Als der Unternehmer Wang beschließt, sich auszuziehen, ist es halb elf Uhr abends in einer Karaokebar einer chinesischen Provinzstadt. Ein für westliche Ohren zu süßer Popsong plärrt durch die Lautsprecher, eine bleich geschminkte Mittvierzigerin schmachtet den dazugehörigen Text in ein Mikrofon. Es geht um den Mond und, natürlich, um die Liebe.
Wang, Anfang 40, haarloser Oberkörper, leichter Bauchansatz, schiebt sein Becken nach vorne und schwingt die Arme durch die Luft. Er tänzelt sich an eine junge Frau im knappen schwarzen Kleid heran, die vom Betreiber der Bar dafür bezahlt wird, sich solche und andere Annäherungsversuche gefallen zu lassen. Sein Geschäftspartner Hu, Freund deutscher Sportwagen und italienischer Designerkleidung, feuert ihn an. Mit Zigarette im Mundwinkel befiehlt er zwei Kellnerinnen in roten Uniformen, die Gläser noch mal zu füllen.
Als das Lied endet, lässt sich Wang auf die Couch plumpsen und zündet mit dem Pathos eines Mannes, der gerade eben noch Höchstleistungen vollbracht hat, eine Zigarette an. Die Gruppe johlt.
Vorausgegangen ist dem Spektakel eine Druckbetankung mit einem Dutzend Flaschen Château Lafite-Rothschild 2012. Eine kostet etwa 400 Euro.
China ist in den vergangenen Jahren zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt gewachsen, überwiegend friedlich. Hunderte Millionen von Menschen haben es zu Wohlstand gebracht. Kein Wunder, dass die Chinesen, wenn sie es sich leisten können, lieber Wein statt Reisschnaps trinken. Ihr Rotweinkonsum hat sich von 2007 bis 2013 auf 1,87 Milliarden Flaschen verdreifacht - weltweiter Rekord.
Zugegeben, kein Wunder bei 1,3 Milliarden Einwohnern. Der Pro-Kopf-Konsum ist mit 1,5 Litern im Jahr noch vergleichsweise frugal. Die Deutschen trinken 24 Liter, die Franzosen 44, der Vatikan kommt auf 73 Liter. Doch das Besondere ist: Mit dem steigenden Konsum verändern die Chinesen eine ganze Branche - das Land denkt wie immer groß.
Bisher kauften und tranken neureiche Chinesen alles, was aus Frankreich kam und das Wort Château beinhaltete - egal, wie viel es kostete. Die weniger wohlhabende Mehrheit trinkt gepanschten Fusel aus Staatsbetrieben, die Changyu, Great Wall oder Dynasty heißen. Dazwischen gab es wenig. Doch das ändert sich gerade.
Min Hua ist ein kleiner Mann mit großem Kopf und klugen Augen. Stolz steht er vor seinen Rebstöcken wie ein Vater vor seinen Kindern. Der Himmel färbt sich gelb, ein Sandsturm. „Ist normal hier", sagt Hua.
Er leitet das Weingut für das französische Unternehmen Pernod Ricard, 40 Kilometer entfernt von Yinchuan. Die Stadt liegt in Ningxia, eine für chinesische Verhältnisse zwergenhafte Provinz mit etwa 6,3 Millionen Einwohnern, drei Flugstunden nordwestlich von Shanghai.