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Dürfen Lehrer keine Kritik an Parteien üben?

In Hamburg und anderswo ruft die AfD Eltern und Schüler dazu auf, Verstöße gegen das Neutralitätsgebot an Schulen zu melden. Die Debatte darüber ist überflüssig und schädlich, findet die Fachdidaktikerin Andrea Szukala.


Die AfD sieht sich zu Unrecht behandelt. An deutschen Schulen werde die Partei in ein durchweg negatives Bild gerückt, sie spricht gar von politischer Indoktrination. Lehrer würden sich im Unterricht gegen die Partei aussprechen und undifferenziertes, AfD-kritisches Unterrichtsmaterial verwenden. Die Schüler würden in ihrer Meinungsbildung beeinflusst. Dieser Tage initiiert die AfD-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft die Aktion „Neutrale Schulen Hamburg" und bittet Eltern und Schüler, vermeintliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot zu melden. Die Partei will die Fälle anschließend an die Schulbehörde zur Prüfung weiterleiten. Parteifreunde aus Berlin planen ein ebensolches Vorgehen.


Andrea Szukala lehrt an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Fachdidaktik der Sozialwissenschaften und ist Sprecherin der Sektion Politische Bildung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. Für sie ist die von der AfD entfachte Debatte ein alter Hut: „Eigentlich wurde die Diskussion in der politischen Bildung bereits vor Jahren zu den Akten gelegt." Schon 1976 einigten sich die Fachdidaktiker mit dem Beutelsbacher Konsens auf grundlegende Leitlinien der politischen Bildung, die für alle Lehrkräfte bindend sind. Diese halten unter anderem fest, dass Lehrer das, was in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, auch im sozialwissenschaftlichen Unterricht in einer facettenreichen Bandbreite aufzugreifen haben - ohne eine Position privilegiert darzustellen oder gar unter den Tisch fallen zu lassen. Dabei dürfen die Lernenden nicht im Sinne einer vom Lehrer gewünschten Meinung überrumpelt werden; hier verläuft die Trennlinie zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Anhaltspunkte dafür, dass sich eine signifikante Anzahl an Lehrkräfte nicht an diese Grundsätze hält, sieht Szukala nicht.


Der sozialwissenschaftliche Unterricht soll sich differenziert mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen, was, so Andrea Szukala, auch eine kritische Thematisierung der AfD einschließt: „Lehrer sollten sich dabei aber nicht an harten, provokativen AfD-Aussagen abarbeiten, sondern die politischen Forderungen der Partei in den Fokus nehmen."


„Lehrer sind politische Menschen"

Aber dürfen sie auch ihre eigene Meinung zum Ausdruck bringen? Ja, sagt die Fachdidaktikerin - unter bestimmten Voraussetzungen. Ob ein Pädagoge seine subjektiven Ansichten preisgeben sollte, hänge vor allem von den Kontextbedingungen ab. Vor jüngeren Schülern beispielsweise sei das weniger angebracht. Und allgemein müsse die persönliche Meinung deutlich als solche gekennzeichnet vorgetragen werden. Darauf zu achten, sei Teil der eigenen Professionalität, der „Klassenraumperformance", so Szukala. Würden Lehrer versuchen, mit ihrer Meinung die Schüler subtil zu beeinflussen, verstießen sie gegen die Grundpfeiler des Beutelsbacher Konsenses - und ihr pädagogisches Ethos.


Wenn sie jedoch ihre Sicht der Dinge unter Berücksichtigung ihrer Verantwortung mit den Schülern teilten, habe das einen durchaus motivationalen Charakter, von dem der Unterricht profitiere. Die Positionierung des Lehrers mache Mut, die eigene Meinung zu äußern. Lehrer erfüllten eben auch eine Vorbildfunktion, so Szukala. Für die Schüler sei es das falsche Signal, schlüpften Lehrer nicht gelegentlich aus ihrem Korsett der Neutralität heraus. „Der Lehrer ist ein politischer Mensch", sagt Szukala, ein unpolitischer Politiklehrer sei genauso fehl am Platz wie ein unkünstlerischer Kunstlehrer.


Trügen Lehrer ihre Meinungsäußerungen angemessen vor, ergäben sich nützliche Impulse und Anknüpfungspunkte für die Urteilsbildung der Schüler, die ja durchaus auch zu konträren Ansichten gelangen könnten. Gerade in zurückhaltenden Lerngruppen könne die Meinung des Lehrers, so Szukala, Schüler aus einer gewissen Lethargie rütteln, sie zur Partizipation ermutigen und so ihr demokratisches Bewusstsein festigen.


Die Relevanz im Blick

Dass die AfD nun Meldeplattformen einführt, ist für Andrea Szukala nicht überraschend. Immer wieder bezeichneten Parteifunktionäre Lehrer als „rot-grün-geprägt" und werfen ihnen eine Art linker Meinungsmache vor. Auch im Wahlprogramm zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr erklärte die Partei, eine vermeintliche „ideologische Beeinflussung an der Schule" stoppen zu wollen.


Das nun in Hamburg geübte Vorgehen der Rechtspopulisten kann aus Andrea Szukalas Sicht schwerwiegende Auswirkungen auf die Schule als Raum politischer Bildung haben. „Jedem Lehrer geht es durch Mark und Bein, dass Schülerinnen und Schüler ihn nun denunzieren sollen," sagt die Fachdidaktikerin über die Meldeplattformen der AfD. Wer sich gegen die Partei positioniere, müsse nun mit Anfeindungen rechnen. Das könnte Lehrkräfte einschüchtern und dazu führen, dass sie auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Partei verzichteten.


Davon abgesehen ist es für Andrea Szukala unabdingbar, mit Schülern über die AfD zu sprechen. Die gesellschaftliche Kontroverse um die Inhalte der polarisierenden Partei und den Umgang mit ihr sollte im Unterricht thematisiert werden. Szukala rät Lehrkräften jedoch davon ab, die AfD zum Themenschwerpunkt zu machen. „Man darf eine Minderheitenansicht nicht zur relevantesten Meinung aufbauschen", sagt die Fachdidaktikerin. Zwar seien im öffentlichen Diskurs die Debatten um Einwanderung und Geflüchtete derzeit die zentralsten, andere Politikfelder wie etwa die Rente, die Zukunft der EU oder der Klimawandel drängten aber ebenso nach einer Lösung.

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