2 subscriptions and 1 subscriber
Article

Kalte Kernfusion: Herr Rossi sucht das Glück der Menschheit

Am 23. März 1989 verkündeten die Elektrochemiker Martin Fleischmann und Stanley Pons an der University of Utah in Salt Lake City eine Weltsensation: Ihnen sei es gelungen, Energie zu erzeugen, indem sie in einem Reagenzglas bei niedrigen Temperaturen Wasserstoffatome miteinander verschmelzen ließen. Diese sogenannte Kalte Kernfusion würde alle Energieprobleme der Menschheit mit einem Schlag lösen.

Dumm nur, dass kein anderer Wissenschaftler die Experimente von Fleischmann und Pons wiederholen konnte. Zudem mussten die beiden Forscher gestehen, dass sie es mit ihren Messungen nicht allzu genau genommen hatten. Fleischmann und Pons standen als Scharlatane da - und die Idee der Kalten Kernfusion war erst einmal vom Tisch.

Bis vor wenigen Monaten Andrea Rossi auf der Bildfläche erschien. Der Italiener mit Hochschulabschlüssen in Philosophie und Technischer Chemie erklärte, dass ihm der Bau eines von ihm sogenannten E-Catalyzers gelungen sei: ein Fusionskraftwerk, in dem Nickel und Wasserstoff miteinander verschmelzen und dabei Wärme erzeugen.

Um die Kernfusion in Gang zu setzen, reiche die Zufuhr einer geringen Menge an Energie aus, so Rossi. Nach einiger Zeit produziere seine Anlage genug Wärmeenergie, um den Prozess selbsttätig aufrechtzuerhalten. Die überschüssige Wärme ließe sich dann nutzen, um Gebäude zu heizen oder um Wasser für die Stromerzeugung zu verdampfen.

Kernfusion - die Energiequelle der Zukunft?

Unter Kernfusion versteht man die Verschmelzung zweier Atomkerne zu einem schweren Kern. Abhängig von der Art der Elemente werden bei diesem Prozess ungeheure Mengen an Energie frei - zu besichtigen etwa bei der Sonne. Im Innern von Sternen herrscht derart großer Druck und eine entsprechend hohe Temperatur, dass Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verschmelzen. Die praktische Nutzung des Effekts zur Energiegewinnung auf der Erde ist schwierig - wegen der immens hohen Temperaturen des Plasmas.

Die einzige Nutzung der Kernfusion, die Menschen bisher zustande gebracht haben, ist die militärische: Nur in Wasserstoffbomben konnten Atomkerne im größeren Maßstab zur Fusion gebracht werden. Ihre Wirkung ist bei weitem stärker als die von Kernspaltungsbomben wie der Hiroshima- oder der Nagasaki-Bombe. Der größte jemals gezündete Nuklearsprengsatz war die russische "Zar"-Wasserstoffbombe. Mit einer geschätzten Sprengkraft von 50 bis 60 Megatonnen TNT war sie fast 4000-mal stärker als die Hiroshima-Bombe, deren Sprengkraft bei 13 bis 15 Kilotonnen TNT lag.

Nutzung als Energiequelle

Die Nutzung der Kernfusion als Energiequelle gilt als technisch äußerst ehrgeizig. Viele Experten bezweifeln gar, dass sie jemals möglich sein wird. Am aussichtsreichsten gilt die Fusion auf Basis des schweren Wasserstoff-Isotops Deuterium: Verschmelzen Deuterium- zu Helium-Kernen, wird dabei relativ zur eingesetzten Masse mehrere Millionen Mal mehr Energie frei als bei der Verbrennung fossiler Stoffe. Allerdings muss das Deuteriumgas dafür extrem verdichtet und auf rund 100 Millionen Grad Celsius erhitzt werden - was einen enormen Energieeinsatz voraussetzt. Ein weiteres Problem ist, das heiße Gas an Ort und Stelle zu halten. Forscher erhoffen sich dies von elektrischen und magnetischen Feldern.

Sollten diese Hürden eines Tages genommen werden, sind die Verheißungen groß: Fusionskraftwerke wären Studien zufolge weit weniger gefährlich als die bisherigen auf Kernspaltung basierenden Kraftwerke und würden kaum strahlende Abfälle verursachen.

Wie die Kernfusion in seinem Reaktor genau funktioniert, weiß der medienscheue Rossi selber nicht. Aber dass sie funktioniert, steht für ihn außer Frage. Er habe auch schon einen Käufer für die erste Anlage gefunden.

Klimawandel, die Endlichkeit fossiler Brennstoffe, die Versorgungssicherheit: Der 61-Jährige hätte mit seinem fern des Wissenschaftsbetriebs entwickelten Fusionsreaktor die Antwort auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit gefunden. Mit der Anlage stünde eine nahezu unerschöpfliche, weitgehend klimaneutrale Energiequelle zur Verfügung, mit der sich Strom für wenige Cent pro Kilowattstunde produzieren ließe. Und das alles ohne radioaktive Strahlung.

Die Fachwelt ist skeptisch

Zu schön, um wahr zu sein? Die Fachwelt zeigt sich skeptisch: Ein solcher Fusionsreaktor verstößt nach Meinung vieler Experten gegen die Grundlagen der Naturwissenschaften - etwa gegen den sogenannten Zweiten Hauptsatz Thermodynamik, nach dem man eben keine unerschöpfliche Energiequelle konstruieren kann.

"Nach allem, was die Physik weiß, ist das unmöglich", sagt Isabella Milch vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik klipp und klar. Das Europäische Patentamt stößt ins gleiche Horn: "Die Erfindung scheint, zumindest auf den ersten Blick, die allgemein akzeptierten Gesetze der Physik zu verletzen", heißt es in einem vorläufigen Bescheid zu einem Patentantrag, mit dem Rossi seine Technologie schützen lassen wollte. Die Prüfer bemängelten, dass es an klaren Beweisen für das Funktionieren der Technologie fehle.

Rossi reagierte auf die Zweifel, indem er ausgewählten Forschern Prototypen seiner Anlage präsentierte. So auch den beiden renommierten schwedischen Wissenschaftlern Hanno Essén vom KTH Royal Institute of Technology in Stockholm und Sven Kullander, emeritierter Professor der Universität Uppsala, die anschließend in ihrem Report bestätigten, dass Rossis Anlage binnen sechs Stunden 25 Kilowattstunden Energie erzeugt hat.

Allerdings durften Essén und Kullander die Apparatur nur mit Abstand begutachten. Deshalb verzichteten sie in ihrem Abschlussbericht auf eine Bewertung der Technologie. Sie räumten allerdings ein: "Es findet eine Art nuklearer Prozess statt, der die Erzeugung von Energie zur Folge hat."

Auch die Show, die Rossi Ende Oktober in einer Industriehalle in Bologna veranstaltete, brachte keine Klarheit. Er lud 15 Wissenschaftler, Journalisten und Blogger ein, dem Testlauf einer 500-Kilowatt-Anlage beizuwohnen. Anwesend war auch ein italienischer Ingenieur, der das Kraftwerk für einen Kunden abnehmen sollte. Die Anlage von der Größe eines 20-Fuß-Schiffscontainers lieferte zwar tatsächlich in fünfeinhalb Stunden rund 2250 Kilowattstunden Energie. Ob die aber durch eine Kalte Kernfusion erzeugt wurde, blieb offen, denn die Augenzeugen durften nur einen kurzen Blick auf das laufende Kraftwerk werfen. Eine Begutachtung der Anlagentechnik und der Messgeräte erlaubte ihnen Rossi nicht.

Zerplatzt der Traum von der Kalten Kernfusion ein zweites Mal?

Genauso zugeknöpft zeigt er sich, was den Kunden betrifft. "Er möchte nicht, dass sein Name bekannt wird", erklärt der Forscher. Möglicherweise handelt es sich dabei um das italienische Facility-Management-Unternehmen Manutencoop, das sich auch um die Energietechnik seiner Kunden kümmert - denn der Name der Firma wird in den Dateieigenschaften der Excel-Tabelle genannt, in der die Messwerte des Testlaufs dokumentiert sind.

Einen anderen Verdacht hegt Mats Lewan von der auf Technologie spezialisierten schwedischen Wochenzeitung "Ny Teknik", der an dem Testlauf teilnahm: Auf dem Übergabeprotokoll, auf dem die technischen Daten der Anlage festgehalten wurden und das der Blogger einsehen konnte, sei der Name des Kundenvertreters mit dem Zusatz "Colonel" versehen. Das lege nahe, dass der Abnehmer aus dem Militär kommt.

Ist Rossi ein Schwindler, der Kunde nur eine reine Fiktion, der Testlauf eine Inszenierung? Oder hat er tatsächlich das Ei des Kolumbus gefunden? "Wenn Herr Rossi allen Zweifeln aus der Physik zum Trotz sagt: 'Ich kann es aber doch', muss er es beweisen", meint Milch. Doch an einer sorgfältigen Untersuchung der Anlage durch unabhängige Wissenschaftler ist er nicht interessiert: "Wir haben überhaupt keinen Grund, neue öffentliche Tests durchzuführen. Das Produkt ist jetzt auf dem Markt. Die Kunden werden also mit ihren Kraftwerken alle Tests machen, die sie wollen", sagt Rossi.

Wenn sich Rossis Reaktor als Luftnummer entpuppen sollte, zerplatzt der Traum von der Kalten Kernfusion ein weiteres Mal. Zumindest aber kommen keine Anleger zu Schaden. Denn der Italiener hat seine Entwicklung nach eigenen Angaben vollständig aus eigener Tasche bezahlt - anders als jener Tüftler aus der Schweiz, der eine Super-Solarzelle entwickelt haben wollte und dazu das Millionenvermögen einer Industriellenwitwe angezapft hatte. Wie viel Geld hat der Italiener in die Entwicklung seines E-Catalyzer gesteckt? "Das ist vertraulich", sagt Rossi. Wie so vieles bei ihm.


Original