Den Sonntagsbraten vom Metzger um die Ecke, die Kartoffeln vom Wochenmarkt - regionales Einkaufen ist wieder in. Doch ausgerechnet beim Strom ist das bislang kaum möglich, obwohl doch mittlerweile in jeder Ecke des Landes Windräder, Solar- und Biogasanlagen stehen.
Das liegt daran, dass fast der gesamte Grünstrom zentral über die Börse vermarktet wird. Dabei geht er im bundesweiten Strommix auf. Stammt die Energie, die ein Versorger für seine Kunden einkauft, vom Nachbarn mit der Solaranlage oder von einem weit entfernten Kohlekraftwerk? Das lässt sich nicht mehr nachvollziehen.
Christian Chudoba, Mitgründer des Berliner Start-ups Lumenaza, sieht darin eine vertane Chance: "Wer Strom vom Windrad vor seiner Haustür bezieht, ist eher bereit, den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien zu akzeptieren", sagt er. Und sieht eine Marktlücke, die sein Unternehmen jetzt mit einer selbst entwickelten Plattform für den lokalen Stromhandel füllen soll.
Lumenaza bringt Betreiber von Windrädern, Biogas- und Solaranlagen mit Abnehmern in der Umgebung zusammen. Die Verbraucher selbst nehmen das Unternehmen dabei meist gar nicht wahr. Das Start-up arbeitet mit lokalen Partnern zusammen, die Regionaltarife anbieten wollen - kleine Versorger, Kommunen oder Energiegenossenschaften. "Wir kümmern uns um alle Aufgaben, die im Hintergrund anfallen", sagt Chudoba. "Das reicht vom Einkauf des Stroms über die energiewirtschaftlichen Pflichten bis hin zur Abrechnung."
Das Angebot an Regionalstrom-Tarifen ist noch sehr klein
In acht Regionen organisiert Lumenaza bereits einen lokalen Stromhandel, im oberfränkischen Fichtelgebirge zum Beispiel oder rund um das schwäbische Bopfingen. Abhängig vom örtlichen Ausbau der erneuerbaren Energien kommt der Strom nach Angaben des Unternehmens zu fünfzig bis hundert Prozent aus lokaler Produktion. Der Rest stammt aus Anlagen in anderen Regionen, die Lumenaza unter Vertrag hat. Wenn auch das nicht reicht, wird Ökostrom am Markt zugekauft.
Lumenaza - finanziert unter anderem vom Energiekonzern EnBW - ist nicht das einzige Unternehmen, das eine regionale Vermarktung anbietet. Auch die etablierten Ökostrom-Versorger mischen hier mit. Lichtblick zum Beispiel unterhält einen eigenen Think Tank für neue Geschäftsmodelle dieser Art. Konkurrent Naturstrom bearbeitet den Markt mit seiner Tochter Grünstromwerk. Ähnlich wie die genossenschaftlich organisierten Bürgerwerke aus Heidelberg wendet sich Grünstromwerk gezielt an lokale Gemeinschaften, die zusammen Windräder oder Solaranlagen installiert haben und den Strom daraus den Bürgern vor Ort verkaufen wollen.
Bislang ist das Angebot an Regionalstrom-Tarifen bundesweit allerdings noch sehr klein. Das liegt vor allem daran, dass Strom, der nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert wird, nicht als Ökostrom verkauft werden darf. Das betrifft fast alle Anlagen in Deutschland.
Deshalb werben manche Anbieter mit Labeln wie "100 Prozent regional, 100 Prozent nachhaltig" für ihre Tarife. Damit bewegen sie sich allerdings teilweise in einer rechtlichen Grauzone, sagt Lisa Conrads von der Energieagentur Nordrhein-Westfalen. "Der Gesetzgeber hat Begriffe wie 'regionale Herkunft' oder 'nachhaltig' nicht eindeutig definiert".
Kartoffeln vom Bauern - und den Strom für den Herd dazu
Doch nun soll die ab Anfang 2017 geltende Novelle des EEG Klarheit bringen - und so die Vermarktung vor Ort anschieben. Wichtigste Neuerung: Das Gesetz erlaubt es den Versorgern, regionalen Grünstrom als solchen auszuweisen. Dazu müssen sie Zertifikate über die eingekauften Energiemengen von den Anlagenbetreibern erwerben. Die Versorger können ihren Kunden künftig sogar konkret nennen, aus welchen Windrädern, Solar- oder Biogasanlagen die gelieferte Energie stammt. Regional bedeutet dabei ein Umkreis von rund fünfzig Kilometern.
Die neue Regelung ist jedoch umstritten. So kritisieren mehrere Verbände aus der Energiebranche, dass das Modell viel zu kompliziert sei und zudem keinen direkten Anreiz zum Bau neuer Anlagen setze. Conrads moniert darüber hinaus, dass Versorger in ihrer Werbung auch dann von einem regionalen Tarif reden dürfen, wenn nur ein Teil der Energie tatsächlich vor Ort erzeugt wurde. "Das verwässert den Begriff Regionalität", sagt sie.
Nichtsdestotrotz ist das Interesse an einer regionalen Vermarktung von Grünstrom mit der Novelle gestiegen, berichtet Conrads. Attraktiv sei das Modell vor allem für lokale Energiegenossenschaften und Stadtwerke. "Sie sind ja ohnehin vor Ort stark verwurzelt", sagt die Expertin.
Die Stadtwerke Rosenheim zählen zu den ersten Versorgern, die den Spielraum der EEG-Novelle nutzen werden. Der kommunaleigene Betrieb hat rund fünfzig Biogasanlagen aus dem Umland unter Vertrag genommen. "Jeder Kunde wird viertelstundengenau mit Strom aus den lokalen Anlagen versorgt. Erzeugung und Verbrauch stehen also jederzeit im Gleichgewicht", sagt Geschäftsführer Götz Brühl.
Strom von auswärts zukaufen muss der Versorger auch dann nicht, wenn die Nachfrage nach dem neuen Tarif sehr groß ist. Dann, so Brühl, kommen einfach weitere Biogasanlagen hinzu. Die Kunden können also künftig nicht nur Kartoffeln oder Kotelett von ihren Landwirten beziehen - die Bauern liefern gleich auch den Strom für den Herd dazu.