Sie müssen schon etwas konkreter werden", schnauzt mich der Taxifahrer am Flughafen an. Ich habe ihn gebeten, mich zum Legogebäude zu bringen. Aber davon gibt es in Billund viele. "Meinen Sie die Lego-Fabrik oder Lego HQ? Das Legoland, das Lego Idea House oder..." - "Das Lego Idea House", unterbreche ich ihn. Er murmelt grummelig vor sich hin und startet den Motor.
Wir fahren über feuchte Landstraßen. An einer Ecke steht ein Plastikmann in Pagenuniform und winkt traurig mit seinem Maschinenarm. "Willkommen im Legohotel!" Ein Schild weist den Weg dorthin, aber heute folgt ihm niemand. Hinter den Toren zum Vergnügungspark hört man kein fröhliches Kinderquietschen. Die Lego-Eisenbahn steht still, das Gruselhaus hat zu. Geschlossen wegen Trostlosigkeit.
Wer hier durchfährt, könnte glauben, dass Billund in den letzten Zügen liegt. Doch das kleine Städtchen im dänischen Jütland schläft nur. Im Sommer zählt es zu den beliebtesten Touristenzielen des Landes. Eineinhalb Millionen Menschen kommen jährlich hierher. Das liegt nicht an der Trabrennbahn, die immer mehr verwaist. Es liegt nicht am Wasserpark Lalandia und bestimmt nicht am Wikingerzentrum in Jelling, auch wenn das zum Weltkulturerbe zählt. Der Grund, warum die Leute kommen, heißt Lego.
Billund hat dem Spielerhersteller alles zu verdanken. Früher gehörte es zur ärmsten Region Dänemarks, heute gibt es hier Hotels und Restaurants, sogar einen Flughafen, den zweitgrößten des Landes. Von den gut 6200 Einwohnern der Stadt sind die meisten bei Lego beschäftigt. So lange es Lego gut geht, geht es auch Billund gut - und seit zehn Jahren floriert das Unternehmen wie kein zweites im Land.
467 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete Lego im ersten Halbjahr 2015. Das sind über 100 Millionen Euro mehr als in der ersten Hälfte des Vorjahres. Beim Umsatz legte das Unternehmen von 1,5 Milliarden auf 1,9 Milliarden zu und baute damit den Vorsprung zum Barbie-Hersteller Mattel (1,7 Milliarden Umsatz) und dem zweiten großen Konkurrenten Hasbro (1,3 Milliarden Euro Umsatz) aus. Jetzt steht Weihnachten steht vor der Tür, und das größte Geschenk liegt für Lego schon seit Wochen unter dem Christbaum: der neue "Star Wars"-Film, "Das Erwachen der Macht", der diese Woche in den Kinos anläuft.
Seit 1999 stellt Lego lizenziertes Spielzeug zu der Science-Fiction-Reihe her. Es ist neben Lego City die bestverkaufte Produktlinie des Konzerns. Der Film wird die Verkäufe noch einmal in die Höhe schießen lassen. 2015 dürfte das bislang erfolgreichste Jahr in der Geschichte von Lego werden.
Das Taxi hält am Lego Idea House. Das sieht anders aus, als man es sich vorstellen würde. Statt eines quietschbunten Wunderlandes, erbaut aus rechteckigen Legosteinen, steht da ein graues, flaches Haus, das in die graue, flache Landschaft passt. Vor 83 Jahren hat hier ein Mann namens Ole Kirk Christiansen eine Tischlerwerkstatt errichtet. Weil während der Weltwirtschaftskrise nur wenige Menschen Geld für Stühle und Bügelbretter ausgaben, begann er Holzspielzeug herzustellen. Das verkaufte sich so gut, dass Christiansen bald die gesamte Produktion umstellte und sein Unternehmen in Lego umbenannte - kurz für: "leg godt", was auf dänisch "spiel gut" bedeutet.
Am Eingang wartet Kristian Heimer Hauge, ein 33-jähriger Mann mit Seitenscheitel und Hornbrille. Er leitet die Lego History Tour, um neuen Mitarbeitern und geladenen Gästen die Geschichte und Werte des Unternehmens näherzubringen. Die Öffentlichkeit hat hier keinen Zutritt. "Der Andrang wäre einfach zu groß", erklärt Hauge.
Wir spazieren vorbei an einer Vitrine, in der eine Holzente auf Rädern ausgestellt ist. Das erste Spielzeug, das Lego jemals hergestellt hat. Weiter zu einer archaischen Spritzgussmaschine, die aussieht wie ein monströser Schraubstock. Damit produzierte Lego ab 1949 die ersten Bausteine aus Kunststoff. Die entscheidende Innovation, der "Game Changer", wie Hauge sagt, gelang erst neun Jahre später: In die Unterseite der Klötze wurden Röhren gestanzt. So blieben die Steine stabil, wenn man sie aufeinander setze.
Ole Kirk Christiansen ließ sich das Stecksystem am 28. Januar 1958 patentieren. Von da an ging es steil bergauf. Lego expandierte in die USA und nach Asien. 1978 kamen die ersten Minifiguren auf den Markt: Piraten und Polizisten, Ritter, Rennfahrer und Rettungsleute. Die unpersönliche Welt der Bauklötze bekam ein Gesicht. Ein aufgemaltes, gelbes Gesicht. Wer mit Lego spielte, konnte nun über die Figuren selbst in die immer opulenter werdenden Fantasiewelten eintauchen.
Wir spazieren weiter durch die 80er und 90er. Das Spielzeug um uns verändert sich, wird größer, technischer, detailverliebter. Die Evolution von Lego im Schnelldurchlauf. In den 90er-Jahren bleiben wir stehen. "Ich glaube, deswegen sind Sie gekommen", verkündet Hauge und öffnet eine Tür.
Als wir den Raum betreten, begrüßt uns das ikonische "Star Wars"-Thema von John Williams. Links und rechts stehen kleine Sturmtruppen und Jedis in Reih und Glied. Prinzessin Leia und R2-D2 sind dabei, ebenso wie der dunkle Sith Lord, Darth Vader. Als vier Zentimeter hohe Minifigur wirkt er sehr viel niedlicher als im Film. Aus der Ecke blickt ein Gartenzwerg-großer Lego-Yoda in den Raum, in dessen Mitte ein 124,4 Zentimeter langer Super-Sternenzerstörer des Imperiums thront.
Dass "Star Wars" eine eigene Station in dieser Tour gewidmet wurde zeigt, wie wichtig die Lizenz für Lego ist. Dabei war ihr Erwerb zunächst umstritten. "Wir haben lange überlegt, ob dieses Universum zu uns passt. Denn eigentlich soll es bei Lego nicht um Krieg und Gewalt gehen", erklärt Hauge. "Aber Umfragen unter Eltern haben gezeigt, dass unsere Sorgen unbegründet waren. 'Star Wars' ist Fiktion. Man kann kein Lichtschwert an der nächsten Ecke kaufen. Also haben wir uns darauf eingelassen."
So entstand aus zwei millionenschweren Produktwelten eine dritte. Als sich Lego Ende der 90er mit Puppen, Spielzeugschmuck und Action-Figuren fast zu Tode diversifizierte, erwies sich die "Star Wars"-Lizenz als Coup, der das Unternehmen durch die Krise rettete. 2004 übernahm der 35-jährige McKinsey-Berater Jørgen Vig Knudstorp die Geschäftsführung von Lego. Er entließ Tausende Mitarbeiter und zog sich aus allen Geschäftsfeldern zurück, die nicht zum Kerngeschäft zählten, darunter auch die Mehrheitsbeteiligung an den Legoland-Vergnügungsparks. "Star Wars" aber blieb ein wichtiger Bestandteil der Marke.
Neben den Baukästen und Figuren erscheinen heute Bücher, Kurzfilme und Videospiele. Fans drehen eigene "Star Wars"-Stop-Motion-Videos mit Lego und stellen sie auf Youtube. Sammler, junge wie alte, geben Unsummen für die detailgetreuen größeren Sets der Ultimate Collector's Series (UCS) aus. Unter den 20 teuersten Lego Sets gehören zehn zur "Star Wars"-Linie. Das begehrteste Modell ist der Millenium Falcon aus dem Jahr 2007, mit 5195 Steinen die zweitgrößte Lego-Figur nach dem Taj Mahal (5922 Steine). Für einen originalverpackten Baukasten zahlt man mittlerweile um die 5150 Euro, das Zehnfache des ursprünglichen Preises.
Die Synergieeffekte sind unbezahlbar. "Wir haben heute viel mehr erwachsene Fans als noch vor 20 Jahren. Die kommen auch von den Filmen", erklärt Hauge. "Das funktioniert natürlich auch in die andere Richtung: Wenn ich meinem siebenjährigen Sohn ein Foto von Mark Hamill zeige, der Luke Skywalker im Film spielt, dann weiß er nicht, wer das ist. Aber wenn ich ihm die Minifigur gebe, dann sagt er: 'Hey, das ist Luke!'"
Wir sind am Ende der Tour angekommen. Pressesprecher Roar Rude Trangbæk wartet bereits etwas ungeduldig am Ausgang. Die Zeit drängt, wir müssen weiter. Als wir in sein Auto steigen, fragt er, ob ich die Innenstadt schon gesehen habe.
Sie ist zum Glück nicht weit, und man hat sie schnell gesehen: Die Innenstadt, das sind zwei Supermärkte (offen), eine Pizzeria (geschlossen) und ein Kreisverkehr (kaum befahren). Zwei Herren mit roten Nasen vertreiben sich den trüben Nachmittag mit Biertrinken. Sie sitzen auf einer Bank, denn die einzige Bar der Stadt musste einem Bauprojekt weichen: Auf 12.000 Quadratmetern entsteht mitten in der Stadt das Lego House. Ein Besucherzentrum mit "Erlebnischarakter" soll es werden. Die Eröffnung ist für 2017 geplant. "Wir rechnen mit 250.000 Besuchern im Jahr", sagt Trangbæk. "Hätten wir das Haus iin Berlin, New York oder London gebaut, könnten viel mehr Menschen kommen. Aber es muss hier sein. Denn in Billund ist das Herz unseres Unternehmens."
Und das schlägt schnell. In der Lego Fabrik werden drei Millionen Steine pro Stunde hergestellt, 24 Stunden am Tag - nicht genug, um die enorme Nachfrage dieses Jahr zu befriedigen. Im Oktober ließ Lego wissen, dass einige Bestellungen vor Weihnachten womöglich nicht mehr ausgeliefert werden könnten. "Wir hatten ein Umsatzwachstum von 18 Prozent im ersten Halbjahr", sagt Trangbæk fast schuldbewusst. "Die Verkäufe haben unsere Erwartungen überstiegen." Bis 2022 will man in Fabriken in Mexiko, Ungarn und China investieren, um solchen Engpässe künftig vorzubeugen.
Unsere letzte Station ist das Lego HQ. Davor liegen drei überdimensionale Bauklötze, ansonsten ist das Gebäude so unscheinbar wie die davor. Jordan Scott Davis sitzt in einem Büro und starrt auf den neuesten UCS-X-Wing. Nicht länger als vier Stunden soll ein Kind benötigen, um das aus 717 Stücken bestehende Raumschiff zusammenzubauen. Davis schafft es in einem Viertel der Zeit. Schließlich hat er das Schiff designt.
Seit vier Jahren arbeitet der heute 26-jährige Schotte bei Lego. Er ist ein "Star Wars"-Nerd. Das merkt man nicht nur an der Sturmtruppe, die er auf den linken Oberarm tätowiert hat, sondern auch daran, dass er selbst den Prequels etwas Positives abgewinnen kann. "Die Musik in 'Episode I' war toll", sagt er. "Aber natürlich liebe ich vor allem die klassische Trilogie." Davis ist einer von acht Modellbauern im "Star Wars"-Design-Team. Er hat ein Jahr an der neuen Kollektion gearbeitet. Allein von dem X-Wing hat Davis mindestens 20 Variationen gebaut. "Jedes Modell muss strenge Stabilitätstests bestehen", erklärt er. "Hier ist an der Rückseite ein Rad, angebracht mit dem sich die Flügel auseinanderklappen lassen. Eine Maschine hat 136.000 Mal an diesem Rad gedreht - einfach nur, damit wir sicher gehen können, dass es einiges aushält."
Neben dem X-Wing steht ein bislang unbekanntes Schiff auf dem Tisch. Seine ausfahrbaren Flügel ragen senkrecht neben dem Cockpit in die Höhe. Es ist das Shuttle von Kylo Ren, dem Bösewicht aus "Das Erwachen der Macht". Hat Davis den Film etwa schon sehen dürfen? Er lacht auf. "Nein, natürlich nicht. Unsere Entwürfe basieren auf Produktionsskizzen zum Film." Trangbæk, der danebensitzt, mischt sich ein: "Aber wenn der Film in Dänemark anläuft, bekommen wir Freikarten", sagt er. Davis' Augen leuchten. "Ich zähle schon die Tage, bis dahin."
Sie wirken wie zwei Kinder, die sich auf Weihnachten freuen. Das ist der Zauber von "Star Wars": Die Filme lassen erwachsene Männer zu kleinen Jungen werden. So wie das Spielzeug von Lego. Die Macht ist stark in diesen beiden Marken. Mit dem Start der neuen Film-Trilogie wird sie erst richtig erwachen.