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Gastbeitrag: Die Rüstungsweisen

Die Irak-Debatte zeigt einmal mehr: Deutschland braucht einen Sachverständigenrat für Rüstung.

Am Montag durfte der Bundestag die Lieferung von Zigtausenden Schnellfeuergewehren, Granaten und Panzerabwehrwaffen an die Peschmerga im Nordirak abnicken. Die Entscheidung dazu fiel aber schon vorher - an Regierungshandys, in Zeitungsartikeln und Kabinettshinterzimmern. Dabei wurden von der großen Koalition bisherige Eckpfeiler deutscher Außenpolitik in Windeseile beiseitegeschoben. Nicht nur, dass eine Krisenregion aufgerüstet wird, auch werden Waffen an nicht-staatliche Akteure geliefert. Angesichts der Schnelligkeit, mit der diese Beschlüsse getroffen wurden, entsteht in der Öffentlichkeit wie auch im Bundestag ein Gefühl zunehmenden Kontrollverlusts. Die Regierung wird zu Ad-hoc-Entscheidungen getrieben, die keiner langfristigen Strategie folgen. Oder um es mit der Kanzlerin zu sagen, das was ist, zählt mehr als das, was sein könnte. Diese Fahrt auf Sicht scheint aber mehr die aktuellen Auswirkungen, nicht jedoch deren Ursachen im Blick zu haben.

Lieferungen von Waffen „made in Germany" und Rüstungsexportfragen allgemein bilden bereits seit vielen Jahren einen Konfliktherd deutscher Innenpolitik entlang der bekannten Links-Rechts-Schemata. Die katastrophale Lage im Nordirak und der Kampf der kurdischen Paramilitärs gegen die immer mächtiger werdenden Terrorbanden des „Islamischen Staates" hat dieses komfortable, weil übersichtliche Lagerdenken durcheinandergewirbelt. Plötzlich finden sich über Parteigrenzen hinweg Befürworter und Gegner deutscher Waffenlieferungen. Im Berliner Politikbetrieb wird bereits von der „Merkel-Doktrin" gesprochen, welche die Rüstungsindustrie als zentrales Instrument der deutschen Außenpolitik nutzt, um den Einsatz eigener Soldaten zu vermeiden und heimische Rüstungsunternehmen zu stärken. Die Menschenrechtslage in Importländern ist dabei nachrangig.

Währenddessen ist die öffentliche Auseinandersetzung zum Thema an Polemik kaum zu überbieten. Die einen werden als verantwortungslose Zauderer hingestellt, den anderen wird hingegen Kriegstreiberei unterstellt. Das Dilemma liegt auf der Hand. Denn vor den zivilen Opfern, die womöglich mit deutschen Waffen gerettet werden können, darf man genauso wenig die Augen verschließen, wie vor den möglichen Folgekonflikten, die ein Export von Rüstungsgütern in die Region nach sich ziehen könnte. Die Schlüsselfragen bei Konflikten wie im Nordirak bleiben hingegen unbeantwortet: Wann wirken welche Arten von Waffenlieferungen stabilisierend, wann eskalierend? Wie können die Konsequenzen nüchtern und mit Abstand zur laufenden Debatte eingeschätzt werden, und vor allem, wie könnte ein wirksames Entwaffnungsregime nach Konfliktende aussehen? Auch ist wenig darüber zu vernehmen, warum es zu keiner Aufgabenteilung zwischen Mitgliedsstaaten von EU oder Nato gekommen ist, während doch vorab mit der internationalen Schutzverantwortung argumentiert wurde. Auch von der Einbindung des regionalen Umfelds spricht kaum noch jemand. Die gewachsene Verantwortung der Bundesrepublik in der internationalen Politik, die in den vergangenen Monaten von vielen Seiten so betont wurde, verlangt nach deutlich mehr Diskursschärfe.

Eine Versachlichung täte der Debatte also gut. Zweifelsfrei geht es hierbei um politische Entscheidungen, die allein im Kabinett und seinen untergeordneten Ausschüssen gefällt werden. Doch gibt es darüber hinaus keine neutrale, beratende Instanz jenseits der Ministerialbehörden, auf die sich die Bundesregierung bei solchen Ad-hoc-Entscheidungen verlassen kann. Vielen Experten aus Universitäten, Thinktanks und Forschungsinstituten fehlt die nötige Autorität, um sich im politisierten Stakkato nachhaltig Gehör zu verschaffen. Dabei hat die Bundesrepublik eine positive Tradition in der Konsultation von Sachverständigenräten.

Das Paradebeispiel sind die „Wirtschaftsweisen". Der von der Bundesregierung berufene Sachverständigenrat begutachtet die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und soll dadurch ihre Entscheidungsfindung erleichtern. Mittlerweile hat sich das Fünfergremium zu einem festen Bestandteil des politischen Berlin entwickelt. Ähnliche Strukturen empfehlen sich für den hochsensiblen Bereich der Rüstungspolitik und Waffenlieferungen. An Expertise mangelt es nicht. Die Mitglieder eines solchen neu zu gründenden Sachverständigenrats für deutsche Rüstungsexporte würden wissensbasiert die Konsequenzen von Waffenlieferungen analysieren, Leitprinzipien und einen „roten Faden" formulieren, für Transparenz und Glaubwürdigkeit einstehen und nicht zuletzt zu einer dringend erforderlichen „Entpolitisierung" der Auseinandersetzung beitragen. Der Bundesregierung würde es obliegen, wie bei den Gutachten der Wirtschaftsweisen, die Empfehlungen entgegenzunehmen, ohne an sie gebunden zu sein. Ein solches Vorgehen würde darüber hinaus einen zeitgemäßen Kontrast bilden zu dem nach wie vor im Geheimen agierenden „Gralshüter" für rüstungspolitische Angelegenheiten, dem Bundessicherheitsrat.

Frank-Walter Steinmeier hat zu Beginn seiner Amtszeit die Losung ausgegeben, Außenpolitik neu zu denken. Die Etablierung eines solchen Gremiums wäre ein wichtiger Impuls, der öffentlichen Auseinandersetzung mehr Klarheit, Stringenz und Expertise zu verleihen und zugleich die Qualität des politischen Handelns in Rüstungsfragen zu verbessern.

Arslan Deichsel ist ehemaliger Mitarbeiter im internationalen Stab der Nato. Rana Deep Islam ist Non-Resident Fellow am American Institute for Contemporary German Studies in Washington DC.

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