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Aufbruch ins All: Maurer auf dem Weg zur ISS - und in eine neue Ära der Raumfahrt

Hautnah erlebt der Astronaut den Wandel der Raumfahrt, die sich anschickt „einen neuen Kontinent“ zu erkunden.


Im vierten Anlauf hat es Matthias Maurer endlich geschafft. Nachdem der erste Startversuch Ende Oktober wegen schlechten Wetters, der zweite wegen eines „kleineren medizinischen Problems bei einem der Crewmitglieder“ abgesagt und der dritte verschoben werden musste, gab es nun endlich das „Go!“ für den Flug zur Internationalen Raumstation (ISS). Am Donnerstag Morgen um 3:03 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (Mittwoch 21:03 Uhr in Florida) zündeten die Triebwerke der Falcon-9-Rakete am Kennedy Space Center. In der Crew-Dragon-Kapsel sitzen Raja Chari, Thomas Mashburn und Kayla Barron aus den USA und als Astronaut der europäischen Raumfahrtagentur ESA Matthias Maurer. Laut Statistik ist er der 600. Mensch im Weltraum und der zwölfte Deutsche im All. Zudem ist er der erste deutsche Astronaut, der in einer Kapsel des US-Unternehmens SpaceX fliegt.


Den eigenen Fuhrpark, die Spaceshuttles, hat die Nasa längst stillgelegt und kauft nur noch Taxidienste ein. Zwar hat sie diese mit viel Staatsgeld zunächst mit aufgebaut und nutzt sie lediglich für den Crewtransfer zur ISS im erdnahen Weltraum. Doch die Kommerzialisierung der Raumfahrt beginnt gerade erst. Ihr stehen große Umbrüche bevor und Fachleute versprechen sich viel davon: weitere Raumstationen für Forschung und Tourismus, Habitate auf dem Mond, die Produktion reinster Materialien in der Schwerelosigkeit.


Aber sie hat auch Nachteile, wie Maurer selbst erfahren hat. Er fliegt als „Mission Specialist“ in der Dragon-Kapsel. „Das heißt nichts anderes als Passagier“, hatte er kürzlich berichtet. „Ich habe nur das erfahren, was ich wirklich wissen musste.“ Damit falle ein Astronaut in der Expertise zurück. Die Italienerin Samantha Cristoforetti, so erzählt es Alexander Gerst, die in einem halben Jahr fliegen wird und derzeit bei SpaceX trainiert, werde auf dem Weg vom Simulator in die Kantine sogar eskortiert.


Maurer ist weiter, er schwebt bereits in der Umlaufbahn, am Freitag um 1:10 Uhr (MEZ) soll die Kapsel an der ISS ankoppeln. Dann beginnt bald die Bordroutine. Für ihn heißt das täglich rund zweieinhalb Stunden Sport, um Muskel- und Knochenschwund vorzubeugen. Ansonsten wird der promovierte Werkstoffwissenschaftler viel Zeit für Experimente aufwenden – gut hundert sind geplant für den sechsmonatigen Aufenthalt. In einem Ofen wird er verschiedene Metallproben aufschmelzen und wieder erstarren lassen.


Unter Schwerelosigkeit gelingt das wegen verminderter Strömungen präziser als auf der Erde. Die daraus gewonnenen Daten zu den Eigenschaften der Schmelze wie Viskosität, Oberflächenspannung oder Kristallwachstum helfen, Schmelzvorgänge auf der Erde besser zu simulieren. Damit kann die Herstellung von beispielsweise Elektromaterialien optimiert werden. Dazu kommen medizinische Versuche und Grundlagenphysik mit ultrakalten Atomen, die für extrem genaue Uhren und Sensoren genutzt werden können, was beispielsweise die satellitengestützte Navigation verbessert.


Bei einigen Experimenten wird er von „Cimon“ begleitet, einem Roboter. Dieser schwebende Gefährte soll – dank Künstlicher Intelligenz – im Zweifelsfall schnell Auskunft geben, wo zum Beispiel welches Kabel anzuschließen ist. Auf der ISS erscheint das noch etwas gewollt, schließlich sind jederzeit Experten am Boden verfügbar, die den Astronauten weiterhelfen können.


„Das wäre aber anders, wenn ich in einem Mondkrater bin und keine Funkverbindung zur Erde habe oder auf dem Mars, wo die Signale bis zu einer Dreiviertelstunde brauchen“, sagt Maurer. „Also müssen die Experten mit ins All reisen.“ Eine Künstliche Intelligenz wie Cimon könnte diese Aufgabe übernehmen. „Das hat auch einen psychologischen Effekt“, sagt der Astronaut. „Wenn es mir mal nicht gut geht, ist ein Begleiter an meiner Seite.“

Maurer wird auch Weltraumtouristen treffen. Im Februar will die US-Firma Axiom mit vier Leuten an der ISS festmachen, ebenfalls mit einer Dragon-Kapsel von SpaceX. Geflogen wird sie vom Ex-Nasa-Astronauten Michael López-Alegría; er chauffiert drei Investoren, die je 55 Millionen Dollar für ihre Reise bezahlt haben. Dies ist nur ein Anfang. In den kommenden Jahren sollen zudem kommerziell betriebene Module für Tourismus und industrielle Forschung an die ISS gebracht werden.


„Ich finde das gut“, sagt Maurer. Wenn es mehr Firmen und Akteure gebe, werde die Raumfahrttechnologie schnell weiterentwickelt. „Das bedeutet, sie wird effizienter und robuster und entlastet uns Profi-Astronauten.“ Es werde zudem günstiger werden, wenn mehr Anbieter da sind. „Damit wird es günstiger, mehr Wissenschaftler und mehr Experimente ins All zu fliegen.“


Längst gibt es in der Industrie Pläne, weitere Raumstationen ins All zu bringen. Erst vor zwei Wochen hat ein Konsortium um Jeff Bezos’ Firma Blue Origin das Konzept eines „Orbital Reef“ präsentiert. Nur wenig kleiner als die ISS könnte diese private Station bis zum Ende des Jahrzehnts errichtet werden, sagen die Verantwortlichen. Allerdings nichts über die Kosten und wie sie diese aufbringen wollen.


Aus gegenwärtiger Sicht erscheint das schwer möglich. „Sieht man vom Weltraumtourismus ab, so ist der Anteil kommerzieller Kunden an der ISS-Nutzung heute bei fünf bis zehn Prozent von dem, was die Agenturen aufwenden“, sagt Bernardo Patti, Programm-Manager der Esa für Human Exploration. Er ist überzeugt, dass der Anteil steigt, wenn die Kosten sinken und somit Forschung in der Schwerelosigkeit attraktiver wird, etwa für die Werkstoff- oder Pharmabranche. Künftig, so Patti, werde der Bedarf so groß sein, dass es mehrere privat betriebene Stationen im erdnahen Raum geben wird – neben der ISS beziehungsweise als ihre Nachfolger, wenn die Station in den 2030ern ihr Lebensende erreicht.


Europa sollte diesen Weg ins All mitgehen, meint der Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher und fordert eine größere Perspektive. „Wir sind am Beginn einer neuen Explorationsphase, wo der Weltraum der nächste Kontinent ist.“ Der erdnahe Raum mit Stationen gehöre dazu, aber auch der Mond und noch weitere Ziele. Er erinnert an die Entdeckung Amerikas vor 500 Jahren: Die europäischen Länder haben Schiffe entsandt, um diesen zu entdecken und dort Fuß zu fassen.

„Ob das gut oder schlecht war, will ich nicht bewerten, aber es ist ein Faktum“, sagt er. „Heute befinden wir uns in einer ähnlichen Situation und die Frage lautet, will Europa ein Schiff bauen, um diesen neuen Kontinent, den Weltraum, zu erschließen?“ Oder, fragt Aschbacher, „wollen wir bewusst beschließen, dass wir kein Schiff brauchen, weil uns dieser Kontinent nicht interessiert?“


Klar, dass der Esa-Chef dabei sein will. Dafür brauche Europa auch eigene Kapazitäten, um Astronauten ins All zu bringen, fordert er. Wie die USA, Russland, China und bald auch Indien, das einen Erstflug 2023 anpeilt. Die Idee, vom Raumfahrtzentrum Kourou in Französisch Guayana auch Menschen ins All zu bringen, ist alt. Sie wurde im Projekt „Hermes“ verfolgt, das eine Raumfähre an der Spitze einer Ariane-Rakete vorsah – und 1992 eingestellt wurde. Nun ist sie wieder da und wird intensiv diskutiert. Patti hält sie für „sehr gut“. „Die Politik muss entscheiden, ob wir zu den führenden Akteuren der Raumfahrt gehören wollen oder nur Juniorpartner sein möchten.“ Innerhalb der Esa „stehen wir alle hinter unserem Generaldirektor“.


Walther Pelzer, Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ist weniger euphorisch. Ein astronautischer Zugang sei „finanziell eine ganz andere Dimension“. Die Esa habe Mühe, die Rakete Ariane-6 zu finanzieren, die nächstes Jahr endlich ihren Erstflug absolvieren soll. „Und diese wäre noch ein Schnäppchen gegenüber einer Ariane-7, die auch Menschen ins All bringt.“


Das erscheint gegenwärtig schwer möglich. Pelzer erinnert an den Green Deal, den die EU als klares Ziel formuliert habe. Das Copernicus-Programm mit den Erdbeobachtungssatelliten sei ein Schlüsselelement, etwa um Emissionen örtlich genau zu erfassen und gezielt zu handeln. Infolge des Brexits fehlen 750 Millionen Euro, nun sollen einzelne Copernicus-Missionen gestreckt oder verschoben werden, klagt Pelzer. „Wenn die EU nicht in der Lage ist, bei einem so wichtigen Thema 750 Millionen Euro aufzubringen, dann frage ich mich, wie wir andere Themen wie den astronautischen Zugang zum All angehen wollen, wo es um Milliardenbeträge geht.“


Wie viel nötig wäre, kann keiner genau sagen. Das Explorationsbudget der Esa, 670 Millionen Euro in diesem Jahr, wird nicht reichen. Es betrage nur acht Prozent dessen, was die Nasa für Exploration ausgibt, sagt Aschbacher. „Ich sage nicht, das wir es verzehnfachen müssen, aber es sollte stufenweise steigen, um eine aktiviere Rolle zu spielen.“ Er glaubt, dass neben institutionellen Investitionen auch erhebliche Summen aus der Wirtschaft kommen, die diesen neuen Kontinent für sich entdeckt und Geschäftsfelder ausmacht. Private Raumstationen in Erdnähe, wie sie US-Firmen planen, seien erst der Anfang.


Hinweis: Die Reise des Autors nach Cape Canaveral wurde vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt mitfinanziert.




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