Das Hafergebäck sehe scheußlich aus, sagt Krystyna Zachwatowicz-Wajda. „Aber es ist köstlich, bedienen Sie sich, bitte." Es ist der einzige Satz der 88-Jährigen an diesem Tag, der als Plauderei durchgehen könnte. Für die leichten Themen interessiert sie sich nicht. Die Schauspielerin, Regisseurin und Witwe der polnischen Filmlegende Andrzej Wajda ist gekommen, um die Wahrheit zu verteidigen und das Werk ihres Mannes zu erklären.
Fordernd lehnt sie sich nach vorne und erzählt erst mal davon, was für belanglose, „dumme Fragen" ihr einmal ein französischer Journalist gestellt habe. So etwas Flaches wolle sie nicht noch mal hören. Sie bestimmt jetzt also, in welche Richtung das Gespräch geht.
„Ich kann dem, was die Regierung mit dem Namen von Lech Walesa macht, einfach nicht zustimmen", sagt sie, „unserem Helden, der es geschafft hat, Polen ohne Blutvergießen in die Unabhängigkeit zu führen." Zachwatowicz-Wajda spricht über den Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarnosc, Friedensnobelpreisträger und ehemaligen Präsidenten Lech Walesa.
Polnische Regierungsmedien verunglimpfen Lech WalesaSeit dem Wahlsieg der nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) 2015 verunglimpfen regierungsnahe Medien ihn als jemanden, der mit den Kommunisten gemeinsame Sache gemacht habe, als internen Mitarbeiter des Sicherheitsapparats, kurz: „Bolek". Die Namen der „Regierenden" nennt Zachwatowicz-Wajda nie. Aber sie hat vor allem Jaroslaw Kaczynski im Sinn, den mächtigen Parteichef der PiS und Intimfeind von Lech Walesa.
Die Solidarnosc-Ikone Walesa kennt sie persönlich gut, sie und ihr Mann Andrzej haben nie verhehlt, dass sie mit ihm und denjenigen sympathisieren, die heute in der Opposition sind. 1989 gelangte Andrzej Wajda sogar für eine kurze Zeit als Abgeordneter für das sogenannte Bürgerkomitee der Solidarnosc in den Senat. Auch später setzte er sich für eine politische Seite ein, unterstütze die liberal-konservative PO (Bürgerplattform) gegen die PiS.
„Mein Mann hatte vor seinem Tod eine Vorahnung, dass sich Polen nicht in eine gute Richtung entwickeln werde", sagt Zachwatowicz-Wajda. „Er war in Sorge wegen der Nähe der PiS zu nationalistischen Bewegungen, ihrer ‚Sprache des Hasses' - immerhin hatte er den Krieg überlebt, erinnerte sich an den deutschen Faschismus und polnischen Nationalismus." Er habe, so Zachwatowicz-Wajda weiter, Hoffnung gehabt, dass Deutschland und Polen so etwas nicht mehr erleben müssen.
„Andrzejs Befürchtungen sind wahr geworden"Wajda starb am 9. Oktober 2015, wenige Tage vor den Parlamentswahlen. Wie die PiS Stimmung gegen den politischen Gegner oder Flüchtlinge machte, mit den Ängsten der Wähler spielte, ist ihm nicht entgangen. Zachwatowicz-Wajda indes ist nun Zeugin, wie die Nationalkonservativen das Polen, für das auch sie gestritten hat, abschaffen: Fernseh- und Radioanstalten bauen sie zu Propagandainstrumenten um, schränken die Unabhängigkeit der Gerichte ein, weswegen die Warschauer Regierung in einem Dauerkonflikt mit der EU steckt. „Andrzej wäre entsetzt, seine Befürchtungen sind wahr geworden", sagt Zachwatowicz-Wajda.
Die Worte der alten Dame wiegen schwer, denn sie und ihr Mann sind polnische Ikonen, mit ihrem Leben und Werk stehen sie für die komplizierte und blutige polnische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Deswegen hat es bisher niemand gewagt, Zachwatowicz-Wajda oder Andrzej Wajdas Erbe anzugreifen. Die Propaganda in Gestalt des Staatsfernsehens TVP ist dafür bekannt, unliebsame Künstler oder Oppositionspolitiker in seinen Beiträgen herabzuwürdigen. Das berühmte Ehepaar aber scheint tabu zu sein.
Vor der Obrigkeit hat Zachwatowicz-Wajda ohnehin keine Angst. Sie hat in ihrem bewegten Leben schon ganz andere Dinge gesehen. Als 13-jähriges Mädchen nahm sie am Warschauer Aufstand teil - und überlebte. Als die Deutschen ihn niederschlugen, zerstörten sie fast die gesamte Stadt. Dann, im kommunistischen Polen, machte sie eine Karriere als Bühnenbildnerin. Mit seinen Filmen schaffte ihr Mann später immer wieder einen Spagat zwischen den Zensurbehörden und Systemkritik - sie an seiner Seite.
Die Witwe spricht wie eine junge Frau, die keine Zweifel kenntHeute sitzt Zachwatowicz-Wajda in einem Hinterraum des Nationalmuseums in Krakau. Ganz in Schwarz gekleidet, spricht sie mit der Kraft und Bestimmtheit einer jungen Frau, die noch keine Zweifel kennt. Elegant und Ehrfurcht einfordernd. Nur wenn sie gestikuliert, ihre Hände hebt, die etwas zittern, dann merkt man ihr ihr Alter an.
Gerade hat hier, in dem Gebäude, das den Deutschen während ihrer Besatzung nach 1939 als Kasino diente, die große Ausstellung über das Leben und Lebenswerk ihres Mannes eröffnet. Die Plakate hängen in der ganzen Stadt. Es ist auch ihre Ausstellung, ihr Leben. Schließlich war Zachwatowicz-Wajda ab 1974 mit dem Regisseur verheiratet, der neben Krzysztof Kieslowski und Roman Polanski zu den drei international bekanntesten polnischen Filmemachern des 20. Jahrhunderts zählt.
Aber schon davor spielte sie in seinen Filmen, wie 1961 in „Samson", einem Drama über das Warschauer Getto. Zachwatowicz-Wajda hatte Einfluss auf das Werk ihres Mannes, war ihm Inspiration und Kritikerin. „Wir hatten nie Urlaub", erzählt sie. „Selbst wenn wir ausspannten, redeten wir über gemeinsame Film- und Theaterprojekte."
Wajdas Filme waren schon zu seiner Lebenszeit KulturgutDeren Geschichte in Verbindung mit Wajdas Leben lässt sich nun in Krakau besichtigen. Es ist eine multimediale Überwältigungsschau: Drei Jahre lang haben deren Macher Originalexponate aus Wajdas Privatbesitz und Utensilien von Filmsets zusammengetragen, haben sie mit Interviews und anderen Filmschnipseln in Verbindung gesetzt und so einen Bogen über dessen Gesamtwerk gespannt.
Und das ist gewaltig: Ab 1951 bis zu seinem Tod 2015 drehte er fast jedes Jahr einen Film. „Zum Glück war Wajda so rastlos", sagt Tomasz Wojcik, der die Räume der Ausstellung entworfen und die Exponate zusammengestellt hat. „Wajda hat sich für wenig mehr interessiert als für seine Arbeit. Das Berufliche und das Private sind also eins. Wir mussten keine zwei Welten voneinander trennen", sagt er.
In Polen waren Wajdas Kassenschlager bereits zu Lebzeiten dergestalt Kulturgut, dass viele daraus zitieren konnten, manchmal ohne zu wissen, woher das Gesagte stammt. Es gibt Szenen, die heute noch jedes Kind kennt, ohne sie je gesehen zu haben. Eltern haben sie nacherzählt, die Jüngeren zugehört.
Jeder kennt Zbigniew Cybulskis hysterisches Lachen„Asche und Diamant" aus dem Jahr 1958 bietet so eine Szene. Jeder weiß, wie der Schauspieler Zbigniew Cybulski aussieht, wenn er in hysterisches Gelächter ausbricht, wenn sein Nebenmann ihm mit einem Wodka zuprostet und sagt: „Wir leben noch."
Gewalt, das Ende des Weltkriegs, wie in „Asche und Diamant" und das oft tragische Schicksal Polens sind die immer wieder bestimmenden Themen in Wajdas Filmen, genauso nationale Mythen. Eigentlich ist das etwas, auf das sich eine Gesellschaft einigen kann. Aber taugen Wajdas Filme, vielleicht sogar diese monumentale Ausstellung, um die Anhänger und Gegner der aktuellen Regierungspolitik zu versöhnen?
„Auf keinen Fall", sagt Zachwatowicz-Wajda. An eine Versöhnung der gespaltenen Gesellschaft unter dieser Regierung glaubt sie nicht. Die Witwe ist stolz darauf, dass Polen nach 1989 ein gewaltloser Wandel gelungen ist und dass man die alten kommunistischen Eliten nicht einfach vom Hof gejagt, sondern den Wandel mit ihnen gestaltet hat.
Jedoch ist es genau das, wofür die PiS, wie Zachwatowicz-Wajda sagt, „Rache" nehmen möchte. Der Kompromiss mit den Kommunisten am Runden Tisch war für die Partei der Geburtsfehler des demokratischen Polens. So behaupten ihre Mitglieder, dass polnische Gerichte bis heute von Kommunisten durchsetzt seien, die Begründung für die umstrittene Justizreform.
Bei Wajda waren Polen nicht nur Opfer oder HeldenVielleicht aber eignet sich Wajdas Werk aus Sicht der PiS auch aus einem anderen Grund nicht als gemeinsamer Nenner: Zwar war der Regisseur ein Patriot, hat gerne Heldengeschichten erzählt, diese waren aber immer nuanciert und vielschichtig.
In „Samson" zum Beispiel geht es auch um polnischen Antisemitismus - ein besonders sensibles Thema für die PiS, die mit der Einführung des IPN-Gesetzes, besser bekannt als Holocaust-Gesetz, Aussagen, Polen hätten sich am Völkermord beteiligt, unter Strafe stellen wollte. Was folgte, war ein diplomatischer Streit mit Israel.
Für die PiS sind Polen ausschließlich Opfer oder Helden. An dieser Stelle liegt die Partei mit Wajda über Kreuz. In seinen Filmen ist alles komplizierter, so wie Polen ein kompliziertes Land ist. Nirgends wird das gerade besser sichtbar als im Nationalmuseum in Krakau. „Diese Ausstellung macht mich so stolz und so traurig", sagt Krystyna Zachwatowicz-Wajda noch zum Abschied.
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