Der Liedermacher Wolf Biermann hat ihn öffentlich Sascha „Arschloch" genannt, als dessen Stasi-Spitzelei gegen DDR-Künstler-Kollegen ans Licht kam. Die Regisseurin Annekatrin Hendel hat auf der Berlinale in diesem Jahr ihren Film über den Lyriker und Spitzel Sascha Anderson vorgestellt. Sie zeigt ihn am 30. August beim „Neue Heimat"-Filmfest auf Burg Klempenow bei Anklam. Ralph Schipke wollte erfahren, wie eine Filmemacherin mit einem so widersprüchlichen Helden umgeht.
Machen Sie eigentlich lieber Filme über Sympathie-Träger oder Unsympathen?
Ich schaue gerne da hin, wo es knirscht. Das ist nicht unbedingt eine Frage von Sympathie. Für spannende Filme braucht es spannende Geschichten. Für solche entscheide ich mich.
Sie gehen nicht mit dem berühmten Schaum vor dem Mund auf Leute wie Anderson oder den Schriftsteller und „Vaterlandsverräter" Paul Gratzik zu.Sie bringen sie mit Offenheit zu einer gewissen eigenen Offenheit. Halten Sie das für eine besondere Gabe?
Ich halte es für Chronistenpflicht, die Dinge in ihren Zusammenhängen zu sehen. Und dabei fließen eben oft das Persönliche und das Gesellschaftliche zusammen. Und das interessiert mich. Selten findet man dies in unseren Geschichtsbüchern. Da kann der Film etwas anderes leisten. Und das geht eben nur mit Offenheit und auf Augenhöhe.
Ich bin keine Beobachterin und schon gar keine neutrale. Was ich suche, ist das persönliche Gespräch und die Auseinandersetzung. Ich versuche von Sascha Anderson Dinge zu erfahren, die nur er erzählen kann.
Können Sie für sein Verhalten damals Verständnis aufbringen?
Ich bin Filmemacherin, die Fragen hat und neugierig ist, die etwas aus erster Hand erfahren will. Für mich ist wichtig, dass es überhaupt einen Dialog gibt nach immerhin 25 Jahren. Und dass ich mich nicht als der bessere Mensch hinstelle und von oben herab auf meine Protagonisten schaue. Ob verständnisvoll oder nicht. Ich möchte wissen, wie er auf seine Vergangenheit heute blickt. Und wie dies seine Freunde und Zeitgenossen tun.
Es ist kein Biografie-Film. Der Film hat vor allem was mit unserem Umgang mit einer solch vielschichtigen Persönlichkeit zu tun. Am meisten überraschte mich nicht Anderson, sondern die anderen. Also wie unterschiedlich die Menschen zu Sascha Ander-son stehen. Und wie viel das über jeden Einzelnen von ihnen, und am Ende von uns erzählt.
Im Vorfeld der Dreharbeiten sind mir immer Sätze begegnet wie „Das geht nicht, den Film darf man nicht machen, man darf Sascha Anderson keine Plattform bieten." Interessant ist, dass nach der Uraufführung des Filmes bei der Berlinale ein Aufeinanderzugehen möglich wurde. Dass die Mitwirkenden das Premierenereignis und die persönliche Begegnung, so viele Jahre später nutzen und miteinander reden konnten. Das habe ich so schnell nicht erwartet.
Der Film möchte die Leute ansprechen, die zum Kern der historischen Wahrheit vordringen wollen. Leute, die verstehen, dass die Geschichte von Diktaturen mehr ist, als die ihrer Herrschafts- und Unterdrückungsapparate. Mich verwundert schon viele Jahre, wie wenig verdaut unsere Geschichte nach den vielen Jahren „Aufarbeitung" noch immer ist. Wir sollten und können ja vieles aus unserer Geschichte lernen, auch für das, was heute ist. Mit dem Ende der DDR hat ja die Überwachung von Menschen nicht aufgehört. Geheimdienste gibt es noch immer, Verrat unter Freunden auch. Nicht nur in Ost und West, sondern weltweit.
Was halten Sie persönlich von „Vergebung" oder„Sühne"?
Da Verzeihen freiwillig ist, kann jeder nur selbst entscheiden, ob und was er verzeihen kann. Ich persönlich halte es mit Hannah Ahrend, die meint, dass das Verzeihen nicht gleichzeitig die Tat billigt.
Der Film „Anderson" von Annekatrin Hendel lief am Sonnabend (30. 8.), 19 Uhr, beim „NEUE HEIMAT film" auf Burg Klempenow. Im Anschluss kam es zu einer Diskussion zwischen Publikum, der Filmemacherin und ihrem Protagonisten Sascha Anderson.
Informationen über den Film im Internet unter http://derneueheimatfilm.de
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