55, war die erste Finanzchefin in einem Dax-Konzern. Nach 27 Jahren bei Lufthansa fängt sie jetzt beim Pharmaunternehmen Boehringer in Ingelheim an. In der Nacht vor dem Interview schlief sie auf einer Isomatte. Die Möbelpacker waren einen Tag zu früh gekommen. Sie haben auch ihre Kleidung in Kisten gepackt
ZEITmagazin: Frau Menne, es ist erst sieben Uhr morgens, Sie sind schon im Büro. Leben Sie, um zu arbeiten, oder arbeiten Sie, um zu leben?
Simone Menne: Ich halte nicht viel von dem Ausdruck Work-Life-Balance.(lacht) Wenn man Erfüllung in der Arbeit findet, kann man tatsächlich sagen, ja, ich lebe, um zu arbeiten. Eigentlich fange ich aber erst kurz vor acht an, arbeite dann bis sieben. Das Wochenende halte ich mir konsequent frei. Ich bin nicht verheiratet, mache aber viel mit meiner Familie in Kiel, mit meiner Mutter, meinen Cousinen, Nichten und Neffen - und ich male zum Ausgleich.
ZEITmagazin: Sie waren vier Jahre im Vorstand bei Lufthansa. Was bedeutet für Sie Macht?
Menne: Macht kann etwas sehr Positives sein, weil man mit Macht Dinge bewegen kann. Ich denke, die meisten Menschen haben Macht in irgend einer Form, und wenn es die Macht als Mutter ist. Die Frage ist nur, wie man sie ausübt. Die größte Macht wäre, wenn die Leute sagen, ja, sie ist im Vorstand, aber sie hat uns ihre Vision auch vermittelt. Wir verstehen, warum wir das tun sollen. Wir tun das gerne. Ich würde auch sagen: Viel zu viele Frauen sagen, ich will keine Macht, das halte ich für falsch. Wir hatten eine lange Phase, wo Frauen nicht mehr geworden sind als Hauptabteilungsleiterin. Das war, denke ich, fast bis zu meiner Ernennung als Vorstand 2012 der Fall. Jetzt hat Lufthansa Frauen auf allen Ebenen.
ZEITmagazin: Sehen Sie einen Unterschied zwischen Ihrem Führungsstil und dem der männlichen Kollegen?
Menne: Ich halte es für schwierig, das genderspezifisch zu sagen. Bei Lufthansa gibt es unterschiedliche Führungsstile. Meistens geprägt durch frühere Chefs, vielleicht auch durch das Elternhaus. Wenn jemand mit viel Strenge, ja mit Befehlen groß geworden ist, wird er anders agieren als jemand, der als Kind viele Freiheiten hatte. Allerdings sehe ich bei Männern schon andere Verhaltensweisen: eine stärkere Ausrichtung nach Menschen, Männern und Hierarchie. Sie folgen jemandem. Bei Frauen ist es mehr das Ringen um die Sache. Ich versuche, sehr ausführlich die Hintergründe zu erklären. Motivation kommt durch Erklärung und durch Freiheiten. Zu sagen, so stellen wir uns das vor, aber wie du das ausgestaltest, das überlassen wir dir.
ZEITmagazin: Wie sind Sie aufgewachsen, hatten Sie viele Freiheiten?
Menne: Absolut. Ja, das ist eins der Erfolgsgeheimnisse. Da bin ich im Zweifelsfall auch das, was man verwöhntes Einzelkind nennt. Meine Eltern haben beide gearbeitet, von daher war es natürlich, dass ich viele Freiheiten hatte. Ich bin auf dem Dorf groß geworden, war den ganzen Tag draußen, meine Eltern wussten gar nicht unbedingt, wo. Das heißt, ich konnte viel ausprobieren.
ZEITmagazin: Hatten Sie nie das Gefühl, Erwartungen erfüllen zu müssen, als einziges Kind?
Menne: Das ist eine gute Frage. Mein Vater hat schon gesagt, du musst gut in der Schule sein. Den Vergleich mit Schülern, die schlechtere Noten hatten, fand er nicht gut. Er hat auch versucht, mir Naturwissenschaften näherzubringen, wir haben zusammen bei unserem Käfer einen Ölwechsel gemacht und solche Dinge. Er war dann enttäuscht, dass ich da nicht so drauf angesprungen bin. Und bei der Berufswahl war es definitiv so, dass er gesagt hat, nee, keine Kunst. Ich hätte gerne Fotografie gemacht oder etwas mit Design. Da hat er gesagt, mach was Vernünftiges, wo du Geld verdienen kannst. Aber ich bereue das nicht, ein Bürojob ist ja nicht zwangsläufig langweilig.
ZEITmagazin: Sie haben sich für Ihre Karriere entschieden, gegen Kinder. Wurden Sie darauf oft angesprochen oder sogar unter Druck gesetzt?
Menne: Nein, gar nicht. Das war auch keine bewusste Entscheidung. Ich hab damals Steuerberatung gelernt, weil ich gedacht habe, dass ich diesen Beruf gut mit einer Familie kombinieren kann. Es hat sich dann nicht ergeben, sicher auch weil ich durch die Auslandstätigkeiten und häufigen Umzüge nicht gut für eine stabile Partnerschaft geeignet war.
ZEITmagazin: Sie arbeiten mit Zahlen. Sind Sie im Privatleben auch strukturiert und eher sparsam?
Menne: Ich würde nicht sagen, dass ich mit Geld um mich werfe, aber ich glaube schon, dass ich großzügig bin und manchmal nicht so sehr auf das Detail achte. Ich bewahre keine Bons auf, ich weiß nicht, wie viel ich in der Woche ausgebe. Aber ich schaue auf das Preis-Leistungs-Verhältnis. Es gibt Grenzen. Bei einer Flasche Wein für 100 Euro sage ich sorry, so viel mehr schmecken kann ich da nicht. Auch ein Kleid für 1.000 Euro kaufe ich mir nicht. Es muss aber schon gute Qualität sein, etwas Besonderes. Zuletzt habe ich zum Beispiel für mein neues Elektroauto gespart: einen Tesla.
ZEITmagazin: Bei einer Konferenz für Start-ups und Risikokapitalgeber im Juni in Berlin trugen Sie weiße Sneakers. Ein Kollege habe Ihnen dazu geraten. Sie sagten, man sehe damit locker aus, fast schon "digital". Wie groß, meinen Sie, ist die Wirkung von Kleidung?
Menne: Enorm. Das war eine Anspielung auf Dieter Zetsche, der kam dann auch später. In Sneakers. Aber es ist auch so, dass Sie natürlich für das Thema authentisch gekleidet sein müssen. Bei Lufthansa war es etwas umstritten, dass ich einmal bei einer Pressekonferenz gelbe Pumps trug. Da war bei Facebook einiges los, weil die Crews gejuxt haben, sie hätten auch gerne diese gelben Pumps als Schuhe für das Flugpersonal. Aber ich bin auch ein bisschen anders, ich bin nicht nur blauer Hosenanzug. Ich habe Mut genug, durch die Mode Akzente zu setzen. Und will damit auch etwas ausdrücken.