bis vor die Ladentür von Primark fahren. Morgens hin, abends zurück. Eine Mitarbeiterin des Transportunternehmens hatte selbst im Billigladen Primark eingekauft und erkannte das Potential für den Reiseveranstalter. Die nächste Bustour ist Ende Mai.
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