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Russland: Student Lukas Latz wegen Zeitungsartikel ausgewiesen

Erhielt abends Besuch von Polizisten: Lukas Latz, 26. | Quelle: Lukas Latz

Ein Berliner Student in St. Petersburg schrieb für eine deutsche Zeitung über Umweltaktivisten und deren Protest gegen die Pläne eines Oligarchen. Deshalb bekam er Besuch von der Polizei - und musste nun das Land verlassen.

Lukas Latz hätte niemals erwartet, dass sein Bericht persönliche Folgen für ihn haben könnte. Der Berliner Student veröffentlichte im April dieses Jahres auf der Nachrichtenseite der linken Wochenzeitung „Jungle World" einen kritischen Text über die Pläne des Unternehmens RMK des Oligarchen Igor Altuschkin.

In der Nähe der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk will RMK ein Kupferbergwerk eröffnen. Latz war vor Ort, sprach mit Mitgliedern einer Protestgruppe, die sich um die Umwelt sorgen, machte Fotos, ordnete ein - normale journalistische Arbeit eben.

Wäre Latz zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in Deutschland gewesen, dann hätte das Ganze für ihn wohl keine Konsequenzen gehabt. Nur hielt sich der 26-Jährige aber nicht an seiner Heimuniversität, der Freien Universität in Berlin, auf, sondern war bis zum 17. Juni in Russland, eingeschrieben als Gaststudent am philologischen Institut der Staatlichen Universität St. Petersburg.

Es kam also anders. Latz wurde exmatrikuliert und musste Russland vorzeitig verlassen - sein Visum wäre noch bis zum 30. Juni gültig gewesen. Aktuell ist er in Helsinki. Am Mittwochabend wird er die Fähre nach Lübeck nehmen, bestätigt er WELT am Telefon.

Die russischen Behörden werfen ihm vor, nicht über ein Arbeits-, sondern lediglich über ein Studentenvisum verfügt zu haben. Er soll illegal journalistisch tätig gewesen sein. Auf Anfrage von WELT verweist die Staatliche Universität St. Petersburg auf eine Stellungnahme auf ihrer Internetseite und ein Protokoll zum akademischen Austausch mit der FU Berlin.

Laut Paragraf 2.8 müssen Studenten sich an bestimmte Vorschriften halten, heißt es dort. Latz hätte demnach nicht als Journalist arbeiten dürfen. Das Protokoll zwischen den beiden Universitäten gilt jedoch erst seit dem 20. November 2018.

Latz war damals schon im Land und hatte nicht die Möglichkeit, es vor seiner Einreise zu lesen. Er selbst sagt, er habe die Interviews im Rahmen der Recherche für seine Abschlussarbeit geführt und dann auch einen journalistischen Text dazu in Deutschland publiziert. Handelt es sich also um ein Missverständnis?

In jedem Fall haben die russischen Behörden sich auf drastische Weise eines unliebsamen ausländischen Studenten entledigt. Am 28. Mai, mehr als vier Wochen nachdem Latz seinen Text über den Bürgerprotest in Tscheljabinsk veröffentlicht hat, suchen zwei russische Polizeibeamte ihn in seinem Wohnheim in St. Petersburg auf.

Plötzlich stehen Polizisten in der Küche

Es ist 21 Uhr 30, Latz bereitet sich gerade etwas zu essen zu. Die Tür steht offen, die Polizisten betreten einfach die Küche, nur einer weist sich aus. Latz, so berichtet er WELT, sei überwältigt und eingeschüchtert gewesen. Die beiden bitten ihn, in seinem Zimmer mit ihnen zu sprechen.

Sie machen ihm den Ernst der Lage klar. Er habe illegal Interviews geführt. Das habe Konsequenzen. „Von dem Artikel war noch nicht die Rede", sagt Latz, „lediglich von den Gesprächen, die ich geführt habe."

Die beiden Beamten legen dem Deutschen zwei Protokolle vor, in denen steht, dass er sich in Jekaterinburg und später in Tscheljabinsk aufgehalten habe, dass er Interviews geführt, also gearbeitet habe. Latz unterschreibt sie.

Es ist eine Art Schuldeingeständnis. Damit haben die Behörden einen perfekten Vorwand, ihn auszuweisen. „Ich hatte Angst, die haben mir auch implizit gedroht", sagt er. „Man hätte mich festnehmen können."

Am nächsten Tag muss Latz sich noch einmal auf die Polizeiwache begeben. Die Sache scheint erledigt. Er muss raus aus Russland, er hat unterschrieben. Er ist jedoch aufgewühlt, möchte nicht still sein. Einem Radiosender gibt er ein Interview, der Fall wird zum Stadtgespräch in St. Petersburg. Für Latz ist das eine Genugtuung, schließlich hat er sich in der Stadt wohlgefühlt und will eigentlich nicht weg, schon gar nicht so.

Im August 2018 war Latz zum Studieren von Berlin nach Russland gezogen. Im ersten Semester absolvierte er einen Russischsprachkurs, im zweiten widmete er sich seiner Abschlussarbeit - und sammelte dafür auch Material, das er in seinem Beitrag in der „Jungle World" verwendete. Nach Russland aber reiste er als Student, nicht als Journalist, eine Presseakkreditierung hat er nicht. „Wo beginnt denn journalistische Arbeit?", fragt er. „Interviews zu führen sollte keine Straftat sein."

Nach seinem Radiointerview wird er auf der Straße angesprochen, Fremde und Mitstudenten machen ihm Mut. Als er vor seiner Ausreise zum Wohnheim geht, bleiben die Jugendlichen auf dem Sportplatz in der Nähe plötzlich stehen. Er hatte immer mal wieder mit ihnen Fußball gespielt. Sie applaudieren ihm, zeigen ihm ihre Anerkennung.

„Ich habe so viel Positives erlebt", sagt er. Er ist nach der Aufregung froh, nach Berlin zurückzukommen. Dort wird sich in den nächsten Tagen die FU mit seinem Fall beschäftigen. Latz hält deutsch-russischen Austausch für wichtig, er wünscht sich aber, dass seine Universität sich den Partnerschaftsvertrag noch mal ansieht, damit andere Studenten in Zukunft nicht in eine ähnliche Situation geraten wie er.

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