Manuel Castillo: Die konservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy fährt seit Beginn ihrer Amtszeit Ende 2011 eine Politik, die die erneuerbaren Energien nicht unterstützen will. Vor allem in den letzten Jahren hat sie sich darauf konzentriert, den Eigenverbrauch zu verhindern. Es ist eine Politik zur Verteidigung des energetischen Oligopols, das an den Erneuerbaren eigentlich nicht interessiert ist. Deshalb hat die Regierung die Einspeisevergütungen abgesenkt und mittlerweile abgeschafft. Auch eine Demokratisierung der Energie will Rajoy nicht.
Sie sprechen von einem "energetischen Oligopol". Was meinen Sie damit?Es sind im Grunde fünf Firmen: die spanischen Konzerne Endesa, Iberdrola und Gas Natural, die portugiesische EDP und Eon. Sie machen zusammen 90 Prozent des spanischen Strommarktes aus und sprechen ihre Politik und ihre Preise ab. Manchmal wurden sie sanktioniert, aber die Strafen sind lächerlich und wiegen viel weniger schwer als die Gewinne, die die Konzerne mit ihrem Vorgehen erzielen. Sie verbünden sich auch gegen den Eintritt neuer Firmen in den spanischen Markt.
Die Einspeisevergütungen für die Erneuerbaren wurden rückwirkend gekürzt. Welche Konsequenzen hatte das?Zur Vorgeschichte: Ab 2007 begann die Photovoltaik in Spanien stark zu wachsen. Damals wurde eine Einspeisevergütung von bis zu 44 Cent beschlossen. Wegen dieser guten Vergütung gab es viele Investitionen. Dann begann die Immobilienkrise, deshalb floss umso mehr Geld in die Solarenergie. Wegen des Booms beschloss die damalige Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Zapatero schon im September 2008 eine Absenkung der Einspeisevergütung - die war aber nicht rückwirkend, sondern galt nur für neue Anlagen. Das reduzierte den Anlagenbau.
Mit 3.000 Sonnenstunden kann man in Spanien pro Jahr rechnen, in Deutschland sind es durchschnittlich nur 1.600. In den Zubauzahlen der Solarenergie schlägt sich das aber nicht nieder. (Bild: Jacques Descloitres/Ana Pinheiro/NASA/Flickr)
Ende 2010 beschloss die Regierung Zapatero, nur bis zu einer bestimmten Höchstmenge an Strom die Einspeisevergütung zu zahlen, und das galt auch für bestehende Anlagen, war also rückwirkend. Das Regierungsdekret sah außerdem vor, dass eine Anlage nach 25 Jahren Betrieb keine feste Einspeisevergütung mehr erhält. Zudem wurde eine generelle Steuer auf die Energieerzeugung eingeführt, was ein indirektes Mittel ist, die Vergütungsgarantie zurückzunehmen. Das hat die Marktfähigkeit der Solarenergie beschädigt.
Ende 2011 lösten die Konservativen unter Rajoy die Sozialdemokraten an der Regierung ab. Wie sah ihre Energiepolitik im Bereich der Erneuerbaren aus?Die Regierung Rajoy hat die Vergütungsgarantie weiter abgesenkt, ebenso den jährlich erlaubten Photovoltaik-Zubau. Seit 2012 gibt es für Neuanlagen keine feste Einspeisevergütung mehr. Trotzdem werden weiterhin Anlagen errichtet - zwar sehr wenige, aber im sonnenreichen Süden kann es rentabel sein, ohne jegliche Vergütungsgarantien Strom zu produzieren, also zu Marktpreisen. Auch in der Extremadura im Westen gibt es ein Solarkraftwerk, von dem ich allerdings nicht weiß, ob es schon fertiggestellt ist, das ohne Vergütungsgarantien konzipiert ist.
Noch interessanter, weil noch rentabler, ist die Solarenergie für den Eigenverbrauch. Da kann man viel Geld sparen. Ohne jegliche Subventionen kann sich eine Solaranlage auf einem Hausdach in einer sonnenreichen Gegend schon nach sieben Jahren rentieren. Das hängt auch damit zusammen, dass die spanischen Strompreise zu den höchsten Europas gehören.
2014 wurden in Spanien nur 21 Megawatt an Solarstrom-Anlagen neu gebaut, im Jahr davor waren es noch 103 Megawatt. In Deutschland, wo es viel weniger Sonne gibt, waren es im vergangenen Jahr 1.900 Megawatt. Gibt es in Spanien eine Debatte über diesen starken Rückgang?Außerhalb des Kreises der Leute, die sowieso schon in dem Bereich aktiv sind, gibt es keine Debatten. Das Thema ist in der Öfffentlichkeit weitgehend unbekannt. Der Neuanlagenbau ist eine Frage der Gesetzgebung. Es gibt zurzeit überhaupt keine Anreize, in Spanien Solarkraftwerke zu bauen.
Eine andere wichtige Sache ist der Eigenverbrauch. Er ist zwar erlaubt, aber er wurde nie auf ökonomisch sichere Beine gestellt. Die Beziehung zwischen dem Eigenproduzenten und der Firma, an die er überschüssigen Strom verkaufen könnte, wurde nicht geregelt. Die Firmen sind nicht einmal verpflichtet, den Strom abzunehmen. Deshalb ist der Eigenverbrauch nicht rentabel, denn zu den stärksten Sonnenzeiten sind die Leute nicht zu Hause. Das Bilden einer Nettobilanz - also das Verhältnis von ins Netz eingespeistem und aus ihm bezogenem Strom - ist nicht erlaubt.
Dazu kommt, dass die Regierung Rajoy 2013 einen Gesetzentwurf vorgestellt hat, der eine Steuer auf den Eigenverbrauch beinhaltet. Die absurde Begründung: Wenn man das Netz nicht benutzt, wird sein Betrieb teurer. Deshalb müsse für jede selbst produzierte und selbst verbrauchte Kilowattstunde gezahlt werden. Das ist in etwa so, als würde man im Supermarkt Geld dafür bezahlen müssen, dass man eigene Tomaten anbaut.
Inzwischen hat die Regierung ihr Gesetz fertig ausgearbeitet. Es soll noch vor den Parlamentswahlen verabschiedet werden. Der Wahltermin steht noch nicht fest: spätestens im Winter, möglicherweise auch auch schon im Herbst.
Allerdings hat der Gesetzentwurf längst Folgen. Seit seinem Bekanntwerden vor zwei Jahren herrscht in Spanien große juristische Unsicherheit beim Eigenverbrauch. Niemand traut sich mehr, dafür eine Anlage zu installieren. Diese Unsicherheit gibt es auch beim Bau von Solarkraftwerken, denn auch hier könnte es zu rückwirkenden Kürzungen kommen. Deshalb gab es in den letzten Jahren praktisch keinen Zubau mehr.
Photovoltaik-Anlagenbetreiber haben die Regierung wegen der rückwirkenden Kürzungen verklagt, aber im vergangenen März vor Gericht verloren. Im April hat ihre Organisation Anpier angekündigt, im Lauf des Jahres in mehreren Landesteilen Proteste zu organisieren. Was ist davon zu erwarten?Sie bewirken nicht viel. Wenn man die Bevölkerung fragt, was sie von erneuerbaren Energien hält, sagt eine große Mehrheit, dass die gefördert werden müssen. Dank der Öffentlichkeitsarbeit, die wir in letzter Zeit gemacht haben, ist inzwischen bekannt, dass die Regierung die Erneuerbaren angreift. Aber es gibt keine Bewegung, die große Demonstrationen auf die Beine stellen könnte. Es gibt viel Unwissenheit, was Energietechnologie angeht. Auch der Eigenverbrauch ist nicht sehr bekannt. Die Regierung und das Energie-Oligopol arbeiten daran, dass das so bleibt.
Als 2013 der Plan der Regierung zur Behinderung des Eigenverbrauchs bekannt wurde, bildete sich eine Bewegung, die den Eigenverbrauch ohne Registrierung propagierte. Wie hat sich dieser Widerstand entwickelt?Es gab Leute, die sich dieser Bewegung anschlossen, es wurden Anlagen errichtet und ans Netz angeschlossen. Aber die Bewegung war klein, sie hat nicht viel ausrichten können. Mittlerweile ist das Thema wieder auf dem Tisch, und zwar im Zusammenhang mit der Energiearmut. In Spanien hat Energiearmut durch die Finanzkrise sehr stark zugenommen. Es wird geschätzt, dass vier bis sieben Millionen Haushalte davon betroffen sind.
"Es gibt keine Anreize, in Spanien Solarkraftwerke zu bauen." Hier ein bereits vor der Finanzkrise errichtetes Kraftwerk in Südspanien. (Foto: Frank Schultze/Zeitenspiegel/Bilfinger/Flickr)
Deswegen propagieren einige Bündnisse und auch der Photovoltaik-Dachverband Unef den Eigenverbrauch als Mittel gegen Energiearmut. Armen Leuten wird mittlerweile geholfen, sich Solarzellen zu installieren. Es tut sich also was, und das trägt zur allgemeinen Bewusstseinsbildung bei.
Doch das geplante Gesetz der Regierung Rajoy will das unterbinden. Es sieht unter anderem vor, dass einer Wohnung mit Eigenverbrauch nicht die regulierten Tarife offenstehen, wenn es in der Kommune einen Sozialtarif für Menschen gibt, die in Energiearmut leben.
Auch Fonds und Konzerne aus dem In- und Ausland sowie Kommunen und Regionalregierungen haben die Regierung wegen der rückwirkenden Einschnitte verklagt. Es soll insgesamt 350 Klagen geben. Haben sie bessere Aussichten als die Anpier-Klagen?Da bin ich mir nicht sicher. Diese Institutionen haben sicherlich mehr Macht als die Normalbürger. Aber ihre juristische Situation ist wohl dieselbe.
Die EU hat der spanischen Regierung Sanktionen wegen ihrer Energiepolitik angedroht. Hat es die mittlerweile gegeben?Nein, nicht einmal wegen der rückwirkenden Kürzungen. Die EU hat nur gesagt, dass Spanien so nicht die 20-20-20-Ziele erreichen wird und dass das schwere Sanktionen nach sich ziehen würde. Und sie hat mitgeteilt, dass die rückwirkenden Maßnahmen der Rechtssicherheit und der Investitionsförderung entgegenstehen und dass sie Sanktionen prüfen wird.
1997 gab es eine Liberalisierung des Strommarktes zur Auflösung des Oligopols. Mit welchem Erfolg?Na ja, das Gesetz war nicht gegen das Oligopol gerichtet. Der liberalisierte Strommarkt wurde eingeführt, das Oligopol aber sogar noch gestärkt. Es sollten neue Unternehmen in den Markt kommen, die sind aber vor allem in den Stromhandel eingetreten. Dort wird kaum Geld verdient. Das Geld steckt in der Erzeugung und Übertragung. Spanien braucht ein stärkeres Liberalisierungsgesetz zur Bekämpfung des Oligopols.
Stimmt es, dass alle spanischen Kraftwerke zusammen eine installierte Leistung haben, die mehr als doppelt so hoch ist wie der höchste jemals gemessene Stromverbrauch im Land?Ja. Spanien verfügt über mehr als 100 Gigawatt, der historische Höchstverbrauch lag bei 45 Gigawatt. Das ist einer der Gründe für diesen aggressiven Angriff des Oligopols auf die Erneuerbaren und den Eigenverbrauch. Der Markt ist übersättigt, es gibt viel Strom, der nicht verkauft werden kann.
Interview: Ralf Hutter
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