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Insekten essen fürs Klima | Forum - Das Wochenmagazin

abgebrannter Regenwald in Brasilien

Es ist nichts Neues, dass die meisten Menschen zu viel Fleisch essen. Ebenso wenig, dass das nicht nur ihnen selbst, sondern auch dem Klima schadet. Neu ist die wachsende Zahl an Alternativen. Diese erfordern etwas Überwindung, könnten sich jedoch auszahlen.

Die Erdatmosphäre erwärmt sich und noch immer wollen viele Menschen ihren Anteil an dieser Tatsache nicht sehen. Dabei beginnt dieser bei den meisten bei alltäglichen Dingen wie dem Fleischkonsum.

Der Regenwald brennt für unseren Fleischhunger

Mehr als zwei Drittel der Regenwaldzerstörung geht nach Angaben der Umweltschutzorganisation Less Meat Less Heat auf das Konto der Fleischwirtschaft. Der Amazonas-Wald weicht vor allem Rinderzüchtern und Soja-Fabrikanten, die ihre Ernte zu Viehfutter verarbeiten. 90 Prozent der abgeholzten und abgebrannten Amazonas-Flächen werden für die Viehhaltung genutzt. Weltweit verursacht die landwirtschaftliche Tierhaltung schon rund 15 Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen. In Deutschland dienen rund 60 Prozent der Agrarflächen der Fleischproduktion. Für pflanzliche Lebensmittel zur Ernährung der Menschen fehlt dann der Platz.

Fisch ist bald aufgebraucht

Fisch überzeugt als Alternative zum Fleisch nicht. Es gibt für unseren Hunger schlicht zu wenig. Neun von zehn großen Fischen haben die Menschen schon aus den Meeren und Ozeanen geholt. Hinzu kommen enorme Mengen an sogenanntem Beifang. Das sind Fische, die in den Netzen hängen bleiben, ohne dass man sie verwertet. Die Fischer werfen sie - meist tot - wieder über Bord. Geht es so weiter wie bisher, sind die Meere bis 2048 leer gefischt. Wildlebende Salzwasser-Speisefische wird es dann nicht mehr geben. Seit 2014 liefern Fischzuchten weltweit mehr Fisch als die Ozeane.

So wird Aquakultur nachhaltiger

Auch die Aquakulturen haben beim Thema Nachhaltigkeit noch viel Luft nach oben: Lachs zum Beispiel wird vor allem mit Fischmehl aus anderen Fischen gefüttert. Die Tiere leben - wie Rinder und Schweine in der Massentierhaltung an Land - auf engem Raum und infizieren sich häufig mit ansteckenden Krankheiten. Um diese in Schach zu halten, füttern die Züchter ihre Fische mit Antibiotika, die wir dann mitessen. Die Folge: Beim Menschen wirken zahlreiche Antibiotika nicht mehr, weil die Keime Resistenzen gebildet haben. Hinzu kommt, dass der Kot der Zuchtfische die umliegenden Gewässer überdüngt. Besser fällt die ökologische Bilanz bei Bio-Fischzuchten aus. Wer sich an die Regeln der Bio-Anbauverbände hält, darf zum Beispiel - wie auf Bio-Bauernhöfen - Antibiotika nur Tieren verabreichen, die wirklich krank sind.

Nach einer Untersuchung des Öko-Institutes stammen nur zwei Prozent des in Deutschland verspeisten Fisches aus hiesiger Aquakultur. Diese liefere jährlich 20.000 Tonnen Fisch. Die Autorinnen und Autoren empfehlen Fisch aus heimischer Zucht, vor allem Karpfen und Forelle, die nicht mit Fischmehl gefüttert werden. Die Fischzüchterinnen und Fischzüchter sollten geschlossene Wasserkreisläufe und erneuerbare Energien nutzen und ihre Tiere vor allem mit umweltverträglichen Stoffen wie Mikro­algen, Ölsaaten und Insektenprotein füttern. 2018 erschien dazu die Studie „Politik für eine Nachhaltige Aquakultur 2050" mit zahlreichen Empfehlungen.

Fleisch aus Insekten - was für viele eklig klingt, könnte langfristig eine gute Alternative sein - Foto: picture alliance / dpa | Friso Gentsch

Grillen auf den Grill

Einen Boom erleben derzeit vegetarische und vegane Produkte. Die Rügenwalder Mühle nennt ihre vegetarischen Produkte „den Wachstumstreiber" des Unternehmens. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2021 97.900 Tonnen Fleischersatzprodukte produziert, deren Wert sich im Vergleich zum Vorjahr um 22,2 Prozent auf 458,2 Millionen Euro erhöhte. Trotz allem betrug jedoch der Wert von in Deutschland produziertem Fleisch immer noch rund das 80-fache des Wertes der Fleischersatzprodukte. Hinzu kommt, dass man vegane Burger aus Soja, Weizenschnitzel, Gemüsebratlinge oder Lupinen-Bolognese nur in wenigen Supermärkten findet. Und, wo sie angeboten werden, sind sie meist teuer. Rentabel und damit günstig werden die Produkte erst, wenn sie in großen Mengen verkauft werden. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Geringe Mengen, hohe Preise, geringe Nachfrage.

Vor diesem Problem stehen auch die Pioniere der nächsten Ernährungsrevolution: Sie verwenden statt Fleisch von Rindern, Hühnern und Schweinen Insekten. Das Münchner Start-up Wicked Cricket begann 2020 mit der Produktion von Bio-Snacks aus Grillen. Die Gründer züchteten die Tiere in ihrer Wohnung, später dann in einem Container auf dem Gelände des Bahnwärter Tiel, einem Kultur- und Gründerzentrum auf dem ehemaligen Schlachthofgelände. An die 2.000 Insektenarten, darunter Grillen, Mehlwürmer und Heuschrecken, eignen sich bestens für die menschliche Ernährung. Sie liefern pro Kilogramm Biomasse wesentlich mehr Proteine, Ballaststoffe, Vitamine, Mineralien und ungesättigte Fettsäuren als etwa Fleisch oder Fisch. Grillen enthalten zum Beispiel etwa doppelt so viel Eisen wie Rindfleisch.

Eklig ist relativ

Was den Bewohnerinnen und Bewohnern Europas und Nordamerikas unangenehm oder gar eklig erscheint, ist in vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas oder Südostasiens normal. Weltweit essen nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO der Vereinten Nationen zwei Milliarden Menschen regelmäßig Insekten. Die FAO preist die Tiere als gesunde und sichere Lebensmittel an. Anders als bei Säugetieren ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass sich Menschen durch den Verzehr der Krabbler mit ansteckenden Krankheiten infizieren. Die Corona-Pandemie ist wie viele andere Seuchen eine sogenannte Zoonose. Der Sars-Cov-2-Erreger ist von Säugetieren auf Menschen übergesprungen. Je weiter wir den Lebensraum wild lebender Tiere einschränken und diese sogar verzehren, desto häufiger wird sich die Menschheit neue Pandemien einfangen.

Der hungrige Nachbar als Nützling des Bauern

Verglichen mit Rindern, Hühnern oder Schweinen lassen sich essbare Insekten billig und einfach aufziehen. Im niederländischen Rotterdam arbeitet das Start-up-Unternehmen De Krekerij mit Bauern zusammen, die ihre Kuhställe für die Grillen- und Heuschreckenzucht umbauen. Das Problem sieht Gründer Sander vor allem darin, den Menschen seine Insekten-Burger schmackhaft zu machen und damit in die Supermärkte zu kommen. Er versucht es mit wachsendem Erfolg über Spitzenköche, die anspruchsvollen probierfreudigen Gästen die neuen Spezialitäten in Feinschmeckerlokalen servieren. Peltenburgs Insekten-Bällchen schmecken frisch aus der Fritteuse leicht nussig, kräftig und intensiv. Ein wenig erinnern sie an Falafel.

Umwelt und Klima würden profitieren, wenn wir statt Fleisch Insekten essen würden: So braucht man für die Herstellung von einem Kilogramm Grillen-Fleisch 1,7 Kilogramm Futter, für ein Kilogramm Rindfleisch zwölfmal so viel. Hinzu kommt, dass im Schnitt rund 80 Prozent eines Insekts gegessen werden können. Beim Rind sind es nur 40 Prozent. Auch beim Wasserverbrauch schneiden zum Beispiel Heuschrecken deutlich besser ab als Rinder. Für ein Kilo Rindfleisch benötigt man 22.000 Liter Wasser, für ein Kilogramm Heuschrecken 2.500.

In Ostafrika sammeln die Menschen ihre Heuschrecken draußen in der Landschaft und helfen damit den Bauern, sich gegen den Kahlfraß auf den Feldern zu wehren. Der Nützling auf dem Acker ist hier der hungrige Nachbar. Weitere Vorteile: Insekten gedeihen am besten in der Enge. So benötigt man selbst für große Mengen wenig Platz. Die Krabbler produzieren keine Gülle, die man zum Schaden des Grundwassers auf die Felder verteilen muss. Das Klima profitiert davon, dass Insekten anders als Kühe kein Methan von sich geben. Auch Tiertransporte und der Betrieb von Schlachthöfen fallen weg, denn Insekten sterben von alleine, wenn man sie kühlt.

Alternativen für Fleisch gibt es, wie man sieht, viele. Manche davon klingen vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Sie könnten jedoch einen Versuch wert sein. Über den eigenen Schatten zu springen, kann neue Perspektiven eröffnen - auch für unser Klima.

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