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Was die Flüchtlingshelfer bewegt

Migration, Flucht Willkommensultur, Flüchtlingskrise

Engagierte in Kirchheim berichten von viel Bürokratie in Behörden, Begegnungen mit „fremdenängstlichen" Bürgern und darüber, welche Defizite es in der Asylpolitik gibt Von Reinhard Stegen

Ob er sich noch einmal auf diese Aufgabe einlassen würde? Sein „Ja" kommt ohne Zögern: Keine Sekunde überlegt Jürgen Mendheim - so wie vor gut drei Jahren, als er Bürgermeister Hermann Lochbronner über den Weg lief und der dringend eine Kontaktperson für die ersten Flüchtlinge suchte, die in Kirchheim angekommen waren. Mit viel Engagement vermittelte Mendheim den Asylbewerbern die deutsche Sprache und half ihnen über organisatorische und bürokratische Hürden. Dass seine Aufgabe einmal Ausmaße wie im Spätsommer 2015 annehmen würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand.

Bis Ende 2015 stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Kirchheim zugewiesen wurden auf 70 und auch der Helferkreis hatte inzwischen gut 15 ehrenamtliche Mitglieder. Die Flüchtlinge waren in drei teils notdürftig hergerichteten Wohnungen untergebracht. In dieser Situation wurde klar, dass die damit verbundenen Probleme von den Ehrenamtlichen nicht auf Dauer zu bewältigen sein würden. Der Gemeinderat beschloss, Birgit Plhak als Koordinatorin in Teilzeit zu beschäftigen.

Regelmäßige Sprechstunden

Am Ende ihrer zunächst auf ein Jahr befristeten Tätigkeit präsentierte sie vor dem Marktrat ihren Bericht. So habe sich die Einrichtung regelmäßiger Sprechstunden für die Flüchtlinge bewährt, um Fragen zum Status der Asylanträge zu klären oder Formulare auszufüllen. Der Job habe sich aber stark verändert, findet auch Jürgen Mendheim, galt es doch, Menschen unterschiedlicher Herkunft, nicht selten traumatisiert, auf engstem Raum miteinander vertraut zu machen und im Ort zu integrieren. Eine Informationsveranstaltung für die Kirchheimer habe sich als sehr wirksam erwiesen, Vorbehalten, Misstrauen und der vielzitierten Fremdenfeindlichkeit vorzubeugen, findet Mendheim - wobei er „fremdenängstlich" in vielen Fällen für das passendere Wort hält.

Jürgen Mendheim und Birgit Plhak loben die gute Zusammenarbeit mit dem Landratsamt, insbesondere bei den organisatorischen Problemen, die sich immer wieder auftaten. So mussten etwa über Nacht 20 Flüchtlinge aus Boos vorübergehend aufgenommen werden, deren Unterkunft unbewohnbar geworden war. Ganz anders jedoch die Erfahrungen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in München: Schon bei der Terminvergabe hätten die Mitarbeiter für die Kirchheimer Flüchtlinge mit vergleichsweise langer Anfahrt keinerlei Flexibilität erkennen lassen. Langwierig sei auch das Prozedere in Sachen Arbeitserlaubnis gewesen, berichten die Helfer. Einer der Mitarbeiter im Bamf habe ihnen zu verstehen gegeben: „Keinen der Syrer werden Sie in ein Arbeitsverhältnis bringen, denn das ist ein Volk von Händlern."

Die Jobsuche kostet viel Zeit

Auch bei den Jobcentern liege manches im Argen, berichten Mendheim und Plhak. Weil sie selbst auf regionaler Ebene nicht vernetzt seien, musste die zeitintensive Suche nach einer Beschäftigung an den verschiedenen Dienststellen von Grund auf mit allen Formalien aufs Neue betrieben werden.

Weitaus gravierender sei jedoch, dass der Helferkreis aufgrund von Datenschutzgründen seitens der Behörden über die Vorgeschichte der Flüchtlinge im Unklaren gelassen werde. So sei es im November zu einem Fall schwerer Körperverletzung mit einem Polizeieinsatz gekommen, obwohl der beteiligte syrische Flüchtling bereits in seiner vorherigen Unterkunft als aggressiv und gewalttätig aufgefallen sei. Der Mann sei daraufhin in die Psychiatrie in Kaufbeuren eingewiesen worden, aus der man ihn aber wieder entlassen habe, weil er nicht suizidgefährdet sei. Dass er eine potenzielle Gefahr für andere darstellen könnte, habe keinerlei Reaktion ausgelöst.

Darüber, dass manche Flüchtlinge mehrere Identitäten vorweisen können, wundern sich Birgit Plhak und Jürgen Mendheim inzwischen nicht mehr. So würden die Namen und Angaben zur Person, teils aufgrund von Übersetzungsfehlern, falsch aufgenommen, wodurch verschiedene urkundliche Dokumente zu ein- und derselben Person produziert würden. So sei es auch im Fall eines in Kirchheim untergebrachten jungen Tunesiers gewesen: Nachdem er kein Bleiberecht erhalten habe, habe er sich bereit erklärt, wieder in seine Heimat zurückzukehren. Für den Mann führte der Weg jedoch über eine kurzzeitige Inhaftierung und für den Helferkreis über einen zähen Kampf mit Behörden und dem tunesischen Konsulat, das offenbar wenig Interesse für seine Bürger hege.

Der Dank der Flüchtlinge entschädigt

Entschädigt wurden Birgit Plhak, Jürgen Mendheim und der gesamte Helferkreis durch Erlebnisse tiefen Empfindens und der Verbundenheit mit den hier gestrandeten Menschen. Ein Beispiel hierfür war die Primiz von Simon Lochbrunner, zu der insbesondere Flüchtlinge aus Nigeria mit Liedern und Tänzen beigetragen hatten. So geriet diese Feier bei strahlendem Sonnenschein im September ein wenig auch zu einem Fest der Integration, das allen in Erinnerung bleiben wird.

Was Jürgen Mendheim nach all dem Erlebten nachdenklich stimmt, ist, wie wenig von all dem, was vor Ort geschehe, zu politischen Entscheidungsträgern dringe. Ob man heute im Fall eines erneuten Flüchtlingsansturms besser gerüstet sei? Das bezweifelt er.

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