In einem dunklen Zimmer sitzt Winston Churchill und pafft Zigarre. Er hat Sorgenfalten auf der Stirn. Schwere Entscheidungen stehen an. Das Osmanische Reich zerbröckelt, die Konkursmasse muss neu aufgeteilt werden. Aber wie? Keiner der Generäle hat eine Ahnung von der Region. Niemand weiß, welche Stämme als Verbündete gewonnen werden könnten. "Wer kennt sich mit Beduinen aus?", fragt Churchill. Da fällt ein Name: Gertrude Bell. "Wer ist das?", bohrt Churchill weiter. "Eine weltenbummelnde, arschwackelnde, geschwätzige Kuh", antwortet ein Offizier.
Dass eine Frau wie Gertrude Bell nicht nur Freunde hatte, liegt auf der Hand. Sie war zu intelligent, eigensinnig und willensstark, um sich mit den Konventionen ihrer Zeit aufzuhalten. 1868 wurde sie als Tochter des wohlhabenden englischen Unternehmers Thomas Hugh Bell geboren. Als erste Frau überhaupt studierte sie in Oxford. Später reiste sie um die Welt, erklomm die Rocky Mountains und die Schweizer Alpen, wo man die 2633 Meter hohe Gertrudspitze nach ihr benannte.
Mit "Queen Of The Desert" hat Werner Herzog nun den ersten Spielfilm über diese außergewöhnliche Frau gedreht. Dass der Stoff nicht schon früher für die Leinwand adaptiert wurde, ist verblüffend. Ebenso, dass Herzog (ausgerechnet er!) Bells Geschichte als konventionelles Liebesdrama inszeniert. Als wir Getrude (Nicole Kidman, 47), kennenlernen, ist sie 21 Jahre alt. Sie hat gerade ihr Studium abgeschlossen und ist nach London zurückgekehrt. Jetzt soll sie unter die Haube kommen. "Erschrecke die Männer nicht mit deiner Intelligenz", warnt die Mutter. Dabei sind es eher die Männer, die Getrude mit ihrem banalen Geschwätz schockieren. Beim Tanzen gibt einer damit an, wie viele Tiere er erlegt hat. Ein anderer bittet Gertrude ohne Umschweife zu einem Schäferstündchen ins Heu. "Ich ertrage es nicht mehr, ich fühle mich so domestiziert", klagt Gertrude.
Der Vater schickt sie nach Teheran, wo ihr Onkel als Botschafter tätig ist. Sie lernt den jungen Diplomaten Henry Cadogan kennen, gespielt vom unvermeidlichen James Franco, der sich grinsend und trüben Blickes durch die Dialoge raunt. Drei Jahre vergehen. Gertrude ist nicht mehr dieselbe. "Mein Herz gehört jetzt nur noch der Wüste", erklärt sie und sucht Trost in der Einsamkeit der Wildnis. Hier blüht auch der Film ein wenig auf. In unwirtlichen Gegenden fernab der Zivilisation fühlt sich Herzog halt am wohlsten. Kameramann Peter Zeitlinger fängt die Dünen-Landschaften - gedreht wurde in Marokko und Jordanien - in mächtigen Bildern ein. Auch Kidman findet sich besser in der Rolle zurecht, als Bell älter und abgeklärter wird.
Doch leider nimmt ihre Entwicklung hier ein Ende. Man erfährt nichts weiter über Gertrude, als dass sie keine Furcht kennt. Patriarchalischen Stammesführern, die ihr Leben bedrohen, bietet sie ebenso unbeeindruckt die Stirn wie englischen Offizieren, die sie bevormunden. Aus jeder bedrohlichen Situation befreit sie sich schnell mit diplomatischem Geschick und frechem Charme.
Bei einer Ausgrabung lernt sie Lawrence von Arabien kennen (Robert Pattinson mit Palästinensertuch), der ihr sagt: "Ich glaube, der richtige Mann für dich ist noch nicht geboren worden." Er behält recht: Ihre zweite Liebschaft mit dem britischen Generalkonsul Charles Doughty-Wylie (Damian Lewis) verläuft ähnlich unglücklich wie die erste.
Und Gertrude reitet wieder in die endlose Wüste hinaus. Hin. Her. Hin. Her. Weil man freilich nie wirklich um ihr Leben fürchten muss, werden diese Ausflüge zu einer Aneinanderreihung monotoner Episoden. Da gähnen nicht nur die Kamele.
Ab und zu blickt Gertrude schwermütig zum Horizont und schreibt ihre Gedanken nieder. Dann hat man das Gefühl, einem Hörbuch zu lauschen, denn Kidmans Stimme aus dem Off treibt die Handlung mehr voran als Herzog, der die Kamera lieber auf brüllende Trampeltiere und Sandstürme lenkt. "Je mehr wir uns in der Wüste verlieren, desto mehr wirkt alles wie ein Traum", sinniert Bell, und es klingt, als ob der Regisseur aus ihr spricht.
Am Ende haben wir kaum etwas erfahren über diese überlebensgroße Frau und ihren Einfluss auf die Weltpolitik. Die Neuordnung der arabischen Welt behandelt Herzog nur am Rande, ihre geschichtlichen Folgen lässt er völlig unkommentiert.
"Queen of the Desert" hätte vieles sein können: ein aufschlussreiches Biopic, ein romantisches Epos, vor allem aber ein hochbrisanter Historienfilm, der aktuelle Krisen erklärt. In Herzogs Händen verkommt der Stoff zum schwülstigen Melodram. Es ist der falsche Film zur richtigen Zeit.