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Höhepunkt im Holzbau

Auf den ersten Blick nicht als Holzhaus zu erkennen: e3 in Berlin

In Berlin entsteht zur Zeit das erste siebenstöckige Stadthaus in Holzbauweise Mit seiner Höhe von rund 25 Metern gehört das, von einer Baugruppe initiierte Gebäude zu den höchsten Holzhäusern der Welt - in Deutschland lag der Rekord bis dato bei sechs Geschossen. Um das Projekt realisieren zu können, musste ein ausgeklügeltes Brandschutzkonzept entwickelt werden.

Im kommenden März soll der vom vom Berliner Architekturbüro Kaden + Klingbeil geplante Holzskelettbau im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg bezugsfertig sein. Von außen wird man das Holz dann nicht mehr erkennen können: Aus Brandschutzgründen muss es hinter einer zehn Zentimeter dicken Schicht aus Mineralwolle versteckt werden. Trotzdem stellt das - nach der Adresse Esmarchstraße 3 kurz und werbewirksam E3 getaufte - Haus einen Höhepunkt im modernen Holzbau dar, und dies durchaus nicht nur im wörtlichen Sinne.

Generell hat die Holzbauweise in den letzten 20 Jahren eine Renaissance erlebt, sowohl bei öffentlichen Gebäuden wie Hallen, Kindergärten und Schulen als auch im Wohnungsbau, nachdem hölzerne Wohnhäuser in den zwei Jahrhunderten des industriellen Zeitalters weitgehend aus den deutschen Städten verschwunden waren. Nach den Angaben des Holzabsatzfonds, der zentralen Marketingorganisation der deutschen Forst- und Holzwirtschaft, wächst der Marktanteil des Baustoffs Holz am Wohnungsbau seit 15 Jahren überproportional: Bundesweit sind rund 15 Prozent des Gesamtbauvolumens von Ein- und Zweifamilienhäusern aus Holz, in Baden-Württemberg sogar über 20 Prozent. Rund 20.000 Eigenheime jährlich werden in Deutschland in Holzbauweise errichtet.

Ein solches Bauvolumen ist nur mit weitgehend industrialisierten Techniken zu bewältigen. So werden bei der Holzrahmenbauweise komplette Wand- und Deckenteile in einer Werkhalle vorgefertigt, sodass sie auf der Baustelle nur noch in Position gebracht und miteinander verbunden werden müssen. Bei der Holzskelettbauweise, wie sie beim Berliner E3-Projekt zur Anwendung kam, wird zuerst ein tragendes Gerüst aus senkrechten Stützen und waagerechten Riegeln montiert; danach werden die Zwischenräume mit aussteifenden Massivholzwänden geschlossen. Der hohe Vorfertigungsgrad und die durchgängig trockene Bauweise ermöglicht sehr kurze Rohbauzeiten von wenigen Tagen bis Wochen; bei E3 betrug sie insgesamt zehn Wochen, im Schnitt also zehn Tage pro Etage. Die kurze Bauzeit spart nicht nur Geld, sondern ist auch für das Bauen im Bestand günstig, da sich so die Behinderungen durch die Baustelle in Grenzen halten.

Günstige Ökobilanz

Auch in puncto Ökologie gibt es gute Argumente für den Holzbau: Holz ist ein natürlicher, nachwachsender Rohstoff mit sehr günstiger CO2-Bilanz; er steht in vielen deutschen Regionen in ausreichender Menge zur Verfügung und lässt sich mit relativ geringem Energieeinsatz verarbeiten. "Der Primärenergieaufwand für den Rohbau unseres Hauses liegt bei etwa 30 % eines traditionellen Stahlbeton- oder Ziegelrohbaus", hat E3-Architekt Tom Kaden ausgerechnet. Holz ermögliche zudem eine "natürliche Niedrigenergiebauweise", denn dank seiner guten Wärmedämmeigenschaften ließe sich bereits mit vergleichsweise geringen Wandstärken eine hohe Dämmwirkung erreichen. Der Energieverbrauch von E3 soll bei rund 40 kWh pro Quadratmeter Nutzfläche (KfW40-Standard) liegen. Außer über die niedrigen Energiekosten von 300 bis 350 Euro pro Jahr können sich die künftigen Wohnungseigentümer über das angenehme Raumklima freuen, das durch die temperaturausgleichende Wirkung und die hohe Feuchtigkeitsaufnahme von Holz entsteht.

Trotz all dieser Vorzüge gibt es bis heute nur vereinzelt Holzhäuser mit mehr als drei Geschossen, der Typus des klassischen städtischen Mehrfamilienhauses ist somit praktisch nicht repräsentiert. Dies liegt zum einen an den Landesbauordnungen, die solche Projekte bis vor wenigen Jahren kaum zuließen, zum anderen am Konservativismus der Baubranche. "Viele Architekten und Bauherren haben den Baustoff Holz einfach nicht auf dem Schirm", sagt Hermann Hallenberger, dessen Zimmerei Grünspecht seit 1994 Holz-Systemhäuser in der Region Freiburg im Breisgau baut - darunter das 2006 fertiggestellte vierstöckige Mehrfamilienhaus Vogelnest im Freiburger Öko-Neubauviertel Vauban. Tom Kaden gesteht den Freiburger Zimmerern ausdrücklich eine Vorreiterrolle zu: "Das Projekt Vogelnest - obwohl "nur" viergeschossig - war nicht nur sehr wichtig für den Holzbau schlechthin, sondern auch für unser Projekt in Berlin."

Aufwändiger Brandschutz

In der Tat handelt es sich bei beiden Bauten um Pilotprojekte, die nur über Ausnahmeregelungen der Landesbauordnungen realisiert werden konnten. So waren in Baden-Württemberg aus Brandschutzgründen bis 2005 nur maximal dreigeschossige Holzwohnhäuser erlaubt, heute liegt die Grenze in Berlin und den meisten anderen Bundesländern bei fünf Geschossen (Gebäudeklasse 4). Höhere Holzwohnhäuser wie E3, das zur Gebäudeklasse 5 (Fußbodenhöhe des obersten Geschosses maximal 22 Meter über Gelände) gehört, sind zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, allerdings haben die Planer in diesem Fall den Nachweis zu erbringen, dass mit geeigneten Maßnahmen ein mindestens gleichwertiger Brandschutz wie bei Massivbauten gewährleistet wird. Zu diesen Maßnahmen gehören bei E3 die Erschließung des Gebäudes über ein externes Betontreppenhaus mit kurzen Fluchtwegen, die Verkleidung aller tragenden Holzbauteile mit nicht brennbaren Materialien ("Kapselung") sowie der Einbau von Rauchmeldern in allen Räumen.

"Durch intelligente Planung kann ein Holzbau mittlerweile so sicher sein wie ein Betonbau", ist Tom Kaden überzeugt. Dabei machten die Berliner Architekten aus der Not eine Tugend, indem sie das Treppenhaus als separaten, statisch unabhängigen Baukörper ausgliederten. Durch diesen Kunstgriff wird nicht nur den Brandschutzauflagen Genüge getan; das in eine ansonsten lückenlose Häuserzeile aus der Gründerzeit eingefügte Gebäude erhält auf diese Weise eine dritte Fassade, die mehr Licht in die 120 bis 150 Quadratmeter großen Wohnungen einfallen lässt und einen Durchblick von der Straße in den Hof erlaubt. Zugleich lässt diese "luftige" Lösung den Siebengeschosser eleganter und weniger wuchtig erscheinen.

Die Kapselung der hölzernen Tragstruktur gewährleistet, dass das Holz im Brandfall frühestens nach 60 Minuten vom Feuer erreicht wird (Kapselklasse K60); außerdem sind die Stützen und Riegel mit einem Querschnitt von 30 mal 36 Zentimeter so großzügig dimensioniert, dass sie dem Feuer noch mindestens weitere 60 Minuten standhalten würden (Brandschutzklasse F60). Im Fall des Falles hätte die Feuerwehr für Anfahrt und Löschen also 120 Minuten Zeit. Holzbauexperten halten diese Anforderungen an den Brandschutz für überzogen: Sie argumentieren, dass E3 damit über dem Sicherheitsniveau der meisten Massivbauten läge, von den klassischen Berliner Mietshäusern der Gründerzeit mit ihren innen liegenden Treppenhäusern und Holzbalkendecken einmal ganz abgesehen. Denn ein vergleichbares, in Massivbauweise errichtetes Gebäude muss nach geltender Vorschrift (Brandschutzklasse F90) "nur" 90 Minuten standfest bleiben.

Hartnäckige Vorurteile

Tatsächlich können - eine ausreichende Dimensionierung vorausgesetzt - auch unverkleidete hölzerne Tragkonstruktionen dem Feuer lange Widerstand leisten. Entgegen der landläufigen Vorstellung dauert es nämlich relativ lange, bis ein dicker Holzbalken so weit durchgebrannt ist, dass er seine statische Funktion einbüßt. Denn die verkohlte Holzoberfläche bildet eine Schutzschicht, die den weiteren Abbrand verzögert. Im Brandfall sind daher nicht Holzwände, Holztreppen oder Holzböden problematisch - als eigentliche "Brandbeschleuniger" erweisen sich dann Vorhänge, Teppiche und Möbel. Am gefährlichsten aber sind Kunststoffe, die giftige Dämpfe verströmen und so die Flucht der Bewohner gefährden können. Deshalb sind kurze, sichere Fluchtwege und Rauchmelder in jedem Fall sinnvoll, nicht nur in Holzhäusern.

Das Image der leichten Brennbarkeit und auch der mangelnden Stabilität im Vergleich zu "massiven" Gebäuden haftet Holzbauten dennoch bis heute an, auch wenn diese Vorurteile in der Praxis nicht bestätigt werden - nicht zuletzt haben Fachwerkhäuser auch ohne die Erkenntnisse des modernen Ingenieurholzbaus Jahrhunderte überdauert. Nach Ansicht von Ludger Dederich vom Holzabsatzfonds hielten sich diese Vorbehalte insbesondere in Deutschland hartnäckig, was er mit dem Kriegstrauma der brennenden Städte und der mangelhaften Bauqualität der aus Holz errichteten Behelfsunterkünfte der Nachkriegszeit erklärt. In der Schweiz, in Österreich, in den skandinavischen Ländern und vor allem in Nordamerika stehe man dem Baustoff Holz deutlich aufgeschlossener gegenüber. "In anderen Ländern steht die Funktion des Baustoffs im Vordergrund", sagt Dederich. "Wenn man die verlangten Eigenschaften nachweist, kann auch ein Papierstapel eine Zulassung bekommen." Auch "Grünspecht" Hermann Hallenberger sieht die Skepsis gegenüber dem Holzbau als "besonderes deutsches Phänomen" an. "Es gibt immer noch Versicherungen, die für ein Holzhaus eine höhere Prämie verlangen als für ein Steinhaus."

Andererseits hat die neue Musterbauordnung (MBO) von 2002, welche die Grundlage für die Überarbeitung der Landesbauordnungen bildete, bereits einige Hürden für den mehrstöckigen Holzbau beseitigt - ohne diese Grundlage hätten weder der Berliner Sieben- noch der Freiburger Viergeschosser gebaut werden können. Ludger Dederich sieht die MBO 2002 als "ersten Schritt zu einer europäischen Harmonisierung im Holzbau", die der Holzbauweise den Weg ebnen könne: "Wir wollen das steinerne Berlin nicht abreißen, aber bei Neubauten soll Holz künftig als Alternative mit einbezogen werden." In diesem Sinne kann auch das in der Öffentlichkeit viel beachtete Berliner Projekt als Türöffner wirken, davon ist jedenfalls Architekt Tom Kaden überzeugt: "Behörden und Statiker mussten sich mit dem völlig neuen Baukonzept von E3 erst vertraut machen. Nachfolgende Bauherren werden es leichter haben."

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