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Die Künstler der Urban Art | zitty.de - Stadtmagazin Berlin

Rund ein Dutzend auf ­Urban Art spezialisierte Galerien und Projekt­räume gibt es in Berlin, dazu zählen die Galerie Neurotitan am Hackeschen Markt, die ATM Gallery zwischen Kreuzberg und Schöneberg und die Circle Culture Gallery in Mitte, die ihren Umzug an die Galeriemeile Potsdamer Straße plant. Platz genug scheint nun auch für zwei einschlägige Messen kurz hintereinander zu sein, die sich sogar einige Galerien und Künstler teilen. Man sehe sich nicht als Konkurrenz, sagt Jan Kage von den Conturbanaries: Er freue sich, dass die Kollegen von der Stroke auch für seine Messe geworben haben.

Revolutionäre Wurzeln

Galerien, Preisverleihungen, Messen: Die herkömmlichen Präsentationen bildender Kunst galten lang als unangemessen für ­Urban Art. Viele der Künstler beginnen ihre Laufbahn mit illegalen Graffiti: Sie wollen Spuren hinterlassen, oft auch Politik und Gesellschaft kommentieren - für alle sichtbar, nicht nur für Besucher bestimmter Ausstellungshäuser. Zu den historischen Vorläufern zählen die Werke des Muralismo, die Wandgemälde im revolutionären Mexiko der 1920er-Jahre etwa von Diego Rivera. Urban Art gilt daher als Meinungsäußerung, die frei von kommerziellen Interessen zu sein hat. Ein Widerspruch zum heutigen Verkauf in Galerien und auf Messen sowie ihrem Gebrauch für Werbung durch PR-Agenturen und Firmen.

Various & Gould arbeiten meist mit Papier auf Hauswänden, außerdem inszenieren sie Performances. Das Berliner Künstlerduo lässt sich von einem Teilnehmer der Stroke vertreten, dem Galeristen Guillaume Trotin aus Wedding. Sobald Urban Art-Künstler Werke verkaufen, müssten sie mit dem Vorwurf der Kommerzialisierung rechnen, ­sagen Various & Gould. Ihre echten Namen, unter denen sie als Grafikdesigner ­arbeiten, wollen sie nicht nennen, ihre Gesichter nicht zeigen. Sie wollen Kunst vom Design trennen. „Viele haben ein Problem damit, wenn man in beiden Bereichen ­arbeitet", sagt Various. Und Gould ärgert sich: „Da frage ich mich schon, was manche denken, wovon wir leben."

In Berlin traten Various & Gould zuletzt im August auf, mit der Prozession „Holy Helpers", einer „Heiligenprozession für Datensicherheit und den Erhalt irdischer Freiheit und alternativer Kultur", die unter anderem zur Zentrale des BND und zum Tacheles führte. Im Priestergewand voran schritt Conturbanaries-Macher Jan Kage, es folgten Various & Gould mit befreundeten Künstlern. Sie trugen gemalte Plakate mit Schutzheiligen für die heutige Zeit: etwa „Santa Pharma", eine Gestalt in Chirurgenkleidung, die sie vor dem Sitz des Bayer-Konzerns anbrachten, und einem brennenden „Sankt Gentrifizian", den sie vor dem geschlossenen Künstlerhaus ­Tacheles aufstellten. Man kann die Heiligen aber auch an Fassaden entdecken. Geklebt in Nacht- und Nebelaktionen? Gould muss über das Klischee lachen. Nachts mache man sich mit einem Eimer Kleister viel zu verdächtig, sagt er, „tagsüber denken die Leute, das sei mit den Hausbesitzern abgesprochen". das Risiko von Graffiti für alle: Schwarzmarkt

Dennoch braucht, wer Urban Art machen will, Mut und zudem Kraft, allein um ­Papier, Leiter und Kleister zu tragen. Künstlerinnen stellen in dieser Szene eine Minderheit. V­arious vermutet, oft als „Quotenfrau" zu Ausstellungen eingeladen worden zu sein. Zugesagt hat sie trotzdem. „Je mehr Vorbilder es gibt, umso einfacher wird es für Mädchen", sagt sie.

Guillaume Trotin, der Galerist von Various & Gould, betreibt seit 2012 die Open Walls Gallery im Stattbad Wedding, einen der wichtigsten Orte für Graffiti und Street Art in Berlin. Die Künstler, die er vertritt, zeigen, wie groß das Feld der Urban Art ist. So hat Clemens Behr, der Graffitimalereien in abstrakte, dreidimensionale Formen übersetzt, an der Universität der Künste studiert. Andere sind Autodidakten und verraten nichts über ihren Werdegang. Die Französin YZ etwa malt Frauen des 19. Jahr­hunderts auf Seidenpapier, das sie an deren frühere Wohn- und Wirkungsorte klebt. Alias aus Berlin wiederum arbeitet mit Schablonengraffiti oder Siebdruck auf Papier, wenn er seine berühmten Figuren verletzt wirkender Kinder im Stadtraum anbringt. Oder aber er sprüht dieselben Motive auf Fundbretter und rostiges ­Metall, um sie in dieser Form zu verkaufen. Vor allem für Alias' Arbeiten hat sich ein regelrechter Schwarzmarkt entwickelt. Seine Papierarbeiten werden oft von Wänden gelöst und im Internet verkauft. „Es ist weniger schlimm, wenn es jemand stiehlt, weil er das Bild toll findet, als um mit etwas Profit zu machen, was für die Allgemeinheit bestimmt war", meint Trotin. Die Anonymität als Mythos

Die Anonymität vieler Künstler lässt ihren Mythos wachsen. Doch für Kunstkäufer, die für Urban Art Preise von 60 Euro bis in den vierstelligen Bereich zahlen, birgt sie ­Risiken. Während der Art Week gab es Aufregung um Schablonen-Graffiti, die auf der Messe Preview ausgestellt wurden: Sie waren Banksy, dem berühmten Schablonen-Künstler aus Großbritannien, zugeschrieben. Dem Galeristen, der sie ausstellte, wurde vorgeworfen, eine Fälschung zu zeigen. Und warum überhaupt für etwas Geld ­bezahlen, das zigfach an Häusern hängt? Zwischen der Straßenszene, die Glaub­würdigkeit verlangt, und dem Markt, der helfen soll, von Kunst zu leben: Die Künstler der Urban Art bewegen sich auf einem schmalen Grat.

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