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Cool unter Druck

Der John Travolta aus dem Wedding: Oliver Tautorat in seiner Rolle als Murat (Foto: Reiner Reitsamer)

Das Prime Time Theater in Wedding feiert sein zehnjähriges Jubiläum


Die meisten Menschen würden diese Anspannung nicht ertragen. Doch Oliver Tautorat bleibt cool. Sein Prime Time Theater in der Müllerstraße in Wedding steht vor dem Aus. Er selbst steht gerade kurz vor dem nächsten Auftritt, und vor der Eingangstür stehen die Leute bereits Schlange. Nichts davon bringt Tautorat aus der Ruhe. Während er sich für die Bühne bereit macht, guckt er in den Spiegel und scherzt: "Mein Körper ist der schönste, den es gibt. Ich habe einen Adonis-Körper!"


Auch wenn der 40-Jährige mit leichtem Übergewicht ein bisschen aussieht wie Hollywood-Schauspieler John Travolta, ist Tautorat eher kein Adonis. Trotzdem fühlen sich die Menschen merklich zu ihm hingezogen: Die Gäste, mit denen er an der Abendkasse herumalbert. Seine Schauspielkollegen, die ihn als großherzigen, etwas trotteligen Chef bezeichnen. Mit seiner vergnügten Art scheint Tautorat für die Comedy-Bühne geboren zu sein - dabei ist er erst über Umwege dorthin gekommen.


Aufgewachsen als Sohn einer griechischen Mutter und eines deutschen Vaters in Würzburg, studierte er in München Schauspiel, bevor er nach Berlin zog. Er spielte in der TV-Serie "Marienhof" einen Skinhead und ergatterte eine Rolle in dem italienischen Spielfilm "Anime veloci". Mit der Schauspielerin Constanze Behrends, die später seine Frau und die Mutter seiner Tochter wird, eröffnete er 2003 das Prime Time Theater im Berliner Stadtteil Wedding, ein modernes Volkstheater, in dem Berliner - insbesondere Weddinger - so liebevoll-bissig wie treffend porträtiert werden. Wenn Tautorat heute über seine Arbeit spricht, klingt er ein wenig ernüchtert: "Wirkliche Schauspielerei ist das ja nicht, was ich hier mache. Ich könnte im Grunde auch Gastronom sein oder Bankberater. Aber ich mache eben das hier."


"Das hier" ist in diesem Fall eine ganze Menge: Er arbeitet an der Abendkasse, ist Techniker, Personalchef und Geschäftsführer in Personalunion. Und natürlich steht Tautorat selbst auf der Bühne. In der Theater-Serie "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" spielt er über 30 Figuren, wie den liebenswerten türkischen Loser Murat und den katholischen Pfarrer Gottlieb. Sie alle sind nun in den Jubiläumsvorstellungen zu sehen, die noch bis 8. Februar stattfinden, um das zehnjährige Bestehen des Theaters zu feiern. Doch Grund zum Feiern gibt es nur bedingt, denn die Geschäfte laufen schlecht: Um über die Runden zu kommen, bräuchte das Theater zusätzlich 150.000 Euro im Jahr. "Wir halten uns über Wasser, aber wir haben einfach keinen Spielraum", sagt Tautorat. "Wir müssen immer von einer Auslastung von 90 bis 95 Prozent ausgehen, damit das Geld reicht. Langsam wird es einfach eng." 


Bislang finanzierte sich das Theater zu 100 Prozent selbst. Versuche, staatliche Förderungen zu erhalten, blieben bislang erfolglos. Zuweilen nahm Tautorat sogar selbst Kredite auf, um finanzielle Engpässe zu überwinden. Doch das waren kurzfristige Lösungen für ein Problem, das nach wie vor besteht. "Der Druck ist unheimlich", sagt Tautorat. "Ich habe ja die Verantwortung für alle Mitarbeiter. Manchmal wird das zu viel für mich."


Zum Glück bleibt ihm kaum Zeit für solche Gedanken: Die Vorstellung geht gleich los. Tautorat streift sich ein weißes Stirnband - Murats Markenzeichen - über und geht auf die Bühne. Im Auditorium beginnen die Augen zu leuchten. Murat bringt die Leute zum Lachen, Tautorat ist in seinem Element. Und zumindest für die nächsten zwei Stunden fällt jeder Druck von ihm ab.Jubiläumsvorstellungen noch bis 8. Februar, Müllerstrasse 163

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