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Das dunkle Auge des Pop

Als Filmregisseur ist der Holländer Anton Corbijn noch fast ein Neuling. Diese Woche startet sein zweiter Spielfilm The American mit George Clooney in der Titelrolle. Doch als Fotograf und Regisseur von Musikvideos ist Anton Corbijn seit Jahrzehnten eine der wichtigsten Personen des Musikgeschäfts.


Es fing alles ganz provinziell an: Als Anton Corbijn Mitte der 1950er Jahre im niederländischen Kaff Strijen das Licht der Welt erblickt, scheinen Glanz und Gloria der international Musikszene weit enfernt. 

Anton Corbijn verbringt die Zeit nicht unter leuchtenden Discokugeln. Während Musikfotografen wie Mick Rock in den 1970ern Rockstars als glitternde Glamour-Aliens und strahlende Lichtgestalten inszenieren, ist Anton Corbijn eher fürs Aufräumen am Ende der Party zuständig. Er bebilderte nicht die Schauwelten des Glam-Rock und Punk, sondern die Katerstimmung am Ende der 1970er Jahre. Die Party ist vorbei, im Zeitalter des Post-Punk ist Schluss mit lustig. Besonders die Manchester Band Joy Division steht für den Umbruch am Ende des Jahrzehnts. Mit ihrem freudlos-tiefschwarzen elektronisch angehauchten Sound sind sie Vorreiter für die Gothic-, aber auch Elektro- und Industrialbewegungen, die sich in den 1980ern formieren.

Der junge Holländer Anton Corbijn freundet sich mit den Mitgliedern der Band an und kreiert den Look zum Sound. Es ist einer seiner ersten bekannten Bilder: Die Mitglieder der Band stehen in einem U-Bahn Tunnel mit dem Rücken zur Kamera, nur Leadsänger Ian Curtis wendet den Kopf und schaut über die Schulter mit grimmigem Blick in die Kamera. Keine Farben, keine Sonne, keine Freude - diese Jungs sind nicht zum Scherzen aufgelegt. Depression, urbane Isolationsangst, Drogen - Ian Curtis singt über Dinge, die er selbst erlebt. Noch bevor die Karriere von Joy Division richtig losgeht, erhängt er sich im Alter von 24 Jahren. Sein Selbstmord erhebt Joy Division zur ultimativ authentischen Kult-Underground-Formation, wozu die Ikonographie von Corbijns Bildern entscheidend beiträgt. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass Anton Corbijn mit einem suizidalen Musiker zusammenarbeitet, in den 1990ern dreht er mit Nirvana das Musikvideo zu "Heart-Shaped Box". Es ist das letzte Video, das Nirvana jemals drehen werden.

Ein Dauergast auf MTV Anfang der 1980er wird Anton Corbijn zu einem gefragten Musikfotografen und findet schnell ein zweites Standbein als Regisseur von Musikvideos. Mit den Anfängen von MTV explodiert das Medium Musikvideo förmlich und talentierte Regisseure sind plötzlich sehr gefragt. Anton Corbijn prägt den visuellen Stil für Musikvideos entscheidend mit und spätestens jetzt wird die Liste seiner Auftraggeber so exklusiv wie möglich.

Über seine Video- und Fotografiekarriere hat Anton Corbijn mit so ziemlich jedem zusammengearbeitet, der schon mal eine Platte verkauft hat. Johnny Cash, Bryan Adams, David Byrne, Metallica, Red Hot Chili Peppers, REM, Coldplay, Frank Sinatra, Bon Jovi, die Rolling Stones. Sie alle standen schon vor seiner Kamera und die Liste ließe sich noch lange fortführen.

Sie kommen vor seine Linse, weil Anton Corbijn ihnen oder ihren Liedern visuelle Tiefe verleiht. Für unpersönlichen Glanz sind andere zuständig, vor Corbijns Kamera schwinden die Farben, die schwarz-weiße Ästhetik macht selbst aus subtilen Gesichtsfalten tiefe Furchen. Vor seiner Kamera sehen die Stars vielleicht nicht immer hübsch aus, aber immer interessant. Glamgott David Bowie fotografiert er am Rand der Bühne mit müden eingefallenen Gesicht, Pop-Bonbon Kylie Minogue lässt er in tiefem Blau durch ein karges Fenster starren. Er fängt selten die Momente des Triumphes, des Jubels und der Begeisterung ein, sein Auslöser klickt in Momenten der Erschöpfung, der Reflexion. Aber wer hat auch je behauptet, das Popmusik ein fröhliches Unterfangen ist? Mit einfachen Mitteln Gefühle erzeugen, ist sein großes Talent. So lässt er im Clip zu Grönemeyers "Mensch" einen Eisbären in der Dämmerung über den Strand schlendern. Oder lässt den schwer von Drogen gezeichneten Dave Gahan einen Klappstuhl auf einen schottischen Berg schleppen - komplett mit Königsgewand und Krone. Selbst der König ist nur ein armer Junkie, der im Blick der gewaltigen Natur verblasst und seine Besitztümer nicht schätzen kann.

Der beste Freund der Stars Drei professionelle Bekanntschaften sind in der Biographie Corbijns besonders entscheidend: Mit zwei der größten Bands der Welt pflegt der in London lebende Wahl-Engländer eine enge Freundschaft: U2 und Depeche Mode. Für U2 schießt er unter anderem das Cover für ihr Album "The Joshua Tree", welches das erfolgreichste Album ihrer Karriere wird. Außerdem dreht er mit der Band mehrere Videos und macht unzählige Shootings, die er später sogar in einem eigenen Buch veröffentlicht. Bei Depeche Mode ist er bereits seit Anfang ihrer Karriere Haus- und Hoffotograf. So hat er bei fast jedem Musikvideo der Band Regie geführt, drehte für sie den Konzertfilm Devotional und designt seit Anfang der 1990er auch die Bühnenbilder für Depeche Modes Tourneen.

Die dritte langjährige "Arbeitsfreundschaft" besteht zu Herbert Grönemeyer. Beide wohnen in London und haben seit ihrem ersten Treffen Ende der 1980er mehrfach in unterschiedlicher Kapazität zusammengearbeitet. Grönemeyer unterstüzt seinen Kumpel nun bei seinen Film-Projekten, in Control spielte er eine kleine Nebenrolle, für The American hat er den Soundtrack komponiert.

Zurück in die eigene Vergangenheit mit Joy Division Eigentlich ist es verwunderlich, dass Anton Corbijn so lange gebraucht hat, um sich an der Regie eines Spielfilms zu versuchen. Erst mit über 50 gibt er sein Film-Debüt, für das es auch keinen anderen auf dem Regiestuhl hätte geben können. Control ist der Spielfilm zur Legende um Joy Division und Ian Curtis. Anton Corbijn verfilmt also Ort und Personen, die er nicht nur selbst gekannt, sondern auch selbst geprägt hat. Mit dem exzellenten Sam Riley in der Rolle des Ian Curtis wird Control zu einem eindringlichen Charakter- und Epochenportrait. Selbstverständlich in schwarz-weiß. Corbijns charakteristische Farbgebung kommt auch hier zum Einsatz und bringt dem Zuschauer den Kummer und das tragische Ende des jungen Curtis nahe. Selbst wer noch nie vorher von Joy Division gehört hat, kann von Control beeindruckt und gerührt sein. Anton Corbijn brachte damit auch einen wichtigen Teil seines eigenen Lebens einer Generation nahe, die mit dem musikalischen Erbe von Joy Division bisher vielleicht weniger vertraut war.

Nach dem erfolgreichen Start seiner Killer-Meditation mit George Clooney in der Titelrolle steht weiteren Filmen nichts im Wege: The American legte einen erfolgreichen US-Kinostart hin und konnte sich an die Spitze des Box-Office setzen. Mehr zum Film erfährst du im Tobis Filmclub.

The American startet am Donnerstag, 16.09.2010 in den deutschen Kinos.

Viel Erfolg bei deinem weiteren Schaffen Anton! Ob als Fotograf, Musikvideo-Regisseur oder Filmemacher - deine Werke sind in jedem Medium einen Blick wert. Auf seiner offiziellen Homepage kannst du ausgewählte Werke von Anton Corbijn ansehen. Außerdem haben wir hier eines seiner bekanntesten und besten Musikvideos, "Enjoy the Silence" von Depeche Mode für euch:

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Bist du schon gespannt auf The American? Hast du einen ganz persönlichen Favoriten in Corbijns Arbeit? Dann verrate es uns in den Kommentaren!

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