Linke können nur Krawall? In Portugal und Spanien sind junge, linke Bewegungen in Parlament und Rathäuser eingezogen – und Rechtspopulismus muss man mit der Lupe suchen.
Wenn man versucht, einer Portugiesin den Zustand linker Politik in Deutschland zu beschreiben, wird einem erst klar, wie schlecht es wirklich um diese bestellt ist. Wir sind in Lissabon, am Rande Europas, rauchen Zigaretten und blicken vom Randstein aus über das weiße Kopfsteinpflaster hinweg zum Tejo. Ich probiere es mit einer Einordnung der Optionen links der Mitte im Wahljahr 2017:
Die Kretschmann-Grünen auf Kuschelkurs mit der CDU, Wählerbasis in den Karottenkuchen-Parallelgesellschaften der Republik, in den Schlagzeilen derzeit nur wegen eines rechtspopulistisch um sich schlagenden Boris Palmer. Die SPD, die nach acht Jahren Regierungsbeteiligung, Bankenrettung und Sozialkürzungen glaubt, mit „hart arbeitende Menschen"-Gebetsmühlen für mehr Gerechtigkeit stehen zu können. Und zu guter Letzt die Partei „Die Linke" selbst, in Auftreten und Jargon so staubig und zuletzt auch bräunlich wie die Ziervorhänge einer Datscha in Mecklenburg.
Ich erkläre, dass die Deutschen unter Linkssein gerade hauptsächlich Krawall, dann vielleicht wahlweise Veggie-Day, „Genderwahn", Euroskepsis oder DDR-Nostalgie verstehen. Dass manche, vielleicht aus Mangel an Alternativen, manchmal Merkels CDU mit einer linken Partei verwechseln. Dass in einer Zeit, in der tausende Verzweifelte im Mittelmeer ertrinken, der Rechtspopulismus auf dem Rücken der Enttäuschten Europa auffrisst und die altbekannte Kluft zwischen Arm und Reich die Tiefe des Mariannengrabens erreicht hat, führende deutsche Soziologen zu dem Schluss kommen, dass es linkes Denken „nicht mehr braucht". Und dass unser Innenminister Linksextreme für die größte Gefahr unserer Gesellschaft hält.
Ich erzähle weiter, dass die Mehrheit der jungen Deutschen ausgeträumt zu haben scheint, dass es nunmehr vermeintlich progressiv ist, das Vorhandene zu bewahren und wir rechten Stimmungsmachern oft nur schulterzuckend den Status Quo entgegensetzen. Dass die Deutschen auf den Plätzen der Städte Europaflaggen geschwenkt haben und ein Herzschlaggeräusch aus ihren Boxen bliesen im festen Glauben, dass es in ganz Europa zu hören war. Hier muss die Portugiesin lachen und sagt, dass sie noch nie von einem „Pulse of Europe" gehört hat.
Die Portugiesin heißt Alexandra Vidal, wir sitzen vor ihrer alternativen Konzert-Bar „Damas" im Viertel Alfama, hoch über und trotzdem mitten in der Stadt. Nach meinem politischen Abriss fragt sie, warum ich nach Lissabon gekommen bin.
In Portugal regiert seit Ende 2015 eine Minderheitsregierung der Sozialisten, toleriert von einem grün-kommunistischen Bündnis und dem Bloco de Esquerda, dem „Linksblock", einer vergleichsweise jungen Partei, gegründet 1999. Die Linksregierung hat sich von der EU-Sparpolitik abgewandt, Löhne erhöht, Investoren ins Land geholt, die Arbeitslosigkeit reduziert. Internationale Medien sehen einen Wirtschaftsboom, der Guardian nennt Lissabon das „new capital of cool" - hier scheint zu funktionieren, was in Resteuropa stets als zweites Schreckgespenst neben dem Rechtspopulismus dargestellt wird: eine linke Regierung, die sich von den Vorgaben der Schäubles und Lagardes abwendet, einen eigenen Weg geht und sich als stabil erweist.
Ähnliches passiert in Spanien, dort ist aus der Anti-Sparkurs-Bewegung „15M" mit „Podemos" eine Partei hervorgegangen, die nun bereits die zweithöchste Zahl an Parteimitgliedern vorweisen kann. In Madrid und Barcelona stellen Nachfolger von 15M die Bürgermeisterinnen - und versuchen, das urbane Leben nach basisdemokratischen Prinzipien und unter Beteiligung aller zu regeln. Dazu kommt, dass der Rechtspopulismus trotz Krise und EU-Sparmaßnahmen in beiden Ländern nie wirklich Fuß fassen konnte.
Ich erkläre Alexandra also, dass ich herausfinden will, ob gerade hier, auf der sich langsam von der Krise erholenden Iberischen Halbinsel, etwas Neues entsteht, das weder für das Europa der Austerität, noch für nationalistische Abschottung steht. Ein Gegensatz zum Rechtspopulismus, aber eben auch zum Konsens-Weiter-So. Ein linkes, junges, ein anderes Europa - dessen Ideen auch das verschnarchte Deutschland wecken könnten. Sie lächelt, schaut hinab zum Tejo und seufzt.
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