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So ticken Trump und Erdoğan: Impulsiver Tycoon trifft kalkulierten Provokateur

Auf dem Blair House, dem Gästehaus der US-Regierung, direkt neben dem Weißen Haus weht die türkische Flagge. Seit Montagabend ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu Gast in Washington. Am Dienstag steht das erste direkte Gespräch zwischen ihm und dem US-Präsidenten Donald Trump an. Der Republikaner hatte dem Türken zuvor bereits unter anderem telefonisch gratuliert, als sich dieser in einem Referendum mehr Vollmachten gesichert hatte. Andere westliche Staats- und Regierungschef hatten auf diesen Umbau der türkischen Verfassung eher mit Skepsis und Kritik reagiert. Mit Trump und Erdoğan treffen zwei Männer aufeinander, die vom Hintergrund unterschiedlicher nicht sein könnten - aber doch einige Gemeinsamkeiten haben. Ein Vergleich.

100 Tage Donald Trump in Zahlen
Charakter

Nach einem harten Wahlkampf, indem Donald Trump wild um sich geschlagen und auch die deutsche Bundeskanzlerin scharf kritisiert hatte, gab es Mitte März die Chance zur Versöhnung. Angela Merkel reist nach Washington. Und die pragmatische Regierungschefin ist gewillt, die Angriffe von 2016 zu vergessen. Im Oval Office kommen Merkel und Trump zu einem ersten Foto-Termin zusammen. Merkel schlägt vor, sich die Hand zu schütteln. Und Trump? Ignoriert die Kanzlerin, schaut durch den Raum, verweigert die freundschaftliche Geste. „Absolut unverschämt", nennt die New York Times das Verhalten des Präsidenten später. Dem ist das völlig egal.

„Trump ist ein eigenständiger Charakter. Er schert sich nicht um soziale Normen, gibt sich keine Mühe, sympathisch rüberzukommen", weiß Trump-Kenner und -Biograf David Cay Johnston. Der US-Präsident sei interessengesteuert, fokussiert. Der verweigerte Handschlag wohl reines Kalkül, ein Demonstrieren von Macht. Johnston kann solch ein Gehabe nicht verwundern. So sei Trump. „Das ist nicht sympathisch, aber einzigartig. Dass er keine Freunde hat, ist allerdings auch keine Überraschung", sagt der Journalist.

Zahlen und Fakten zum Referendum in der Türkei Wie läuft die Auszählung ab?

Landesweit gibt es gut 167.000 Wahlurnen (Wahllokale haben in der Regel jeweils mehrere Wahlurnen). Vertreter von Regierungs- und Oppositionsparteien dürfen Beobachter an die Urnen entsenden, um die Abstimmung und die Auszählung zu beobachten. Diese Beobachter müssen das Ergebnis aus der jeweiligen Urne unterzeichnen, bevor die Stimmzettel und das Wahlergebnis zur Wahlkommission des Bezirks gebracht werden. Dort werden die Ergebnisse - wieder unter Beobachtung von Vertretern sowohl der Regierungspartei AKP als auch von Oppositionsparteien - in ein Computersystem eingegeben und zur Wahlkommission nach Ankara übermittelt. In der nationalen Wahlkommission in Ankara sitzen ebenfalls Vertreter der Regierung und der Opposition.

Wann ist mit den ersten Ergebnissen zu rechnen?

Am Abend des Referendums. Unmittelbar nach der Schließung der Wahllokale beginnt die Auszählung. Laut Wahlgesetz dürfen Medien bis 21 Uhr keine vorläufigen Ergebnisse veröffentlichen. Die Wahlbehörde kann am Wahltag selbst aber eine frühere Veröffentlichung erlauben. Ein Verstoß wird allerdings nicht geahndet, das heißt, Medien könnten das Veröffentlichungsverbot auch ignorieren. Prognosen oder Hochrechnungen gibt es nicht, dafür aber Teilergebnisse, die fortlaufend aktualisiert werden. Wann der Ausgang des Referendums feststeht, hängt vor allem davon ab, wie knapp das Resultat ausfällt. Vermutlich dürfte aber am späteren Abend oder spätestens in der Nacht deutlich werden, welche Seite den Sieg für sich verbuchen kann.

Als Polterer und Provokateur wird auch der türkische Präsident Tayyip Erdoğan im Ausland, insbesondere in Deutschland, gesehen. Wahr ist: Erdoğan stammt aus einfachsten Verhältnissen. Im Gegensatz zur alten, kemalistischen Elite des Landes wuchs Erdoğan in Kasimpasa, einem damals Arme-Leute-Viertel Istanbuls auf, wo er heute noch immer verehrt wird. Seine Jugend war hart, einfach, und von Gewalt geprägt. Von dort aus boxte sich der hochgewachsene Mann an die Spitze des türkischen Staates. Viele seiner Biografen führen seine Durchsetzungskraft auf seine Jugend zurück.

Gleichzeitig aber handelt es sich bei Erdoğan um einen klugen, oft eiskalt kalkulierenden Machtpolitiker, der ebenso risikoaffin wie rational handelt. Bisher hat Erdoğan - anders als Trump - die Risiken immer genau abgewogen, und anschließend sofort gehandelt. In der Putschnacht vom 16. Juli 2016 meldete er sich - nur knapp dem Tod entronnen - per Facetime im Fernsehen und rief seine Anhänger auf, auf die Straße zu gehen. Der Putsch brach daraufhin in sich zusammen. Seine Provokationen gegen deutsche Politiker stellte er just in dem Moment ein, zu dem die türkischen Wähler in Deutschland ausreichend polarisiert und mobilisiert waren.

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