Brandenburg - Wer mit Alexander Zimmermann auf Auerhuhn-Safari geht, sieht zunächst nichts als Bäume: dicke und dünne Kiefern, mal als altersgleiche Monokultur, mal durchmischt mit Birken und Traubeneichen. Zum Teil stehen die Stämme so dicht, dass man nur mit Mühe zwischen ihnen hindurch käme. Meist sind die Bestände aber licht und die Morgensonne taucht die dicke Blaubeerstrauchschicht am Boden in ein strahlendes Licht.
Zimmermann steuert seinen Wagen langsam über einen unbefestigten Waldweg im Naturpark Niederlausitzer Landrücken. „Das hier ist ein absolutes Zentrum der Auerhuhnpopulation", sagt er. Der Geoökologe koordiniert ein Auswilderungsprojekt, das wohl deutschlandweit einzigartig ist. Seit 2012 fangen er und seine Kollegen jedes Jahr bis zu 60 Auerhühner in Nordschweden ein, um sie in der Lausitz wieder auszuwildern. In diesem Frühjahr waren es 35 Hennen und 6 Hähne.
Bereits Anfang der 90er-Jahre hatten ehrenamtliche Naturschützer und Förster die Idee, Auerhühner wieder in der Lausitz heimisch werden zu lassen. Die Naturparks Niederlausitzer Landrücken und Niederlausitzer Heidelandschaft unterstützten das Vorhaben. Mittlerweile wird das Projekt auch von der EU und vom Land Brandenburg gefördert.
Der Fang in Schweden ist eine kräftezehrende Angelegenheit: Eine vier Meter lange Kescher-Angel muss im richtigen Sekundenbruchteil vom fahrenden Auto aus auf ein Huhn geworfen werden, das am Straßenrand das erste Grün genießt. Im Schnitt ist nur jeder zehnte Wurf ein Treffer.
Genproben aus FedernDie Arbeit in der Lausitz ist ebenfalls mühsam. Schließlich müssen die Hühner in ihrer neuen Heimat wiedergefunden und gezählt werden, um den Erfolg des Projektes nachweisen zu können. Das ist nicht leicht. Die Auerhühner sind scheu und können sich im Blaubeerdickicht fast unsichtbar machen. Und das Projektgebiet, in dem sie sich aufhalten, ist 500 Quadratkilometer groß.
Alexander Zimmermann hat den Wagen abgestellt. Nun geht es zu Fuß weiter über das federnde Blaubeerdickicht. An einem kräftigen Kiefernstamm bleibt er stehen und geht in die Hocke. Etwa 50 Zentimeter über dem Boden ist eine Wildkamera montiert, deren Akku gewechselt werden muss. 60 solcher Kameras sind im Projektgebiet verteilt. „Mittlerweile wissen wir schon etwas besser über unsere Auerhühner Bescheid", sagt Zimmermann. Die Kameras werden zum Beispiel dort aufgehängt, wo häufig Auerhühner gesichtet wurden.
„Häufig" ist in diesem Fall jedoch ein sehr relativer Begriff: Zimmermann selbst entdeckt vielleicht bei jeder dritten Kontrollfahrt eines der Tiere. Wenn in einem mehrere 100 Hektar großen Gebiet im Abstand von mehreren Wochen zwei oder drei Tiere gemeldet werden, dann ist das fast schon ein Auerhuhn-Hotspot.
Population starb Ende der 90er ausAm Anfang wurde das Lausitzer Projekt durchaus skeptisch beäugt. Schließlich sind viele andere Auswilderungsversuche in der Vergangenheit erfolglos verlaufen. Und in den Lausitzer Wäldern gab es zwar früher auch schon Auerhühner. Allerdings ist die Population Ende der 90er-Jahre ausgestorben. Kritikern erschien es zu früh, keine 15 Jahre später eine aufwendige Wiederansiedlung zu versuchen.
„Die Bedingungen haben sich in den letzten Jahren ganz erheblich verbessert", sagt Zimmermann. Zu DDR-Zeiten sorgten ein Truppenübungsplatz bei Bad Liebenwerda, Tanklager der Roten Armee und ein Tagebau bei Grünhaus für Unruhe und Zerstörung im Wald. Und die Forstwirtschaft war noch viel stärker von Monokulturen und Kahlschlägen geprägt.
Vor allem wurde die Blaubeere - neben Kiefernnadeln die wichtigste Nahrungsquelle der Auerhühner - durch das konkurrenzstärkere Landreitgras verdrängt. Das lag am Tagebau, der eine Absenkung des Grundwasserspiegels und einen starken Eintrag von Stickstoff- und Schwefelverbindungen in die Wälder mit sich brachte, die eine Ausbreitung des Landreitgrases begünstigten. Heute gehen die Stickstoffeinträge zurück, die Blaubeere breitet sich wieder aus, Truppenübungsplatz, Tagebau, Tanklager und große Kahlschläge sind ohnehin längst Geschichte. Davon profitieren die Auerhühner.
Neuankömmlinge aus Schweden haben gute Chancen, Artgenossen zu findenUm das auch zweifelsfrei belegen zu können, wird jedes Jahr so viel Genmaterial wie möglich eingesammelt. Dazu suchen die Wissenschaftler die Plätze auf, die von den Tieren zum Sandbaden genutzt werden. Als sogenannte Huderplätze dienen vor allem umgestürzte Bäume, unter deren Wurzeltellern der sandige Boden freigelegt wird. Nach der Mauser werden an diesen Stellen Federn eingesammelt und zur genetischen Untersuchung ans Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung geschickt. „So konnten wir im vergangenen Jahr 101 Individuen nachweisen", sagt Zimmermann.
Ein deutliches Plus zu den Jahren davor: 2015 wurden 18 Tiere gezählt, 2016 waren es 41 und 2017 genau 83 Individuen. Der Bestand entwickelt sich demnach gut. Fast noch wichtiger: Die Mehrheit der Tiere stammt nicht aus Schweden, sondern wurde in der Lausitz geboren. „Von den 101 Individuen, die wir genetisch bestimmen konnten, stammen 24 aus Schweden. 77 sind echte Lausitzer. Die Tiere pflanzen sich also erfolgreich fort", sagt Zimmermann.
Das lässt für die Zukunft hoffen. Je größer die Population im Auswilderungsgebiet ist, desto besser sind die Überlebenschancen auch für die Neuankömmlinge aus Schweden. Die Auerhühner streifen so lange im Gebiet umher, bis sie einen Geschlechtspartner treffen. Zu Beginn des Projektes war das noch reine Glückssache. Nicht wenige Tiere werden bei der Suche den Wald verlassen haben und im für sie ungeeigneten Terrain umgekommen sein. Heute haben die Neuankömmlinge aus Schweden gute Chancen, einen Artgenossen zu finden.
Koordination eines Auerhuhn-Paares wird an Förster weitergeleitetBei der Fahrt zur nächsten Kamerafalle stoppt Alexander Zimmermann plötzlich den Wagen. Lugt da ein Auerhahn aus dem Blaubeergestrüpp hervor? Fehlalarm. Es ist nur eine Wurzel. Doch keine 100 Meter weiter steht dann tatsächlich ein Auerhahn. Der rote Fleck über dem Auge ist gut zu erkennen. Er hat den kräftigen weißen Schnabel nach oben gereckt, den Schwanz leicht gefächert - Anzeichen einer Bodenbalz.
Und tatsächlich. Nur ein paar Meter entfernt hockt auf einem umgestürzten Baumstamm, fast unsichtbar, die Henne. Alexander Zimmermann strahlt vor Freude - und legt den Rückwärtsgang ein, um der sich anbahnenden Paarung nicht im Weg zu stehen. Später wird er die Koordinaten des Paares an den zuständigen Förster weiterleiten - mit der Bitte, in diesem Bereich während der Paarungszeit und Jungenaufzucht auf Waldarbeiten zu verzichten.
Das ist keine Kleinigkeit, denn die Fläche, die von der Bewirtschaftung ausgespart bleiben soll, kann schnell mal einige 100 Hektar umfassen. „Die Waldbesitzer sind ganz wichtige Partner für uns", sagt Zimmermann.
Kooperation mit den FörsternZwei Forstämter der Region haben sich dazu verpflichtet, die Bewirtschaftung des Waldes auf die ökologischen Bedürfnisse des Auerhuhns auszurichten, also für möglichst lichte und strukturreiche Baumbestände zu sorgen. Auch andere Waldbesitzer helfen mit, indem sie die Verbreitung der Blaubeere fördern oder bestehende Zäune abbauen, weil die für die Vögel nur schwer zu sehen sind und ein beträchtliches Verletzungsrisiko darstellen.
Auf der Rückfahrt zeigt sich ein paar Meter neben dem Weg noch einmal ein ausgewachsener Hahn, der das Auto für ein paar Sekunden taxiert und sich dann im flachen Flug tiefer in den Wald zurückzieht. Die Bilanz der morgendlichen Pirsch: drei Tiere innerhalb einer halben Stunde - und zwischen erster und zweiter Sichtung liegen nur ein paar hundert Meter Wald. Die Auerhühner sind ganz offensichtlich zurück.