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Was vom Grunge übrigblieb

Kurt Cobain nahm sich vor 20 Jahren das Leben. Sein Erbe bleibt unbefleckt

Was wäre aus Nirvana geworden, hätte sich Kurt Cobain am 5. April 1994 nicht erschossen? Womöglich hätte sich die Band wenig später getrennt. Angeblich war Cobain kurz davor, Drummer Dave Grohl zu feuern, weil er mit dessen Schlagzeugspiel unzufrieden war. Vielleicht hätten Nirvana aber auch weitergemacht, wären alt und selbstzufrieden geworden, wie so viele ihrer Vorgänger aus den 60ern und 70ern, die mit ungestümer, gefährlicher Rockmusik begonnen hatten und sich dann auf großen Bühnen in die Bedeutungslosigkeit spielten.

Doch zu all dem kam es nicht, konnte es nicht kommen. Cobains Selbstmord war beinahe so etwas wie sein letztes künstlerisches Statement, der traurige Beweis dafür, dass sein Selbsthass und seine Verbitterung echt waren - doch auch ein kompromissloses Bekenntnis zu seiner Kunst. "Teenage angst has paid off well/Now I'm bored and old", richtete Cobain im Song "Serve The Servants" über sich selbst. Lieber nahm er sich das Leben, als dieses Urteil zu bestätigen.


Damit löste er ein Versprechen ein, das er zwei Jahre vorher gegeben hatte: Im Januar 1992 verdrängten Nirvana, eine kurze Zeit zuvor noch völlig unbekannte Garagen-Band, Michael Jackson, den King Of  Pop himself, von der Spitze der Billboard-Charts. Was für eine Symbolkraft das hatte! Vorbei war die Zeit der selbstverliebten Pop-Musik, der aufgeblasenen Superstars und Poser, die über ein Jahrzehnt das Musikgeschehen beherrscht hatten. Von nun an regierten dissonante Gitarren-Akkorde und Männer, die sich mit Sorgenfalten im Gesicht ihren Weltekel von der Seele sangen. "Grunge" taufte man diese popkulturelle Revolution aus Seattle. Es war ein marketingtauglicher Begriff, der musikalisch oft sehr unterschiedliche Bands auf einen Nenner bringen sollte.


Im Sog von Nirvana drängten immer mehr junge Musiker ins Rampenlicht und stellten fest, dass sie sich dort nicht besonders wohl fühlten. In dieser Zeit entstanden prägende, millionenfach verkaufte Platten von Bands wie Soundgarden, Alice In Chains und Pearl Jam, allesamt getrieben von Selbstzweifeln und Paranoia. Sie gaben die Orientierungslosigkeit einer ganzen Generation wieder, die im Wohlstand der 80er geboren worden war und nichts mit den kapitalistischen Träumen ihrer Eltern anfangen konnte. Die gequälten Musiker, die so sehr mit dem eigenen Ruhm haderten, wurden zu Identifikationsfiguren.


Doch es war offensichtlich, dass der Spagat zwischen Mainstream-Verweigerung und Rockstar-Dasein nicht zu bewältigen war. "I am buried up to my neck in contradictionary lies", sang Cobain in "Very Ape". Pearl Jam sabotierten ihre eigene Karriere, indem sie aufhörten, Interviews zu geben und Musikvideos zu drehen.


Unterdessen verkam Grunge zur Mode. Immer mehr Bands setzten ernste Mienen auf und kopierten den Seattle-Sound. Bald trugen sogar Models auf dem Laufsteg Flanell-Hemden und zerrissene Jeans - so wie die coolen Jungs auf den Titelseiten der Musikmagazine. Und dann, auf dem Höhepunkt des Wahnsinns, zog Kurt Cobain den Schlussstrich, indem er den Abzug seiner Schrotflinte betätigte. Danach war die Bewegung - die letzte wirklich wichtige in der Geschichte der Rockmusik - am Ende. Die meisten "echten" Grunge-Bands lösten sich kurz darauf auf. Sie fanden unsägliche Nachahmer wie Staind oder Puddle Of Mudd, die viele Jahre zum Dauerärgernis in den Charts wurden.


Cobains Erbe allerdings blieb unbefleckt. Man hätte ihm ein schöneres Leben und ein weniger tragisches Ende gewünscht. Seine Kunst allerdings wurde durch seinen frühen Tod unsterblich.

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