Wenn Grundschullehrer*innen wüssten, in welchem Kontext der Schweigefuchs außerhalb des Klassenzimmers Verwendung findet, griffen sie sicherlich zu anderen pädagogischen Methoden: Das Handzeichen ist nämlich auch die Grußform der Grauen Wölfe, Anhänger*innen der extrem rechten türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Ihr Ziel: Die Errichtung eines großtürkischen Reiches vom Balkan bis China und der Kampf gegen religiöse und politische Minderheiten.
Gründungsvater der rechten Partei ist Alparslan Türkeş. Der Offizier und Sympathisant des deutschen Nationalsozialismus übernahm 1969 den Parteivorsitz der Republikanischen Bauern- und Nationalpartei (CKMP), die er prompt in Partei der Nationalistischen Bewegung umbenannte. Ihre Anhänger*innen bezeichnen sich selber als Ülkücüs, als „Idealisten". Seltener trifft man auch auf die Bezeichnung Bozkurt (zu Deutsch: Grauer Wolf). Das Sinnbild des Grauen Wolfes geht auf eine Legende zurück: Zu vorislamischer Zeit habe ein Wolf die türkischen Stämme aus dem Altay-Gebirge geführt und ihnen damit das Leben gerettet. Der heulende Wolf ist neben der osmanischen Kriegsflagge mit den drei Halbmonden ein populäres Szenemotiv, dem man auf türkisch-nationalistischen Demonstrationen begegnet. Die Partei sowie die ihr zugehörigen Verbände haben auch heute einen starken Einfluss auf die türkische Bevölkerung: Bei den türkischen Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres erreichte die MHP 16,29 Prozent der Stimmen, bei der Neuwahl im November stimmten 11,9 Prozent der Türk*innen für die rechte Partei.
Gegen alles und jede*n Nichtsdestotrotz ist die MHP traditionell weniger eine parlamentarische Partei, sondern eher eine außerparlamentarische Organisation, deren Anhänger*innen für viele politisch motivierte Morde verantwortlich gemacht werden. Türkeş sowie 587 Parteifunktionär*innen mussten sich wegen Anstachelung zum Bürgerkrieg und Anstiftung zum Mord in über 600 Fällen verantworten. Die Liste der Feind*innen der Grauen Wölfe ist lang. Vor allem Kurd*innen sowie die in Deutschland als Terrororganisation gelistete kurdische Arbeiterpartei PKK, die auf Internetauftritten der Rechten als „Babymörder" bezeichnet wird, gehören zu den politischen Gegner*innen der Grauen Wölfe. In ihr Feindbild gehören des Weiteren Jüd*innen, Christ*innen, Armenier*innen, Griech*innen, Kommunist*innen, Linke sowie die Europäische Union, der Vatikan und die Vereinigten Staaten. Viele Graue Wölfe leisten einen Eid ab, der „Schwur der Idealisten" genannt wird. Damit geloben sie, im Namen Allahs sowie des Vaterlandes im „Kampf gegen Kommunismus, Kapitalismus, Faschismus und jegliche Art von Imperialismus" zu stehen. Dass ihr Kampf gegen Faschismus und Imperialismus aufgrund ihrer Wunschvorstellung eines großtürkischen Reiches durch Unterdrückung von Minderheiten und Andersdenkender faschistischer wie imperialistischer Natur ist, spielt im Weltbild der Grauen Wölfe keine Rolle.
Die Grauen Wölfe sind wegen ihrer Gewaltbereitschaft bekannt. Die drückt sich auch in ihrem Schwur aus, denn ihr „Kampf [geht] bis zum letzten Mann, bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Tropfen Blut." Das brutale Vorgehen seitens der Grauen Wölfe äußert sich oft in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Kurd*innen. Vor allem die jüngsten Entwicklungen in der Türkei untermauern die Gewalttätigkeit, die von den Grauen Wölfen ausgeht. Nationalistische Türk*innen haben im Zuge des wieder aufgeflammten Kurd*innenkonflikts und der Beendigung des Waffenstillstandes mit der PKK im Juli dieses Jahres 300 Parteibüros der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), zweimal die Redaktion der regierungskritischen Tageszeitung Hürriyet sowie viele kurdische Geschäfte im ganzen Land angegriffen.
Graue Wölfe: Auch in Deutschland Zu Konflikten zwischen türkischen Nationalist*innen und Kurd*innen kam es im Herbst dieses Jahres auch in deutschen Städten, wo den Opfern der Anschläge des Attentats während einer türkisch-kurdischen Friedensdemonstration in der Hauptstadt Ankara gedacht wurde (akduell berichtete). Die aktuelle politische Lage in der Türkei begünstigt zwar auch die Konfliktlage in Deutschland. Graue Wölfe sind aber schon seit langem in der Bundesrepublik angekommen: Bereits 1978 gründete sich mit der Türk Federasyon (ADÜTDF) die Auslandsabteilung der MHP in Frankfurt am Main. Und während die Partei von 1981 bis 1987 in der Türkei verboten war, etablierten sich neben der Türk Federasyon mit dem Verband der türkischen Kulturvereine in Europa (ATB) und der Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB) zwei weitere Dachorganisationen. Letztere übernimmt die Organisation einiger Moscheen und gilt als Vertreter einer moderateren Gruppierung innerhalb der Bewegung der Grauen Wölfe. Gerade für Jugendliche, die Halt und Orientierung suchen, bieten die Grauen Wölfe vermeintliche Perspektiven.
Dass die Grauen Wölfe keine bloße Randerscheinung sind, zeigt sich an ihrer großen Zahl: Die Türk Federayson zählt insgesamt 7.000 Mitglieder in der Bundesrepublik. Im April dieses Jahres trat Devlet Bahçeli, Vorsitzender der MHP, in der Oberhausener König Pilsner-Arena auf, um für die anstehenden Parlamentswahlen bei den nach Deutschland eingewanderten Türk*innen auf Stimmenfang zu gehen. 10.000 Teilnehmer*innen seien gezählt worden.
Das Einflussgebiet der Grauen Wölfe geht sogar über die der MHP nahestehenden Organisationen hinaus. Es ist nicht nur spürbar, dass Graue Wölfe innerhalb der kommunalen Politik mit Sitzen in Ausländerbeiräten vertreten sind. Auch in den Reihen der CDU, die in der Debatte um Flucht und Migration selbst genug populistische Äußerungen von sich gibt, sitzen einige Mitglieder oder Sympathisant*innen der Grauen Wölfe. Vergangenes Jahr sorgte der Fall des Hammer CDU-Mitglieds Zafer Topak, der sich via Twitter offen für Sympathisant*innen der rechten MHP aussprach. Es scheint vielen CDU-Politiker*innen auch nicht bewusst zu sein, was für ein Gedankengut Graue Wölfe vertreten. So hielt ein CDU-Politiker einen Gastbeitrag auf einer Veranstaltung der Grauen Wölfe, ein anderer ließ sich auf einer solchen vor der Flagge der türkischen Nationalist*innen ablichten und auch der ehemalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland ließ sich mit Grauen Wölfen fotografieren. Auch wenn die Unionsparteien immer mehr am rechten Rand fischen, würde sie sich sicherlich auch nicht mit Vertreter*innen von NPD oder AfD auf eine Seite stellen.