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Mondsüchtig

Die PTScientists wollen mit Robotern auf dem Mond landen. Trotz jüngst gestelltem Insolvenzantrag. Die Geschichte einer verrückten - und womöglich fixen - Idee.


Der Blaue Planet hängt am Horizont. Mit Schrittgeschwindigkeit arbeitet sich der Mondrover durch den Staub. Gelegentlich schwenken die Räder ein wenig, um das schäferhundgroße Fahrzeug stabil am Hang auszurichten und zugleich das Solarpanel in der Mitte optimal zu justieren. Strom ist kostbar, erst recht auf dem Mond. Heute allerdings ist das noch nicht entscheidend, kann das Gefährt doch problemlos mit einer Steckdose verbunden werden.

Denn der Rover rollt nicht auf dem Mond, sondern in einer Halle in Berlin-Marzahn. Und der Blaue Planet im Hintergrund ist auch nicht echt. An der Hallenwand ist ein riesiges Bild mit einer Mondlandschaft und dem Planeten Erde in der Ferne montiert. Statt auf sogenanntem Regolith, dem Mondgestein, fährt der Roboter auf geschreddertem grauen Vulkangestein aus der Eifel, das ähnliche Eigenschaften hat. „Wir wollen auf alles vorbereitet sein, die Mission muss klappen", sagt Karsten Becker, Informatiker und stellvertretender CTO bei den PTScientists.

Der Plan ist verwegen, selbst nach Raumfahrtmaßstäben: In zwei Jahren soll mithilfe des US-Unternehmens SpaceX eine Mondlandefähre namens Alina zum Erdtrabanten fliegen. Nach dem Aufsetzen, 4,5 km von der Apollo-17-Landestelle entfernt, werden zwei Rover entladen, die selbstständig die Umgebung erkunden und schließlich den historischen Ort aufsuchen, wo im Dezember 1972 zum vorerst letzten Mal Menschen auf dem Mond waren. Alle drei - die Fähre und die beiden Rover - sind das Werk der PTScientists. Die haben sich Mondarchäologie vorgenommen: Mit Kameras wollen sie herausfinden, was Weltraumstrahlung in den fünf Jahrzehnten seit den Apollo-Landungen mit den Hinterlassenschaften gemacht hat. Diese Materialanalysen sollen nützlich für künftige Langzeitmissionen im All sein.

Die PTScientists sind ein Unternehmen, das zur Branche des „New Space" gehört. So werden Start-ups bezeichnet, die mit unkonventionellen Ideen und hohem Entwicklungstempo im wachsenden Raumfahrtmarkt Fuß fassen wollen. Die Branche ist von milliardenschweren Regierungsprogrammen geprägt und von uralten Riesenkonzernen, die aufgebaut wurden, um solche Riesenprogramme abzuwickeln. Für Start-ups ist das Terrain unwegsam. Auch die PTScientists bekommen das gerade mit aller Brutalität zu spüren. Am Freitag vergangener Woche meldete das Unternehmen Insolvenz an, betont aber, die Entwicklungsarbeiten liefen „ohne Einschränkung" weiter, die Gehälter würden gezahlt, die Mondambitionen seien intakt. Allerdings: „Der Insolvenzantrag wirft uns zeitlich etwas zurück", schreibt Gründer Robert Böhme.

Hervorgegangen ist die Firma aus der Initiative „Part Time Scientists", die eine Gruppe von Weltraumenthusiasten um Böhme vor zehn Jahren ins Leben gerufen hatte. Ihr Ziel: die erste privat finanzierte Mondmission zu starten, um den mit 20 Mio. $ dotierten Google Lunar X-Prize zu gewinnen. Nach mehreren Verlängerungen ist die Deadline für den Preis nun endgültig verstrichen, ohne dass ihn jemand bekommen hätte.

Das Team um Böhme hat den Begriff „Teilzeit" aus dem Namen entfernt - das stimmte schon lange nicht mehr -, es ist inzwischen auf rund 70 Menschen aus 15 Nationen gewachsen und hat das Ziel neu formuliert: Es geht nicht mehr darum, möglichst rasch auf dem Mond zu landen, sondern eine Dienstleistung zu vermarkten. Industrie und Wissenschaft können sich den Weg über die Raumfahrtagenturen sparen und schicken stattdessen ihre Nutzlasten mit einem Privatunternehmen. Für 750 000 €/kg bei der ersten Mission, später dann für 950 000 €. Die vorläufige Insolvenz zeigt: Die Idee muss erst noch zünden.

„So erklären sich zwei wesentliche Ziele unserer Arbeit: Zuverlässigkeit und Leichtbau", sagt Karsten Becker. Wer bei den PTScientists bucht, möchte sicher sein, dass sie seine Nutzlast heil ans Ziel bringen. Und je leichter die Ingenieure Lander und Rover bauen, umso mehr Fracht können sie mitnehmen. Hier profitieren sie stark von der Kooperation mit Audi.

„Hier, nehmen Sie das mal in die Hand", sagt Becker und reicht eine Schwinge der Radaufhängung herüber. Der Arm erwartet das übliche Gewicht und spannt die Muskeln - unnötig, das Bauteil ist leicht, als wäre es aus Papier gefertigt. Becker grinst. „Dank 3-D-Druck können wir durchgängig Wandstärken von 1 mm erreichen." Die Aluminiumlegierung, deren genaue Zusammensetzung Audi für sich behält, tut das Übrige, um Festigkeit und Gewicht in ein gutes Verhältnis zu bringen. „Mit solchen Verfahren ist es uns gelungen, die Masse der Rover von 45 kg auf 35 kg zu reduzieren", sagt Becker. Bei zwei Rovern macht das eine Gesamtersparnis von 20 kg, die nun ebenfalls verkauft werden können, um die Gesamtkosten von rund 120 Mio. € einzuspielen.

Einfach wird das nicht. Denn in der ultrakonservativen Weltraumbranche zählt vor allem eines: Flugerfahrung. Und außer einem großen Versprechen können die PTScientists wenig vorweisen. Zwar gibt es Kooperationen mit Audi, Vodafone (für ein LTE-Netz auf dem Mond, das zunächst die Fernsteuerung der Rover ermöglichen und langfristig die Datenübertragung kommender Missionen revolutionieren soll) sowie mit der ArianeGroup als einer Vertreterin des „Old Space", dazu Studiendesigns im Auftrag der ESA.

Einige Kunden haben trotz mangelnder Erfahrung unterschrieben, beispielsweise das Laser Zentrum Hannover und das Institut für Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig. Sie wollen einen Laser im Bauch eines Rovers zum Mond bringen, der dort den eisen-, aluminium- und titanführenden Regolith aufschmilzt und erstarren lässt. Dieser Sinterprozess, so die Hoffnung der Forscher, könnte später einmal helfen, mit dem dort vorhandenen Material Schutzhüllen für künftige Mondstationen zu bauen, um die Strahlenbelastung der Astronauten zu verringern und den teuren Transport von Baumaterial von der Erde aus möglichst gering zu halten.

Das Szenario erscheint durchaus realistisch. Die USA haben angekündigt, 2024 den nächsten Amerikaner und erstmals auch eine Amerikanerin auf den Erdtrabanten zu bringen. In der Folge sollen jährlich bemannte Missionen stattfinden. Ende der 2020er-Jahre könnten die Grundzüge einer längerfristig besetzten Station entstehen. Diese würde sowohl für die Erkundung des Mondes wie auch als Testfeld für spätere bemannte Marsmissionen genutzt werden.

Auch die Firma Gedex soll bei der ersten Mission der PTScientists dabei sein. Sie ist spezialisiert auf irdische Rohstofferkundung und wird ein Gravimeter auf den Mond bringen. „Die Apollo-Astronauten Eugene Cernan und Jack Schmitt hatten bereits 1972 Vermessungen des Schwerefelds vorgenommen und eine Anomalie festgestellt", sagt Becker. „Nun können wir herausfinden, ob die Astronauten das Messgerät falsch abgelesen haben - was sie vehement bestreiten - oder ob es tatsächlich eine Abweichung gibt, die den Forschern mehr über den Untergrund an dieser Stelle verraten kann."

Woher Becker die Reaktionen der Mondveteranen kennt? Er hat sie getroffen. Cernan hat bis zu seinem Tod vor zwei Jahren die PTScientists beraten, Schmitt tut das bis heute. „Ich bin tief beeindruckt, wie er als einziger Geologe, der je auf dem Mond war, noch immer an Konferenzen teilnimmt und lebhaft mitdiskutiert", sagt Becker. „Ich freue mich darauf, wenn er während unserer Mission mit im Kontrollraum sein wird und genau sagen kann, welche Stellen interessant sind." Er selbst würde wohl kaum zum Mond fliegen, sagt der PTScientist. „Ich habe großen Respekt vor Menschen, die sich auf einen explodierenden Tank setzen. Ich bin eher der Fahrstuhltyp, der es komfortabler mag."

Warum ging er dann nach dem Studium der Technischen Informatik in Hamburg zu den Part Time Scientists, wie sie 2010 noch hießen? „Mein Apollo-Moment war die Pathfinder-Mission Ende der 1990er-Jahre zum Mars", erzählt er. Die hatten einen Rover dabei und er habe ferngesteuerte Autos schon immer cool gefunden. „Was kann man Besseres machen, als ein ferngesteuertes Auto auf einem anderen Himmelskörper fahren zu lassen?"

Und Raumfahrt sei sowieso das Höchste der Ingenieurkunst: „In der Regel baut man ein Gerät nur einmal, es kommt nie zurück und muss hundertprozentig funktionieren." Diese Chance bot ihm das Berliner Mondprojekt und er machte mit. Unterdessen haben sich die Voraussetzungen geändert. Statt der ersten weichen Landung einer europäischen Mission auf dem Mond, die es im Erfolgsfall wahrscheinlich immer noch wäre, steht nun das Geschäftsmodell im Vordergrund: Fracht auf den Mond zu bringen und dort Infrastruktur aufzubauen. Diese Idee haben auch andere und werden durch die Nasa maßgeblich unterstützt. Ende Mai hat die US-Raumfahrtagentur drei heimische Unternehmen beauftragt, wissenschaftliche Geräte auf den Mond zu liefern und gibt dafür insgesamt mehr als 250 Mio. $ aus. Die ESA, naheliegender Partner für die PTScientists, hat weder das Budget der Nasa, noch geht sie in Bezug auf den Mond so entschlossen vor. „Immerhin zeigt der Nasa-Auftrag, dass hier tatsächlich ein Markt entsteht, der Anfang ist nun mal schwer", sagt Becker.

Die Bundesregierung zählt zu den Verfechtern des New Space. „Ich bin überzeugt, dass auf diesem Gebiet viele spannende Dinge ausprobiert werden", sagt der Thomas Jarzombek, ihr Luft- und Raumfahrtkoordinator. „Ich kann mir gut vorstellen, dass der Staat eine gewisse Quote an Förderungen durch Aufträge an Start-ups in der Raumfahrt vergibt, um die Dinge in Gang zu bringen." Wie bei Start-ups üblich, werden es einige vielleicht schaffen durchzustarten, andere werden scheitern. „Nicht weiter schlimm", sagt Jarzombek, der die Entwicklung unterstützen will. Ob es für die PTScientists reicht oder ob sie ihren Plan aus Geldmangel auf den Mond schießen können, das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.


Erschienen am 12. Juli 2019 in den vdi-nachrichten.

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