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Europawahl: In Osteuropa siegen auch die liberalen Parteien

Robert Biedron, Chef der linksliberalen polnischen Partei Wiosna jubelt nach der Verkündung des Ergebnisses der Europawahl.

Osteuropa gilt vielen als Hort von Autokraten und Nationalisten. Aber die Europawahl hat gezeigt, dass das so nicht stimmt. EU-freundliche Parteien, die Demokratie und Rechtsstaat verteidigen wollen, sind in vielen Ländern die wahren Sieger der Wahl.

Von Philipp Fritz und Boris Kalnoky


Robert Biedron wirkt erleichtert, als er den Ausgang der EU-Wahlen kommentiert: „Wir haben es geschafft", sagt er. „Wir sind die dritte politische Kraft in Polen. Ich danke euch." Der Chef der neuen linksliberalen Partei Wiosna (Frühling) kann zwar nur auf ein Ergebnis von sechs Prozent blicken, er hat damit weniger Stimmen erhalten, als Beobachter vermutet hatten.

Aber gerade bei vielen jungen Polen ist Biedron beliebt. Auch die KE (Europakoalition), ein Bündnis mehrerer Oppositionsparteien, darunter die Bürgerplattform (PO), konnte ein gutes Ergebnis erzielen. Sie holte 38 Prozent der Stimmen. KE und Wiosna sind explizit EU-freundlich - und verteidigen die Demokratie, den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung. Sie konnten insgesamt 44 Prozent der Polen hinter sich vereinen.

Zwar kamen die EU-Skeptiker von der Regierungspartei PiS - zusammen mit zwei kleinen rechtsextremen Parteien - auf 53 Prozent. Aber das Bild von Osteuropa als Hort der Autokraten und Populisten ist ein westeuropäisches Klischee. Die Wahrheit - so zeigten diese Wahlen - ist deutlich differenzierter: In vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks haben Parteien, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzen, überraschend gut abgeschnitten, von Estland über die Slowakei bis Rumänien.

Beispiel Slowakei. Das dortige Ergebnis knüpft an den Sieg der liberalen Antikorruptionsaktivistin Zuzana Caputova bei den Präsidentschaftswahlen im März dieses Jahres an. Die EU-freundlichen Parteien PS (Fortschrittliche Slowakei) und die liberal-konservative Spolu (Bürgerdemokratie) holten 20 Prozent der Stimmen. Sie liegen damit vor der Smer-Partei von Robert Fico - gegen dessen Regierung die Menschen in dem Land auf die Straße gegangen waren, nachdem der slowakische Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte ermordet worden waren. Rechtspopulisten spielen in der Slowakei derzeit nur eine untergeordnete Rolle.

Auch in Ungarn, wo die Fidesz-Partei von Viktor Orbán stärkste Kraft wurde, ist viel in Bewegung. Die stärkste Oppositionskraft, die Demokratische Koalition von Ex-Premier Ferenc Gyurcsany, holte dort überraschend 16 Prozent der Stimmen. Er hatte mit einem explizit europafreundlichen, liberalen Programm geworben - mit Erfolg. Die neue gegründete liberale, moderne Partei Momentum schaffte es zudem aus dem Stand auf zehn Prozent. Bislang fand sie nur bei gebildeten jungen Menschen in Budapest Zuspruch, konnte nun aber auch in anderen Großstädten zulegen.

In Rumänien gewann die PNL von Präsident Klaus Johannis. Johannis hatte das Profil der Partei geändert - die einst für Korruption anfällige Gruppierung ist nun explizit demokratisch und proeuropäisch. Die Partei holte 26,8 Prozent. Die liberale Partei URS-Plus kam außerdem auf 21,4 Prozent. Sie nennt sich „öko-bürgerlich" - eine Bewegung der urbanen Eliten.

Die regierenden Sozialdemokraten landeten nur bei 23,4 Prozent. Sie planen gerade eine „Justizreform" - ein kaum kaschierter Angriff auf die Gewaltenteilung, der Korruption deutlich erleichtern würde. Die Rumänen stimmten parallel zur Europawahl in einem Referendum, das Präsident Klaus Johannis initiiert hatte, über diese Reform ab.

In Litauen fanden neben der Europawahl auch die Präsidentschaftswahlen statt. Angetreten waren in einer Stichwahl zwei Proeuropäer der politischen Mitte: Gitanas Nauseda setzte sich mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gegen die ehemalige Finanzministerin Ingrida Simonyte durch. In Litauen besteht über die Parteigrenzen hinweg Einigkeit in Sachen Europa. Auch stehen die Parteien bei allen politischen Unterschieden fest auf dem Boden der liberalen Demokratie.

Ähnlich proeuropäisch und demokratisch ist die Situation in Estland und Lettland, den beiden anderen baltischen Staaten. Auch weiter südlich, in Slowenien, verdoppelte die liberale Partei ihre Stimmen von acht auf 16 Prozent. Die Parteienlandschaft in Osteuropa ist 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges oft nicht leicht zu fassen mit herkömmlichen Begriffen.

Liberal heißt nicht unbedingt liberal

So sind die Parteien, die in Osteuropa für die liberale Demokratie und für die europäische Einigung kämpfen, nicht zwingend Mitglieder der liberalen ALDE-Fraktion im Europaparlament. Andersherum gibt es auch ALDE-Mitglieder, deren liberal-demokratische Gesinnung zumindest eher zweifelhaft erscheint.

Die Partei Ano des tschechischen Premierministers Andrej Babis etwa, die erneut deutlich stärkste Kraft in dem Land wurde. Sie legte im Vergleich zu 2014 nochmals deutlich zu und kam auf 21 Prozent der Stimmen. Der oft mit Italiens Silvio Berlusconi verglichene Unternehmer Babis ist wirtschaftsliberal - bedient sich aber ansonsten gern pauschaler Sündenbock-Rhetorik gegenüber Brüssel - und behält die Belange seines Firmenimperiums immer gut im Auge.

Im Zweifel ist auch in Tschechien die liberal-demokratische ODS die Partei, die für Rechtsstaat und Demokratie kämpfen würde. Sie landete auf dem zweiten Platz mit 15 Prozent. Gefolgt von einer Partei, die der überraschende Favorit der jungen urbanen Eliten war. Weil offenbar keine grüne oder liberal-moderne Partei zur Auswahl stand, wählten 14 Prozent der Tschechen - die Piraten.

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