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Auslandsreporter in der Türkei: "Bist Du eigentlich ein Spion?"

Die Frage, die mich bisher am meisten ärgerte, kam von einem entfernten Bekannten: "Zensierst du dich eigentlich selbst, oder fasst du heikle Themen in der Türkei jetzt gar nicht mehr an?"

Ich konnte nicht anders als zu schreiben: "Schlägst du deine Freundin eigentlich immer noch, oder hast du inzwischen damit aufgehört?" Ich ärgerte mich, weil ich darauf als Journalist in der Türkei nur mit "weder, noch" antworten kann. Wer sich selbst zensiert, macht seine Arbeit schlecht. Wer heikle Themen nicht mehr anfasst, der sollte vielleicht besser in die PR-Branche wechseln.

Ich ärgerte mich auch, weil die Frage einen wunden Punkt traf.

Ich arbeite seit fünf Jahren in Ländern, die auf dem Index der Pressefreiheit die Schlusslichter sind: Zuerst vier Jahre in China (Platz 176), seit vergangenem Jahr in der Türkei (Platz 151). Allerdings bemessen diese Rankings immer die Lage der einheimischen Journalisten vor Ort. Wie es ausländischen Korrespondenten ergeht, hat damit nur indirekt zu tun.

Der türkische Präsident will im März nach Deutschland kommen, um für seine umstrittene Verfassungsreform zu werben. Die Bundesregierung sollte ihm die Einreise verweigern.

Bisher hatte ich deswegen trotz all der Widrigkeiten und Absurditäten, die man so erfährt, immer die Gewissheit: Das Schlimmste, was Auslandskorrespondenten passieren kann, ist die Ausweisung. Meist kommt ohnehin ein subtileres Mittel zur Anwendung: Die Akkreditierung wird nicht verlängert. Das geschah in China 2012 mit Melissa Chen von Al-Jazeera - zum ersten Mal nach 15 Jahren. Im Vergleich zur Türkei ist China sogar harmlos. In der Türkei wurde im vergangenen Jahr Hasnain Kazim vom „Spiegel" und Deniz Yücel von der „Welt" die Akkreditierung nicht verlängert. Kazim verließ daraufhin das Land. Dieses Jahr warten noch immer zwei deutsche Kollegen auf ihre Pressekarte.

Gewissheit ist seit Deniz Yücel ins Wanken geraten

Ein Land innerhalb weniger Wochen oder gar Tagen verlassen zu müssen, ist strapaziös. Trotzdem ist das Katastrophenpotenzial im Vergleich zu einem Gefängnisaufenthalt oder gar einer Haftstrafe überschaubar.

Auslandskorrespondenten aber festzunehmen, war bisher nicht im Repertoire auch noch so autoritärer Gastländer - zu groß wären die Konsequenzen diplomatischer und politischer Art.

Zitate von Deniz Yücel Zu Erdogans Rolle in der AKP

„Die AKP von heute ist kaum mehr als Erdogans Privateigentum. Dass er es geschafft hat, seine Partei derart unter seine Kontrolle zu bringen, liegt am Parteienrecht [...], das jeden Parteichef zu einem König macht. Und es liegt am System von Begünstigungen und ökonomischen Abhängigkeiten, das er erschaffen hat und schließlich an seiner Politik der Polarisierung."

Zur Demokratie in der Türkei

„Nur klingt das Wort von der ‚Demokratie' in der Türkei der Gegenwart immer fremder. Welche demokratischen Rechte kann es für die Kurden in Tayyipistan geben? Um welche Demokratisierung kann es gehen in einem Land, in dem parallel drei Prozesse stattfinden - die Islamisierung der Gesellschaft, die Autoritarisierung des Staates und die Entfaltung eines entfesselten Kapitalismus."

Zum Kampf gegen die PKK

„Niemand in der Türkei, der alle Tassen im Schrank hat, ist dagegen, diesen Krieg [zwischen der türkischen Regierung und der PKK, Anmerkung der Redaktion] endlich zu beenden. Aber mehr und mehr linke und liberale Oppositionelle sehen diesen Aussöhnungsprozess inzwischen kritisch - nicht weil sie ihn grundsätzlich ablehnen, sondern der Regierung wie der PKK vorwerfen, diesen Prozess nicht transparent zu gestalten. "

Zum Leitbild beim Schreiben

„‚Eine Tonleiter umfasst sieben Töne. Die Frage, welcher der Töne ,besserʻ sei: Do, Re oder Mi, ist eine unsinnige Frage. Der Musikant muss aber wissen, wann und auf welche Taste er zu schlagen hat.ʻ Dieses in einem anderen Zusammenhang gesagte Wort von Trotzki habe ich stets für eine gute Maxime beim Schreiben und Blattmachen gehalten. "

Zu geschriebenen und nicht geschriebenen Texten

Diese Gewissheit ist seit der Inhaftierung von Deniz Yücel ins Wanken geraten. Sein Fall ist zwar speziell: Er hat einen deutschen und einen türkischen Pass, weshalb ihn die türkische Regierung als Türken behandelt. Er arbeitete anscheinend ohne gültigen Presseausweis und veröffentlichte auch auf Türkisch in einem türkischen Medium. Trotzdem geht seitdem unter den Korrespondenten die Frage um: Kann mir das auch passieren?

Vor Kurzem erzählte ein Kollege, er sei beim Presseamt in Ankara gewesen. Dort gebe es eine ganz Abteilung, die die Berichte deutscher Korrespondenten ins Türkische übersetze und nach Schlagworten durchsuche. Wer Erdogan einen Diktator nenne, kriegt dann eben im nächsten Jahr die Pressekarte nicht, oder müsse zumindest länger warten.

Ich halte es übrigens (noch) für falsch, Erdogan einen Diktator zu nennen. Aber allein die Tatsache, sich darüber Gedanken zu machen, welche Konsequenzen eine Formulierung für das eigene Leben haben könnte, verändert natürlich etwas in der Berichterstattung: Man wird vorsichtiger, im schlimmsten Fall auch ängstlicher. Die Schere im Kopf beginnt zu schneiden - zuerst sanft und leise, ohne dass man es bemerkt.

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