Nur drei Minuten Fußweg von der U-Bahn-Station Karl-Marx-Straße entfernt, mitten in Berlin Neukölln, wuchert die urbane Oase von Martin Höfft. Wenn er auf verschlungenen Wegen durch seinen Garten streift, pflückt er die Ernte des Tages für das italienische Restaurant seiner Schwiegereltern. Jetzt, in den kälteren Monaten ist es Lauch-Hellerkraut, Vogel-Sternmiere oder Winterportulak.
Manches vermeintliche Unkraut würden die Gäste des Café Botanico wohl nicht als Essbares erkennen - und doch schmeckt ihnen der leicht bittere Wildkräutersalat jetzt im Winter. „Wir verwenden einige frostharte Sorten", sagt Höfft. „Aber zaubern können wir nicht. Bei Minusgraden gibt es auch mal nichts zu ernten." Mit Zauberei hat die Magie dieses Ortes tatsächlich nichts zu tun, stattdessen lautet Höffts Geheimnis: Permakultur.
Diese Wortschöpfung bedeutet „langfristige Landwirtschaft" und ist ein Gegenentwurf zum konventionellen Anbau. Der inzwischen verstorbene Australier Bill Mollison und sein Co-Autor David Holmgren beschrieben sie in den Siebziger Jahren als eine nachhaltige, naturnahe Alternative zu den schon damals üblichen Monokulturen: Ihre Prinzipien sollten reiche Erträge ermöglichen - aber ohne wertvolle Rohstoffe wie Wasser oder fruchtbaren Boden zu verschwenden.
Natürliche Dünger, Nützlinge als Helfer und sinnvolle Fruchtwechsel sind auch im Öko-Landbau oder im Bauerngarten bewährte Methoden. Doch so geschlossene, in sich verwobene Kreisläufe wie im idealen Permakultur-Design sind auch in der groß angelegten Bio-Landwirtschaft nicht üblich: Verschiedene Tier- und Pflanzenarten sollen in Mischkulturen jeweils eine Nische besetzen, um selbst auf kleinstem Raum miteinander gut gedeihen zu können. Der Abfall der einen bildet die Nahrung der anderen, außer Arbeit braucht der Mensch nichts hinzuzufügen. So die Theorie.
Praktisch musste der Berliner Martin Höfft tatsächlich reichlich Arbeit in seinen Permakultur-Garten einbringen: „Alles war anfangs total verbuscht und zugemüllt." Doch der erfahrene Selbstversorger erkannte vorhandene Schätze wie die süßen Erdbeerweintrauben. Er pflegte Obstbäume und Sträucher, entsorgte den Müll und beließ den Garten ansonsten möglichst natürlich. Zwischen dem essbaren Grün schuf er Wege, um seine großen und kleinen Besucher wieder in Kontakt mit Kohlrabi, Topinambur und Co. zu bringen.
„Schaut, die Natur ist freundlich zu uns ", sagt er ihnen bei den kostenlosen Gartenführungen.
Auf einer Beetfläche von etwa 500 Quadratmetern erzeugt er Obst, Gemüse, Kräuter und sogar Honig für die Restaurantküche - in zertifizierter Bio-Qualität. „Das war mir wichtig, um auch offiziell zu beweisen, dass es ohne Herbizide und Kunstdünger geht", sagt Höfft.
Statt Beete umzugraben, streut er Mulch aus, um dem Boden Schutz und Nährstoffe zu geben. Er schafft Lebensräume für Insekten und Vögel, die dafür Pflanzen bestäuben oder Samen weitertragen. Und er pflanzt viele verschiedene, oft unbekannte Sorten. „Nur durch das Zusammenspiel und die Vielfalt der Arten wird ein System stabil", sagt der studierte Geograf. Dank seiner selbst vermehrenden und mehrjährigen Pflanzen muss er nur wenig eingreifen - vor allem erntet er. „Anders könnte ich den Garten gar nicht bewirtschaften, ich habe ja noch zwei Kinder und eine Vollzeitstelle."
Ein so verschränktes Modell aus Permakultur und Gastronomie ist mitten in der Metropole selten, doch die Ideen Mollisons haben auch in vielen anderen Ballungsräumen Wurzeln geschlagen. An manchen war der international gefragte Experte und Gründer des Permakultur-Campus, Edouard van Diem, beteiligt.
Zum Beispiel beriet er Andernach am Rhein beim Wandel zur „essbaren Stadt": Statt Zierblumen wachsen in den öffentlichen Beeten nun Kohlrabi, Mangold und Tomaten. Jeder darf nach Herzenslust ernten und die Samen fast vergessener Gemüsesorten eintüten. Bisher werde in den Städten zu wenig Platz für Essbares geschaffen, sagt van Diem. „In unseren Parks und Alleen müssten Obstbäume wachsen."
In seiner Heimat Hamburg Altona hat er das geschafft: Im Hamburger Volkspark bewirtschaftet van Diem mit etwa 40 aktiven Gartenfreunden schon seit sechs Jahren einen gemeinschaftlichen Permakultur-Garten. Sie pflanzten einen Naschwald aus Obstbäumen und Beerensträuchern, ließen eine Wildblumenwiese aufblühen und legten ein gemischtes Mandalabeet an.
Ein eigenes Beet hatte van Diem allerdings nie, denn er ist in Sachen Permakultur viel unterwegs: Er zeigt Gemeinschaftsgärtnern, wie man organische Abfälle mit Kohle zur besonders fruchtbaren Erde „Terra Preta" fermentiert oder hält Imker-Workshops. Für ihn geht der Effekt der Permakultur weit über das Gärtnerische hinaus: „Es ist ein Denkmuster, das man in allen Lebensbereichen anwenden sollte." Permakultur liefere mittlerweile auch in sozialen, wirtschaftlichen oder städtebaulichenFragen den Anstoß für gesellschaftlichen Wandel.
Hauptsache es hat Sinn
Mit dem Prinzip der kleinen Schritte könnten auch Städter viel verändern. Ob man eine Freifläche in seiner Straße bepflanzt oder ein paar Sprossen auf der Fensterbank zieht, ist im ersten Moment nicht so entscheidend. Überzogener Aktionismus ende meist in Überforderung. „Man sollte immer überlegen: Was hat Sinn?", sagt van Diem. „Und zwar am besten langfristig."
Dass Permakultur nicht nur ökologisch sinnvoll ist, sondern auch wirtschaftlich trägt, will der internationale Bio-Kräuterhändler Sonnentor beweisen: mit einem Permakultur-Bauernhof auf seinem Firmengelände im niederösterreichischen Sprögnitz.
Ähnlich wie beim Berliner Café Botanico wird die Ernte des „Freihofs" direkt im betriebseigenen Bio-Restaurant verarbeitet. Auch Setzlinge aus eigener Anzucht verkaufte der Bauernhof schon in der ersten Saison. „Es geht darum, Kreisläufe zu schließen und unnötige Wege zu sparen", sagt die Ökologin und Permakultur-Designerin Sigrid Drage über den Anspruch des Projekts. Konventionelle Landwirtschaft ignoriere natürliche Zusammenhänge, um ihre Erträge künstlich zu erhöhen. „Langfristig zahlt sich das finanziell überhaupt nicht aus, weil man den Boden zerstört", sagt Drage.
Statt mit künstlichem Dünger einer falsch platzierten Pflanze nachzuhelfen, fragen sich Drage und ihre Kollegen lieber gleich zu Beginn: „Was ist besonders gut an die lokalen Bedingungen angepasst?" Um herauszufinden, welche Tomatenpflanze im kühlen Waldviertler Klima im Freiland gut gedeihen würde, setzten sie zehn verschiedene Sorten ein.
Auch auf kleinem Raum ist Vieles möglich
Mit 4,5 Hektar Fläche haben Drage und ihr Team deutlich mehr Möglichkeiten als ein Stadtgärtner. Doch auch die Stadt biete Vorteile, sagt sie: „Im Ballungsraum gibt es enge Zusammenhänge, der Weg zwischen Anbau und Verzehr ist kurz." Mit Hochbeeten oder sogar in großen Kartoffelsäcken könnte man auch Flächen in essbare Landschaften verwandeln, die von den Eigentümern nur zur Zwischennutzung, also einen begrenzten Zeitraum, freigegeben sind. „Selbst in einem großen Trog kann man auf dem Balkon eine Mischkultur anbauen oder eine Wildniszone für Insekten schaffen."
Die Autorin und ausgebildete Köchin Judith Anger pflichtet ihr bei: „Man muss in der Stadt nur kreativ werden." Auf wenig Raum lasse sich viel erreichen, wenn man ihn zum Beispiel dreidimensional nutzen würde. „Überlegen Sie, welche Flächen allein auf Dächern und an Hauswänden kahl bleiben." In einem Kurs des österreichischen Bergbauern Sepp Holzer lernte sie die „Holzer'sche Permakultur" kennen - inzwischen bewirtschaftet sie den „Wildniskulturhof" im Südburgenland.
Besonders wichtig sind ihr die Wasserrückhaltebecken, mit denen sie Niederschlag auf ihrem Grundstück hält. „Wasser wird von manchen in der Permakultur noch vernachlässigt, für uns ist es das wichtigste Element", sagt Anger. In der Stadt könne man auch Regenwasser sammeln, etwa in einer alten Badewanne oder einem Weinfass.
Tiere gehören für sie übrigens unbedingt zu einem geschlossenen Kreislauf dazu: Darum lockern Minischweine die Erde ihrer Gemüsebeete auf. „Ich brauche nicht mal eine Schaufel in die Hand zu nehmen und kann direkt einpflanzen, das ist doch genial." Gerade so kleine Nutztiere wie Hühner könne man auch problemlos in die Städte holen, findet sie.
Die Angst, dass man von da an jeden Urlaub vergessen könne, sei grundlos. „Man muss sich nur organisieren und wieder mit den Nachbarn sprechen." Ganz ohne Mühe gehe es eben nie: Säen, mulchen und ernten müsse sie natürlich auch in der Wildniskultur, sagt Anger. „Aber eigentlich greift man nur punktuell ein." Denn das meiste erledigt die Natur von ganz allein.
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