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Unkraut an den Bahngeleisen

Schienenwege müssen von Bewuchs frei gehalten werden. Bis jetzt kommt vor allem das umstrittene Herbizid Glyphosat zum Einsatz. Damit ist bald Schluss. Welche Alternativen gibt es?

Glyphosat gilt als effektives und preiswertes Mittel, um unerwünschten Bewuchs einzudämmen. Demgegenüber stehen biologische und gesundheitliche Bedenken, weshalb das Herbizid ersetzt werden soll. Vor dieser Aufgabe stehen Bauern, Kommunen und auch die Bahnen, die ihre Strecken frei halten müssen. Die SBB mit 7600 Gleiskilometern haben laut eigenen Angaben den Verbrauch auf knapp zwei Tonnen im Jahr 2019 reduziert, dank Einsparmassnahmen und trockenem Wetter.

Doch das genügt nicht, 2025 will das Unternehmen beim Fahrbahnunterhalt völlig ohne Glyphosat auskommen. In den EU-Nachbarländern, wo das Mittel nur bis 2022 zugelassen und eine Verlängerung unwahrscheinlich ist, müssen die Bahnen den Ausstieg schneller schaffen. Das wirft die Frage auf: Welche Alternativen gibt es? Und vor allem: Welche sind praktikabel?

Europaweit laufen verschiedene Forschungen, die etwa den Einsatz von Heisswasser oder elektrischem Strom untersuchen. Das Grün wachsen zu lassen, ist keine Option. «Wenn Pflanzen Wurzeln im Gleisbett bilden, dehnen sich diese wasserführenden Teile bei Frost aus», erklärt Gunter Adolph, bei den SBB verantwortlich für Umwelt und Nachhaltigkeit. «Im Extremfall können Verwerfungen folgen, die schlimmstenfalls den Zug entgleisen lassen.» Auch am Rand ist Bewuchs unerwünscht: Bahnmitarbeiter oder evakuierte Zugreisende sollen nicht über Brombeerranken stolpern und stürzen. Ebenso müssen die Schilder und Zeichen immer gut erkennbar sein, auch die tiefsitzenden auf Rangierstrecken.

Vegetationskontrolle, wie es im Eisenbahnjargon heisst, ist daher nötig. Bisher wird von den Bahnen meist Glyphosat genutzt, ausgetragen von Spritzzügen, kleineren Spezialfahrzeugen mit Sprühaufsatz oder manuellen Spritzgeräten. «Üblicherweise wird einmal im Frühjahr behandelt und nach Bedarf an Hotspots ein zweites Mal im Herbst», sagt Adolph. Glyphosat sei das kosteneffizienteste Mittel. «Doch die negativen Auswirkungen auf die Umwelt sind nicht von der Hand zu weisen, daher wollen wir darauf verzichten.» Klar ist: Es gibt weder eine Methode, die das «Alles in einem»-Verfahren mit Glyphosat ersetzen kann, noch sind die Alternativen weit genug entwickelt, um sie umgehend grossflächig einzusetzen. «Es sind verschiedene Verfahren patentiert worden, etwa für den Einsatz von Elektrizität oder Mikrowellen, aber keines davon ist bis zur Marktreife gelangt», sagt Adolph. Was auch daran liege, dass der Markt der Eisenbahnen sehr klein sei verglichen etwa mit der Landwirtschaft, so dass die Industrie die Entwicklungskosten scheue. «Die Bahnen müssen das übernehmen.»

Erfolgsquote 100 Prozent

Die Bahnen haben diese Aufgabe aufgeteilt. In Deutschland etwa wird viel am Elektroverfahren geforscht, die Schweiz ist beim Thema Heisswasser vorn dabei. Seit dem Sommer 2019 fährt hier ein entsprechendes Spritzfahrzeug. Das heisse Wasser verändert die Zellstruktur der Pflanzen und verhindert damit den Wassertransport. Die Erfolgsquote liegt bei nahezu 100 Prozent. «Allerdings ist der Wasser- und Energiebedarf für das Aufheizen bei einem flächendeckenden Einsatz beträchtlich», erklärt Gunter Adolph.

«Lebewesen, die mit heissem Wasser getroffen werden, werden vermutlich getötet. Die Auswirkungen auf die Fauna werden noch genauer untersucht.» Hinzu kommt, dass Fahrzeuge und Technik noch nicht ausgereift und damit teurer sind. «Einen solchen Prototyp mit einem herkömmlichen Spritzzug zu vergleichen, ist, als würde man ein Wasserstoffauto einem Diesel gegenüberstellen. Natürlich schneidet das etablierte Verfahren besser ab», sagt der SBB-Experte. «Aber das wird sich ändern.»

Weiter arbeiten die SBB gemeinsam mit der Hochschule Luzern an einem Roboter, der sich am Streckenrand autonom ums Grün kümmern soll. Mähen, Epilieren und eine weitere Stufe wie Strombehandlung kommen infrage – welche Methode forciert wird, stehe noch nicht fest, sagt Adolph. Als Antrieb werden grosse Räder oder Raupenketten diskutiert. Idealerweise werden Streckensanierungen so geplant, dass sie künftig gut von einem Roboter gepflegt werden können beziehungsweise mit aufwuchshemmenden Materialien gestaltet werden, etwa Vliesstoffen. Bereits sanierte Abschnitte sind jedoch eher kurz, für die meisten Strecken muss rasch eine Lösung gefunden werden. Hier hätten sich neben dem Heisswasser das elektrische Jäten und der Ersatzstoff Pelargonsäure als vielversprechend erwiesen, sagt Roland Nolte vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT). Er leitet das Projekt «Tristram», das umweltfreundliche Alternativen zu Glyphosat testen und optimieren soll.

«Das Elektroverfahren stammt aus dem biologischen Landbau: Über eine Elektrode wird eine Hochspannung mit 15 Kilovolt in den Boden gebracht», erläutert er. «Der Strom fliesst gemäss dem geringsten Widerstand durch wasserhaltige Pflanzenteile bis zur Rückelektrode.» Nach kurzer Zeit ver­dorren die Pflanzen und sterben ab. Von der Wirksamkeit ähnele das Verfahren Glyphosat, berichtet Nolte. Schadwirkungen auf Bodenorganismen seien gut untersucht, sie seien gering. Nachteilig sei das geringe Tempo des Fahrzeugs von 10 Kilometern pro Stunde, wobei Optimisten meinen, es seien 25 zu schaffen, sagt der Wissenschafter. Spritzzüge indes fahren um die 50. «Offen ist, ob elektrische Anlagen an den Gleisen durch die Hochspannung gestört werden, das wird in den nächsten Monaten untersucht.»

Auch mit Pelargonsäure laufen weitere Tests, unter anderem in der Schweiz. Hierbei handelt es sich um eine organische Säure, die weniger giftig für Organismen und besser biologisch abbaubar ist. «Grundsätzlich ist sie als Herbizid im Gleisbett geeignet, aber sie wirkt nicht so stark. Deshalb muss etwa dreimal im Jahr behandelt werden, was die Kosten steigert», sagt Nolte. Obendrein seien enorme Mengen nötig, so dass Spritzzüge nicht weit kommen, ohne nachzutanken.

Daher werden zudem Kombinationen aus Pelargonsäure und anderen Herbiziden untersucht. «Wir wollen so die Wirksamkeit erhöhen», sagt Thomas Schuh, Nachhaltigkeitskoordinator der ÖBB-Infrastruktur AG. Dort werden unter anderem Mischungen mit Flumioxazin oder Flazasulfuron getestet, um herauszufinden, welche Rezeptur für einen bestimmten Bewuchs am besten geeignet ist. Dafür werden in Österreich parallel die vorkommenden Pflanzenarten an einzelnen Bahnstrecken kartiert – was durchaus interessante Entdeckungen hervorbringt.

Grundsätzlich sind Gleiskörper attraktiv für Pionierpflanzen, die auf den meisten anderen nährstoffreichen Flächen kaum Chancen haben. Bei einer Untersuchung der Bahnhofsflora in Osttirol fanden Botaniker 31 Rote-Liste-Arten wie Krummhals (Anchusa arvensis) und Weisse Zaunrübe (Bryonia alba). Die betreffenden Areale gelten daher als relevant für die Biodiversität Osttirols. «Das hat auch mit der regelmässigen Vegetationskontrolle auf diesen Flächen zu tun», sagt Schuh.

Drohnen liefern Anweisungen

Wie umweltfreundlich diese ist, hängt nicht allein vom Verfahren ab. Selbst bei Glyphosat wurden in den vergangenen Jahren beträchtliche Mengen gespart, weil moderne Spritzzüge mit Chlorophyll-Sensoren ausgestattet sind: Sie sprühen nur dort, wo wirklich etwas wächst. Ein solch bedarfsorientierter Ansatz müsse künftig noch konsequenter verfolgt werden, meinen die Fachleute. Damit das gelingt, müssen die Netzbetreiber genau wissen, wo sich das Grün breitmacht. Dies könnte künftig mittels autonomer Drohnen erfasst werden.

Die Firma Quantum Systems aus Süddeutschland etwa koordiniert ein Projekt, in dem eine Drohne aus einem Hangar ent­lassen wird, 50 Kilometer Bahngleis abfliegt und zurückkehrt. «Die Drohne kann mit verschiedenen Sensoren bestückt werden, die Vegetation erkennt, aber auch Laser für Vermessungen und Kamera für Livebilder», sagt Pierre Ulfig von Quantum Systems. Auch die Auswertung der Daten soll automatisiert erfolgen. «Am Ende könnte eine Anweisung kommen: An dieser bestimmten GPS-Koordinate droht das Gleisbett zuzuwachsen.» Dann ist es an den Experten der Bahn, zu entscheiden, wie sie vorgehen – mit Heisswasser, Strom oder Motorsense.


Erschienen am 10. Mai 2020 in der "NZZ am Sonntag".


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