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Zunehmende Gewalt gegen Journalisten

Hass macht hässlich: Demo gegen eine AfD-Kundgebung in München

Das gesellschaftliche Klima in Deutschland ist rauer geworden - trotz aller Solidarität - auch jetzt in der Coronakrise. Nicht nur der Chefvirologe der Charité und Podcaster Christian Drosten erhält Morddrohungen. Auch Medienschaffende berichten von immer mehr verbalen und körperlichen Angriffen. Die heute veröffentlichten Ergebnisse einer Umfrage unter Journalist*innen sowie jüngste aktuelle Ereignisse belegen das leider deutlich.

Im Oktober, November und Dezember 2019 haben Sozialwissenschaftler des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Uni Bielefeld Medienschaffende befragt. Das Ergebnis: Hass im Netz, so genannte Hate Speech, und Angriffe in der analogen Welt werden mehr und heftiger. 322 Journalistinnen und Journalisten haben den Online-Fragebogen zumindest teilweise ausgefüllt. Am 6. Mai stellte das IKG die Ergebnisse in einer Online-Pressekonferenz vor. Vor allem Medienschaffende, die über Migration, Flüchtlinge und kritisch über Rechtsextremismus berichten, erleben unflätige Beschimpfungen und körperliche Gewalt bis hin zu Morddrohungen. Fast zwei Drittel berichten von Angst, Stress und Unsicherheit in ihrer Arbeit infolge der Attacken, deutlich mehr als bei der letzten Befragung vor drei Jahren.

„Es ist beängstigend und deprimierend, so angegriffen und bedroht zu werden" zitiert Yann Rees, wissenschaftlicher Mitarbeiter des IKG, aus den Antworten. „Dies führt zu einer dauerhaft erhöhten psychischen Anspannung bei der Verrichtung der Arbeit. Das eigene Weltbild verformt sich negativ." Fast zwei Drittel der Befragten berichten von psychischen Belastungen durch Hasskampagnen im Netz und Angriffen in der realen Welt. Mehr als 80 Prozent der Attacken kämen von Rechten und Rechtsextreme wie den „Identitären", Pegida und der AfD.

Gewalt aus keiner Richtung hinnehmbar

Dass Extremisten jeglicher Richtung häufig gewalttätig unterwegs sind, zeigt der Angriff auf ein ZDF-Team, das für die „Heute Show" am 1. Mai während einer Demonstration gegen die Corona-Vorschriften am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin drehte. Eine Gruppe von etwa 15 Personen ging brutal gegen den Redakteur und die Kameraleute vor. Drei von ihnen sowie Wachleute wurden zum Teil erheblich verletzt, mussten im Krankenhaus behandelt werden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft kommen die mutmaßlichen Täter teilweise aus dem linken Spektrum. Die Ermittlungen, auch nach der konkreten Motivlage dauern an.

Aber auch Polizeigewalt ist leider erneut ein Thema dieser Tage. Auf einer Demo am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg traf eine Journalistin der gezielte Faustschlag eines Beamten mitten ins Gesicht. Verletzungen an der Nase und an mehreren Zähnen waren die Folge. Gegen den Beamten wird auch intern ermittelt. Als „völlig unvertretbar" bewertet die Landesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg, Renate Gensch, den Übergriff des Polizisten. „Die Polizei hat die Presse, die eine öffentliche Aufgabe erfüllt, zu unterstützen und vor Übergriffen zu schützen und nicht niederzuschlagen. Die Kollegin trug laut unseren Informationen zum Zeitpunkt des Angriffs ein Soundequipment, darunter eine lange Mikrofonangel, womit sie eindeutig als Pressevertreterin erkennbar war. Außerdem war das TV-Team bereits eine Weile mit der Polizistengruppe mitgegangen, um zu filmen", so Gensch in einer Presseinformation.

Etwa drei Viertel der Angriffe aus dem „rechten Lager"

Eine Dokumentation des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit bestätigt Erfahrungen mit Gewalt gegen Medienschaffende. „Feindbild Journalist - Bedrohung als Normalzustand" nennen die Leipziger Wissenschaftler ihre im März veröffentlichte Untersuchung, die in den vergangenen fünf Jahren 119 gewalttätige Angriffe auf Medienschaffende auflistet. Etwa drei Viertel davon kamen aus dem „rechten Lager".

Die Reporterin Sophia Meier hat unter anderem für Stern TV von den rechten Ausschreitungen in Chemnitz 2018 berichtet. Demonstranten hätten sie dort tätlich angegriffen. Schimpftiraden und persönliche Beleidigungen wie „Hau ab, Du dumme Fotze" seien auf solchen Demos schon „normal". Meier fühlt sich bei solchen Einsätzen „in einer leichten Bedrohungslage, sobald man auf die Menschen dort zugeht oder allein dort arbeitet." Die Hemmschwelle für Gewalt sei ihrer Meinung nach in den letzten Jahren auch deshalb gesunken, weil sich die „Grenze des Sagbaren" verschieben.

Ein Eindruck, den der Dortmunder Fotograf Robert Rutkowski bestätigt. Er fotografiert seit mehr als fünf Jahren auf rechten Demos im Ruhrgebiet. Seine Wohnung hat er wegen der vielen Attacken inzwischen „speziell gesichert". Genaueres will er nicht verraten, um Angreifern keine Tipps zu geben.

Wie viele Kolleginnen und Kollegen berichtet er, dass die Rechtsextremisten immer unverfrorener auf Medienleute losgingen: „Die fühlen sich so im Recht, dass sie gar nicht mehr merken, dass sie ständig Grenzen überschreiten, weil es für sie keine Grenzen sind", bestätigt Rutkowski den Eindruck seines schreibenden Kollegen Christian Fuchs von der „Zeit": Die Angreifer fänden „nichts Schlimmes mehr daran", ihre vermeintlichen Feinde zu attackieren, sagt dieser. Im Netz verbreiteten immer mehr User ihren Hass unter ihrem Klarnamen.

Hetze im Netz ist Vorstufe körperlicher Gewalt

Fuchs nennt die Hetze gegen Minderheiten, Geflüchtete, Linke, Politiker*innen oder Journalist*innen die „Vorform der physischen Gewalt". Rechte Portale hätten den 2019 ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke jahrelang „diffamiert und entmenschlicht", bis ihn ein Fanatiker schließlich erschoss.

Ob in der Umfrage des IKG oder im persönlichen Gespräch: Die bedrohten Journalistinnen und Journalisten wünschen sich mehr Rückhalt von Polizei, von Behörden und aus der Zivilgesellschaft. Fotograf Robert Rutkowski lobt das „Manifest der Freien" der Freischreiber. Der Verband hat eine Unterschriftensammlung für mehr Unterstützung der bedrohten Medienleute - auch von Verlagen und Sendern - gestartet.

Polizisten schauen amüsiert zu

Rutkowski wünscht sich ein „solidarisches Umfeld" - also Leute, die ihm helfen, wenn er wegen seiner Arbeit rechtliche Probleme bekomme oder nach einer Attacke im Krankenhaus lande. Mehrmals habe er schon Prügel angedroht bekommen. Einmal habe ein Bekannter den Schlag abgefangen, die ihm gegolten habe. Der Fotograf fühlt sich bedroht. Auf einer rechten Demo in Herne hätten ihn die Neonazis unter den Augen der Polizei bedrängt. Als sie versuchten, ihm einen Sticker auf die Jacke zu kleben, hätten die Polizisten nur amüsiert zugesehen. Am Rande einer rechten Demo im Ruhrgebiet habe es von einem Polizisten anhören müssen: „So wie Sie gegen Nazis oder gegen Rechte agieren, müssen sich nicht wundern, wenn es was auf die Fresse gibt." Ein anderer habe ihm auf einer für eine Demonstration gesperrten Straße gesagt: „Sie stehen auf einer Straße. Wenn Sie überfahren werden, räume ich ihren Dreck nicht weg."

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