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Separatismus auf Schienen

Die Förderfähigkeit von Stadtbahnprojekten verlangt viele Kompromisse – oft zu Lasten der Ästhetik und der Praktikabilität.

Die Straßenbahn ist mehr als ein Verkehrsmittel: Richtig geplant, kann sie Straßen und Plätze attraktiver machen. Doch die gesetzlichen Förderrichtlinien erschweren oftmals städtebaulich sinnvolle Lösungen.

Zähringen, Neue Messe, Rotteckring – Freiburg baut so viele Straßenbahnlinien wie lange nicht mehr. Dies geht nur dank umfangreicher Förderung durch Bund und Land, die bis zu 85 Prozent der zuschussfähigen Planungs- und Baukosten übernehmen. Doch damit die Zuschüsse fließen, müssen die Verkehrs- und Stadtplaner manche Kröte schlucken: Prominentestes Beispiel ist die östliche Basler Straße, die durch den Bau der Straßenbahn vor acht Jahren nach Meinung vieler eher verloren als gewonnen hat. Die nur 1,60 Meter breiten Bürgersteige laden niemanden zum Flanieren ein, Auto- und Radfahrer behindern sich auf den ebenfalls knapp bemessenen Fahrspuren gegenseitig - dafür hat die Straßenbahn freie Fahrt auf einem eigenen Gleiskörper in der Straßenmitte.

"Die aktuelle Verkehrssituation in der Basler Straße ist für alle Verkehrsteilnehmer sehr ungünstig und führt zu erheblichen Gefährdungen", meint Christian Kehl, Architekt und Zweiter Vorsitzender des Bürgervereins Mittel- und Unterwiehre. Er kritisiert vor allem die schmalen Gehwege sowie die geringe Fahrbahnbreite, die "regelmäßig zur Folge hat, dass Radler von überholenden Autos genötigt werden, auf den Fußweg auszuweichen". Drastischer drückt es sein Vereinskollege Jürgen Miehe aus: "Die Hatz auf Radfahrer ist regelrecht freigegeben."

Hans-Georg Herffs, Abteilungsleiter Verkehrsplanung im Freiburger Garten- und Tiefbauamt, mag zwar keine besondere Gefährdung in der Basler Straße erkennen, räumt aber ein, dass die dortige Lösung "niemanden hundertprozentig zufriedenstellt". Insbesondere seien die Gehwege zu schmal: "Wenn Müllabfuhrtag ist, kommen Sie mit dem Zwillingskinderwagen nicht mehr durch und müssen auf die Straße ausweichen - eigentlich ein Unding." Günstiger wäre seiner Ansicht nach eine Gehwegbreite von mindestens zwei Metern gewesen, dafür hätten sich dann Straßenbahn und Autos eine gemeinsame Verkehrsfläche teilen müssen. Doch für diese pragmatische Lösung hätte es keine Fördermittel gegeben und die Straßenbahn hätte in diesem Abschnitt nur ohne Zuschüsse - und somit vermutlich gar nicht - gebaut werden können.

"Schuld" an solchen Ärgernissen sind die Vorgaben des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) in Verbindung mit technischen Richtlinien wie der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BOStrab). "In Deutschland sind wir beim Bau von Stadtbahnstrecken sehr stark durch technische Vorgaben geprägt, die Sicherheit steht an erster Stelle", erklärt Verkehrsplaner Herffs. So schreibe etwa die Zuschussrichtlinie einen mindestens zwölf Zentimeter hohen, "scharfkantigen" Bordstein zur Separierung der Stadtbahntrasse vom Individualverkehr vor. Theoretisch dürften nicht einmal Fußgänger den erhöhten Gleiskörper betreten, um die Straße zu überqueren.

Die Basler Straße ist sicher ein Negativbeispiel. In der Regel schaffen es Hans-Georg Herffs und seine Kollegen, städtebaulich passendere Lösungen gefördert zu bekommen, auch wenn diese nicht immer eins zu eins den Förderrichtlinien entsprechen. So teilt sich die Straßenbahn bei den Bahnunterführungen im westlichen Teil der Basler Straße die Fahrspuren mit dem Autoverkehr, erhält jedoch durch eine Ampel stets freie Fahrt. Durch diese "dynamische Straßenraumfreigabe" konnte der Abriss und Neubau der Bahnbrücken vermieden werden, der mindestens zehn Millionen Euro Mehrkosten verursacht hätte - laut Herffs ein "irrsinniger Aufwand", der nach den Förderkriterien dennoch zuschussfähig gewesen wäre. Dass durch eine einfache Ampel ein störungsfreier Betrieb der Straßenbahn möglich sein würde, konnten die Planer mit Hilfe einer Simulation nachweisen.

Beim Streckenneubau in der Habsburger Straße hat derselbe Nachweis hingegen nicht für eine Förderung des Mischverkehr-Abschnitts in Höhe der Haltestelle Hauptstraße ausgereicht, denn ein eigener Gleiskörper wäre hier auch ohne unverhältnismäßig aufwändige Umbaumaßnahmen realisierbar gewesen - freilich zu Lasten von Fußgängern, Radfahrern und ein paar Straßenbäumen, die in den ÖPNV-Förderrichtlinien allerdings keine Rolle spielen. Im Interesse einer höheren Qualität des Straßenraums habe man dann, so Herffs, lieber auf die Fördermittel für eine Teilstrecke von etwa 80 Metern Länge verzichtet, was vom Gemeinderat auch mitgetragen worden sei.

Obwohl immer mehr Planungsexperten die Forderung nach einem separaten Gleiskörper für überholt halten, ist bisher weder von Seiten des Bundes noch des Landes eine Änderung der einschlägigen Richtlinien in Sicht. Neben den strikten Fördervorgaben sieht Hans-Georg Herffs ein weiteres Problem in dem in der deutschen Planungskultur verankerten "sektoralen Denken", das die ganzheitliche Förderung eines Straßenumbaus "von Fassade zu Fassade", wie es sie etwa in Frankreich gibt, erschwere. Für jede Einzelmaßnahme - Straßenbahntrasse, Radweg, Gehweg, städtebauliche Aufwertung - müssten andere Fördertöpfe angezapft werden, was in der Praxis oft gar nicht machbar sei. Trotzdem sei man in Freiburg bemüht, beim Bau neuer Stadtbahnstrecken eine "vernünftige städtebauliche Qualität hinzubekommen", wie Herffs betont. Die breiten Bürgersteige in der Habsburger Straße mit den - übrigens nicht zuschussfähigen - hellen Gehwegplatten zeigen, dass sich die Mühe lohnt.

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