Besuch beim Straßenmagazin Surprise in Basel: Ein Interview mit der Redaktorin Diana Frei.
Als Lehrbeauftrage an der Evangelischen Hochschule Freiburg bin ich mit Studierenden zur Surprise-Redaktion gefahren.
Zu neunt treffen wir Diana Frei, eine von vier Profi-Journalisten, die in Teilzeit für die soziale Zeitschrift tätig sind. Der große Empfangsraum dient auch als Aufenthaltsort für die wohnsitzlosen oder arbeitslosen Verkäufer: Sie holen hier ihre Zeitschriften, retournieren nicht verkaufte Exemplare, es gibt gratis Kaffee und Internet. Von weiter hinten, aus den Redaktionsräumen, dringen Stimmen, hin und wieder hören wir ein Telefon.
Wir: Wir haben die Freiburger Strasse mitgebracht. Im Gegensatz zur Surprise wird sie nicht von Profi-Journalisten gemacht, sondern von einer Laien-Redaktion, also von Menschen, die auf der Straße leben oder gelebt haben. Wenn man die beiden Zeitschriften vergleicht, ist die Suprise eine richtige Hochglanzzeitschrift. Weshalb habt ihr euch für dieses Konzept entschieden?
Diana Frei: Hm, ich glaube in Deutschland gibt es viele Stra enzeitschriften, die von den Arbeitslosen selbst gemacht werden. Ein Konzept wie unseres trifft seltener zu. Da gibt es die in Glasgow, sie ist quasi das Mutterblatt der Straßenzeitschriften - da reißen sich offenbar auch die Promis darum, darin zu erscheinen. Das hat nochmal einen ganz anderen Status. Die Surprise ist aus dem Arbeitslosen-Projekt „Stempelkissen" hervorgegangen. Aber ziemlich schnell waren es professionelle Journalisten, die für die Surprise arbeiteten.
Ein zweiter Redaktor, Florian Blumer, bringt sich im Vorbeigehen in das Gespräch ein: Andy Strässle, der erste Surprise-Chefredakteur, sei 1998 von der Basler Zeitung (BaZ) zur Surprise gekommen und habe das Konzept des Magazins massgeblich geprägt. Jetzt arbeite Strässle für das Schweizer Fernsehen.
Florian Blumer: Der Grund, dass wir eine professionelle Redaktion haben, ist, dass die Verkäufer etwas in der Hand haben sollen, das die Leute auch wollen. Wir machen uns keine Illusionen – die Mehrzahl der Leute kauft Surprise wahrscheinlich wegen des Verkäufers. Unser Ziel auf der Redaktion ist es aber, dass das Heft auch gelesen wird und so Käuferinnen zu Leserinnen werden. Das steigert den Verkauf und dazu: Etwas anbieten zu müssen, das die Leute nicht wollen und nur aus Mitleid kaufen – oder wo sie gleich sagen: nimm das Geld, aber behalte das Heft – macht aus Verkäufern bessere Bettler und das ist nicht die Idee hinter Surprise. Wir wissen aber aus Umfragen und Rückmeldungen, dass das Heft tatsächlich gut gelesen wird und Anklang findet, wir also auf dem richtigen Weg sind.
Es gab vor Jahren auch einmal die Idee, eine Art Schweizer Illustrierte von der Strasse zu machen - frei nach dem Motto: Je boulevardesker eine Zeitschrift, desto besser verkauft sie sich. Aber das würde nicht unserem Verständnis von Journalismus entsprechen.
Diana Frei: Und das würde auch nicht aufgehen. Immer wieder kriegen wir Leserbriefe: “Was schreibt ihr über Schifffahrt auf dem Rhein? Ich erwarte soziale Inhalte im Surprise!”
Ich denke, im Vergleich zu einem „Freie Bürger" versuchen wir, dass die Themen einen nicht herunterziehen. Deshalb bringen wir auch leichtere Geschichten und haben einen Kulturteil - da achten wir darauf, dass in der Kinovorschau nicht schon wieder ein Flüchtlingsdrama kommt. Denn irgendwann haben Lesern genug vom Elend der Welt. Und wir haben die sozialen Themen, die in anderen Medien nicht so sehr vertreten sind.
Wir: Sind „soziale Inhalte“ für eure Leser „kritische Inhalte“? Oder auch Service-Artikel: Wo kann ich mich beraten lassen, wo mich engagieren?
Diana Frei: Nein, so einen Service-Teil haben wir gar nicht. Soziale Inhalte sind für uns zum Beispiel die Verkäufer-Porträts: Wir schreiben jemanden, aber aus Sicht, als O-Ton. Zum Beispiel hatten wir kürzlich ein Porträt eines unserer Verkäufer, der ein Jahr lang eine Wohnung gesucht hat. Wir haben das so hingeschrieben, wie er es gesagt hat: Dort angefragt, da und da, und es klappt nirgends.
Journalistisch würden wir sicherlich anders herangehen, als einfach: "Jetzt schreibt doch mal wieder, was der Chor so macht." So etwas ist einfach keine Geschichte im journalistischen Verständnis und ich könnte das auch nicht.
Wir: Wie grenzt Ihr Euch als Redaktion davon ab, euch von bestimmten Themen zu sehr vereinnahmen zu lassen?
Diana Frei: Das ist eine große Diskussion, gerade bei den Verkäufer-Porträts: Die Verkäufer gehören schließlich zu uns und die Leser wissen das. Das gleiche Thema haben wir beim Sozialen Stadtrundgang, den der Verein Surprise anbietet, und auch beim Straßensport und Straßenchor. Einerseits müssen wir diese Dinge im Heft haben – wer, wenn nicht wir? Andererseits sind wir eine journalistische Publikation und nicht eine Vereinszeitung. Wir trennen das, indem wir für die vereinsinternen Themen immer eine bestimmte Seite im Magazin reservieren. Diese Inhalte schreiben nicht wir Redakteure, sondern die Bereichsmitarbeiter, die direkt involviert sind.
Journalistisch würden wir sicherlich anders herangehen, als einfach: “Jetzt schreibt doch mal wieder, was der Chor so macht.” So etwas ist einfach keine Geschichte im journalistischen Verständnis und ich könnte das auch nicht.
Wir: Wie kommt ihr an eure Geschichten – geht ihr auf die Suche? Bringen Leute ihre Geschichten in die Redaktion oder ergibt sich das aus einem Leserbrief?
Wie alle anderen Journalisten auch: Durch Zufall und offene Augen, zum Teil gucken wir auch mal eine Idee bei anderen Medien ab. Eher selten sind es Vorschläge von freien Journalisten, mit denen wir zusammen arbeiten. Wir müssen uns da einfach etwas einfallen lassen.
Ich kann ja mal ein paar Beispiele sagen (blättert). Hier die Geschichte mit der Frau, die hatte einen Briefwechsel mit einem Mann aus dem Todestrakt. Der ist mittlerweile gestorben - also an Leberkrebs, nicht durch die Spritze - das kam zufällig zustande, weil eine Bekannte meines Redaktionskollegen bei dem Verein Life Sparks dabei ist, die diese Brieffreundschaften organisieren. Also Zufall (blättert). Das hier ist ein Angebot vom ehemaligen Chefredaktor, der mittlerweile mit der Caritas unterwegs ist. Eine Flüchtlingsgeschichte. Er hat das angeboten (blättert). Dann eben, das ist ein bisschen Pflichtstoff, wenn man so will (blättert). Und hier Kultur. Kultur wird ja eher einfach vorgegeben durch Aktualität ( blättert).
Dann da: Fand ich irgendwie das Gefühl von Mitleid spannend, aber schon länger so für mich. Und ich kam da eigentlich nie groß weiter. Und dann dachten wir: Weihnachten, Mitleidszeit - dem gehen wir jetzt mal ein bisschen nach. So entstehen Geschichten oft: Man hat ein Gefühl, da könnte was sein, und wenn man dann nachfragt, baut sich die Geschichte oft erst zusammen.
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