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Arbeitsplatz Reaktor: Atomausstieg? Egal!

Seinen Berufstart als Atomtechniker hat sich Lars Holt anders vorgestellt: Deutschland will die Kernkraftwerke abschalten. Doch Experten wie er sind weiterhin gefragt. Sie zerlegen Reaktoren, planen die Entsorgung des Strahlenmülls - und neue Meiler im Ausland.

Lars Holt schreibt zurzeit am Helmholtz-Zentrum in Dresden eine Doktorarbeit, Thema: Sicherheitsanalysen für Kernkraftwerke. In zwei Jahren ist der 26-Jährige damit fertig. Sein Plan war, anschließend in einem deutschen Atomreaktor zu arbeiten.

Zum Beispiel im niedersächsischen AKW Lingen, in dessen Sichtweite ist er aufgewachsen. Kraftwerksbetreiber wie RWE, Vattenfall oder E.on hätten Holt den roten Teppich ausgerollt, denn hochqualifizierte Kerntechnik-Experten sind rar gesät. "Ich hatte schon nach meiner Diplomarbeit mehrere Jobangebote auf dem Tisch", sagt Holt.

Doch dann kam der 11. März 2011. Der Tag, an dem es in Japan bebte, ein Tsunami auf die Küsten den Landes schlug und in Fukushima das Atomkraftwerk havarierte. Drei Tage später ordnete Kanzlerin Angela Merkel an, in Deutschland acht Atomanlagen vom Netz zu nehmen. Für die verbleibenden neun Meiler legte die Bundesregierung einen detaillierten Ausstiegsfahrplan fest: Der letzte Reaktor wird 2022 abgeschaltet. Dann ist die Kernenergie in Deutschland Geschichte. Und Lars Holt muss sich neu orientieren: "Ich weiß noch nicht, wo ich künftig arbeiten werde", sagt er.

Kernkraft-Kündigungen haben begonnen

Wer in einem Atomkraftwerk arbeitet, konnte sich lange Zeit darauf verlassen, dort bis zur Rente bleiben zu dürfen. Der Fachkräftemangel war groß, die Kraftwerksbetreiber buhlten schon an den Hochschulen um Personal. Zwar war die Kernenergie auch für die schwarz-gelbe Koalition unter Angela Merkel immer nur eine "Brücke ins Zeitalter der erneuerbaren Energien" - so war die offizielle Sprachregelung - doch mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten im Herbst 2010 hätte die Brücke noch Jahrzehnte getragen.

Mit dem Ausstiegsbeschluss vom Juni 2011, drei Monate nach Fukushima, ist das passé. Die Betreiber der Reaktoren haben bereits damit begonnen, die Zahl der Beschäftigten in ihren Anlagen zu reduzieren - etwa in Biblis, wo bis Ende des Jahres ein Viertel der 630 Stellen wegfallen werden. Zwar gab es bislang keine Massenentlassungen, denn auch die stillgelegten Reaktoren müssen weiter gehegt und gepflegt werden; zeitlich befristete Verträge werden jedoch nicht mehr verlängert, freiwerdende Positionen bleiben unbesetzt.

Auch die deutschen Kraftwerksbauer sind vom Atomausstieg betroffen: Ihr Wartungs- und Servicegeschäft in Deutschland wird in den nächsten Jahren stetig schrumpfen. Unter anderem deshalb will zum Beispiel die in Erlangen ansässige Tochter des französischen Atomkonzerns Areva bis 2016 im Bereich Kernenergie 1200 Stellen streichen.

Kernenergie, ein Fach mit Jobgarantie

Bis vor kurzem wurden Atomenergie-Experten wie Lars Holt noch händeringend gesucht - jetzt sollen sie Sorgenkinder auf dem Arbeitsmarkt sein? Nein, weit gefehlt, meint Joachim Knebel, Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Die Einrichtung gehört zu den wichtigsten deutschen Forschungs- und Ausbildungszentren für Energietechnik. "Wer ein Kerntechnik-Studium beendet, hat nach wie vor einen Job so gut wie sicher", so Knebel. Das gelte vor allem für eine Anstellung im Ausland, aber auch für Deutschland.

Es klingt paradox, aber nur im ersten Moment: Auch nach dem deutschen Ausstieg wird es noch für Jahrzehnte viel zu tun geben für Kernenergie-Experten, zum Beispiel bei der Entsorgung des Atommülls. "Wegen der langen Genehmigungsverfahren und der schwierigen gesellschaftspolitischen Situation wird uns das Thema Entsorgung sicher noch lange beschäftigen", so Joachim Knebel. Außerdem startet der Rückbau der Kraftwerke, und ihre kontaminierten Kerne müssen mit großem personellem Aufwand Stück für Stück zerlegt und entsorgt werden. Das dauert Jahre.

Zugleich setzen die deutschen Atomfirmen große Hoffnungen auf, genau, das Ausland: "Wir verfolgen die Neubaupläne in anderen Staaten mit großem Interesse. Unser Geschäft wird immer internationaler", sagt Tim Hanneforth, der bei der deutschen Areva-Tochter die Talentsuche leitet. Areva würde die neuen Kraftwerke im Ausland nämlich gerne mit Technologie "Made in Germany" ausstatten - die dann im eigenen Land allerdings nicht mehr eingesetzt wird.

"Kein Grund zum Pessimismus"

Areva will zwar insgesamt viele Stellen abbauen, aber sucht an anderer Stelle nach neuen Leuten, zum Beispiel im Labor des Unternehmens. Sie entwickeln neue Technik für Reaktoren, die weiter am Netz sind oder im Ausland neu gebaut werden. In Erlangen unterhält Areva zum Beispiel ein Laserlabor, das es innerhalb des Konzerns auf der ganzen Welt nur ein einziges Mal gibt. Die deutschen Techniker bekommen Aufträge aus Frankreich, den USA, anderen Ländern Europas - wenn dort Prototypen gebraucht werden, wird in Erlangen angerufen.

Auch wenn die Atombranche in Deutschland noch Jahrzehnte existieren wird - Doktorand Lars Holt denkt darüber nach, mit der fertigen Promotion Dresden und Deutschland zu verlassen. Länder wie Großbritannien, die USA, Polen, Tschechien, Finnland, die Vereinigten Arabischen Emirate oder die baltischen Staaten forcieren momentan ihre Kernenergie-Pläne. Da werden neue Arbeitsplätze entstehen. Seine Diplomarbeit hatte Holt schon zum Teil in Schweden geschrieben - "wenn man ein bisschen flexibel ist, gibt es überhaupt keinen Grund zum Pessimismus", sagt er.

KarriereSPIEGEL-Autor Ralph Diermann (Jahrgang 1971) arbeitet als freier Journalist in München und ist spezialisiert auf Energiethemen.


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