Was tun, wenn man als Amateurfußballer vom DFB die Nase voll hat? Einen besseren Verband gründen! Verwandte von Franz Beckenbauer und Uwe Seeler haben es vorgemacht.
Es gibt genug Gründe, den Deutschen Fußball-Bund ( DFB) nicht zu mögen. Beim Problem von Rechts, das sich nicht nur in den Ligen, sondern auch rund um die eigenen Länderspiele zeigt, bleibt er seltsam still. Das Thema Stadionsicherheit hat er im vergangenen Herbst der DFL überlassen. Und der DFB begehrt auch nicht gegen die WM in Katar auf, gegen das Hickhack ob Sommer oder Winter, gegen die Bedingungen, unter denen Arbeiter dort die WM-Bühnen bauen.
Fifa-Kritik gibt es nicht, selbst beim Phantomtor von Stefan Kießling wird ängstlich der Weltverband angerufen, anstatt einmal Position zu beziehen. Als ob der DFB wirklich Angst hat, die Fifa könne sein Nationalteam wegen eines kaputten Tornetzes von der WM 2014 ausschließen.
Am heutigen Donnerstag kommt der DFB in Nürnberg zusammen. Zum Bundestag wie es etwas hochtrabend heißt. Doch es ist unwahrscheinlich, dass in diesen zwei Tagen die größten Probleme zur Sprache kommen. Stattdessen wird der Präsident Wolfgang Niersbach wiedergewählt. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht.
Das wäre vielleicht alles noch verschmerzbar, würde man als Amateurkicker nicht auch noch den DFB unterstützen. Wer in seinem Verein Fußball spielt, nimmt automatisch in dem vom DFB organisierten Ligabetrieb teil. Was tun, wenn man das nicht möchte? Ganz einfach: Einen neuen, anderen, besseren Verband gründen!
So diffus und utopisch ein Wunsch nach anderen Organisationsformen klingen mag: Es gibt in der deutschen Sportgeschichte Beispiele dafür, dass Alternativverbände funktionieren können. 40 Jahre lang existierte etwa der 1893 gegründete Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), der in Konkurrenz zum DFB einen eigenen Spielbetrieb organisierte und sogar eine eigene Nationalmannschaft hatte.
Alternative SportverbändeIn den zwanziger und dreißiger Jahren herrschte in Deutschland eine Vielfalt an eigenständigen Sport-Massenorganisationen, die heute unvorstellbar ist. Die größte war der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), allein die Fußballsparte hatte Ende 1932 fast 137.000 Mitglieder. "In Sachen Basisdemokratie und Geschlechtergleichstellung war der Arbeitersport wegweisend", sagt der Sportwissenschaftler Lorenz Peiffer, der ausführlich zum Thema Arbeitersport geforscht hat. Der Verband hatte sogar einen eigenen Verlag. Der generierte Einnahmen für ein Schulungszentrum in Leipzig, das Trainer und Schiedsrichter ausbildete. Auch die katholische Deutsche Jugendkraft (DJK) und die jüdischen Sportverbände Makkabi und Schild hatten ihren eigenen Spielbetrieb. Das gilt ab 1930 des weiteren für den kommunistischen Rotsport, der sich vom ATSB abgespalten hatte.
Besondere RegelnZum Selbstverständnis der Arbeiterfußballer gehörte es, die geltenden Regeln entsprechend den eigenen Bedürfnissen zu variieren. Bei Meisterschaftsspielen kamen teilweise Torrichter zum Einsatz. Damals mag das skurril gewirkt haben. Mittlerweile probiert bekanntlich die UEFA in der Champions League und der Europa League Torrichter aus und setzte sie nun sogar bei der Europameisterschaft ein. Im polnischen Arbeitersport gab es einst sogar einen linksradikalen jüdischen Verband namens Morgenstern, dessen Fußballspiele nicht nur durch Tore entschieden wurden. Während man heute sagt: "Für Schönspielerei gibt es keine Punkte", galt für die Morgenstern-Ideologen das Gegenteil. Auch die Ästhetik war ein Kriterium für das Endresultat.
Das österreichische ModellIm Nachbarland gibt es, anders als in Deutschland, neben den Fachverbänden drei - ungefähr gleich starke - Sportdachverbände. Zwei sind parteipolitisch orientiert: Die ASKÖ - ursprünglich Arbeiterbund für Sport und Körperkultur in Österreich, mittlerweile steht das a im Kürzel für "Arbeitsgemeinschaft" - ist eine so genannte Vorfeldorganisation der sozialdemokratischen SPÖ. Die Sportunion steht dagegen der konservativen ÖVP nahe. Offiziell überparteilich ist der Allgemeine Sportverband Österreichs. In einer Selbstdarstellung beantwortet die ASKÖ die Frage "Wozu braucht man drei Dachverbände?" mit einer Gegenfrage: Warum sollten für eine Demokratie mehrere Parteien die Grundvoraussetzung sein - und dies im Sport nicht gelten?
Die Bunten LigenIn den Bunten Ligen, deren Vereine Namen tragen wie Torpedo Wiesenriesen (Köln) oder Haxe des Bösen (Freiburg), leben Elemente des Arbeitersports wieder auf. Für die bunten Freizeitkicker, die in der Regel entweder Studenten sind oder eine Uni-Vergangenheit haben, ist Fairness ebenfalls das oberste Gebot. Auch die Haltung, die herrschenden Fußball-Regeln nicht unkritisch zu übernehmen, erinnert an den Arbeitersport. Sie variieren von Stadt zu Stadt, die Abseits- und Rückpassregel zum Beispiel werden unterschiedlich gehandhabt. Auch für Auswechslungen gelten unterschiedliche Regeln. Ihre Wurzeln haben die Bunten Ligen im linksalternativen Milieu, aber das ist nicht mehr in allen Städten spürbar.
Das Milieu ist heute vergessen - trotz bekannter Namen. Alfons Beckenbauer etwa, der Onkel eines später nicht unpopulären Liberos, spielte in den zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre für den ATSB-Klub Sportfreunde 1912 Giesing und bestritt fünf Länderspiele für die Nationalelf der Arbeitersportler. Uwe Seelers Vater Erwin, für den SC Lorbeer im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort aktiv war und im Broterwerb Hafenarbeiter, lief sogar neunmal für Deutschland auf.
Der Arbeitersport habe "eine Alternative zum vorherrschenden Gedankengut" aufgezeigt, "das Turnen und Sport auf wehr- und machtpolitische Ziele verpflichten wollte", sagte 1993 der damalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping anlässlich der Tagung "100 Jahre Arbeitersport". Vor dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik sei "der Arbeitersport das große Korrektiv des bürgerlichen Sports" gewesen. "So etwas fehlt heute", ergänzt der Freiburger Sporthistoriker Diethelm Blecking.
Proletarier waren GentlemenUnd Rolf Frommhagen, der ein Buch über jene "andere Fußball-Nationalmannschaft" geschrieben hat, für die der andere Beckenbauer und der andere Seeler kickten, hebt "die sportethische Grundhaltung im Arbeiterfußball" hervor. Die Proletarier waren Gentlemen, das "ging sogar so weit, dass unberechtigte Elfmeter bei klaren Spielständen ausgelassen, das heißt, am Tor vorbei oder dem Torwart in die Arme geschossen wurden".
Damit war es allerdings bald vorbei. Im Frühjahr 1933 verboten die Nazis die Arbeitersportvereine und beschlagnahmten deren Vermögen. Ähnlich erging es später den konfessionell ausgerichteten Sportverbänden. Nach 1945 konnte der Arbeitersport nicht wieder aufgebaut werden, weil es "die alten sozialen Milieus aufgrund von Migration, Flucht und Vertreibung nicht mehr gab", sagt Lorenz Peiffer, Professor für Sportwissenschaft an der Uni Hannover.