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Lässt Kim Jong-un seine Arbeitssklaven in der EU schuften?

Offizielle Zahlen gibt es laut polnischen Behörden nicht, aber Schätzungen zufolge arbeiten 800 Nordkoreaner im Land. | Quelle: picture-alliance/ dpa/ PAP Stefan Kraszewski

Der Vorwurf lastet schwer: Nordkorea soll Zwangsarbeiter auch nach Polen schicken. Die Rede ist von 24-Stunden-Schichten und extrem niedrigen Löhnen. Nun geht ein Nordkoreaner juristisch vor - mit einem Trick.

Fast 400 Meter lang und 70 Meter breit ist das Dock, darüber steht einer der größten Laufkräne der Ostseeküste. In vier Hallen werden hier Teile für Containerschiffe und Offshore-Windparks gefertigt, meist für das westeuropäische Ausland. Die Firma Crist im polnischen Gdynia scheint wirtschaftlich gut dazustehen. Auch, weil sie 37 Millionen Euro aus Brüssel bekommen hat. Das Geld stammt aus einem Fond, der Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen schaffen soll.

Was den Beamten in Brüssel wohl entgangen war: Nicht alle, die hier arbeiten, sind möglicherweise freiwillig hier.

Über ein umständliches Konstrukt über Subunternehmen und Leiharbeitsfirmen waren hier allem Anschein nach Arbeitskräfte aus Nordkorea im Einsatz. Und zwar zu niedrigen Löhnen und unter menschenunwürdigen Bedingungen. Nordkoreaner, die unter sklavenähnlichen Bedingungen im Ausland arbeiten: So etwas ist aus Russland oder China bekannt - findet aber auch mitten in der EU statt, wie das Beispiel Polen zeigt.

Doch jetzt gibt es Widerstand. Erstmals hat sich nun ein Nordkoreaner, der angibt, in der Werft in Gdynia gearbeitet zu haben, an eine Anwältin gewandt. Er behauptet, das Regime in Pjöngjang habe ihn nach Polen geschickt - wo er gezwungen wurde, zwölf Stunden am Tag unter unwürdigen Bedingungen in der Werft von Crist zu arbeiten. Was das bedeutet, zeigt ein anderer Fall aus dem Jahr 2014.

Damals kam der Schweißer Chon Kyongsu bei Crist ums Leben. Er trug keinen feuerfesten Schutzanzug, ein Funke sprang über, er verbrannte bei lebendigem Leib. Die polnischen Ermittlungen lenkten zwar Aufmerksamkeit auf die Werft, sie bestätigten die Vermutungen, die Nordkoreaner würden unter unwürdigen Bedingungen arbeiten. Belangt wurde aber niemand. Denn offiziell war Chon Kyongsu nicht von Crist angestellt. Die polnische Justiz hatte keinen Zugriff.

Nun gibt es einen weiteren Fall. Der Mann, der jetzt aussagt, könnte etwas in Rollen bringen. Treffen kann man ihn nicht, auch sein Name ist nicht bekannt. „Aus Sicherheitsgründen kann ich nichts über den Aufenthaltsort des Nordkoreaners sagen", erklärt dessen Anwältin Barbara van Straaten WELT.

Sie ist Anwältin in den Niederlanden und gibt sich sehr bedeckt. Nicht nur der lange Arm des nordkoreanischen Regimes stellt eine Bedrohung dar, auch die polnischen Behörden haben sich in der Vergangenheit bei der Aufklärung vergleichbarer Fälle nicht unbedingt kooperativ gezeigt.

Auf der einen Seite stehen polnische Unternehmen, für die Nordkoreaner billige Arbeitskräfte sind. Auf der anderen das Regime in Pjöngjang. Für das sind die Zwangsarbeiter eine willkommene Geldquelle. Laut Schätzungen der UN nimmt Nordkorea jährlich 1,2 bis 2,3 Milliarden Dollar ein, indem es seine eigenen Leute im Ausland auf Plantagen oder in Fabriken zumeist schwere körperliche Arbeiten tun lässt. Der Professor für Korea-Wissenschaften Remco Breuer spricht von „moderner Sklaverei".

Polnische Behörden fühlen sich nicht zuständig

Weltweit sollen in mehr als 40 Ländern 50.000 Nordkoreaner unter teils noch grausameren Bedingungen arbeiten. Für Nicht-EU-Bürger stellt Polen fünf verschiedene Formen von Arbeitserlaubnissen aus, keine länger als drei Jahre, es sei denn, sie wird vom Arbeitgeber verlängert. Es ist daher nicht einfach zu sagen, wie viele Nordkoreaner sich derzeit in Polen aufhalten. Allein im Jahr 2015 wurden 466 Erlaubnisse ausgestellt.

Ob diese Personen ausgereist sind? Auf eine Anfrage von WELT antwortete die polnische Ausländerbehörde, dass sie für Nordkoreaner nicht zuständig sei. Experte Breuer vermutet, dass heute bis zu 800 in polnischen Betrieben arbeiten. Auch wenn diese Zahl im Vergleich zu mehreren Tausend Arbeitern in China gering ist, so ist Polen aus Sicht Pjöngjangs dennoch wichtig. Die Gehälter sind nämlich höher.

Die Chancenstehen gut, dass es zu einem Prozess kommt und so mehr über die Bedingungen, unter denen nordkoreanische Zwangsarbeiter in Polen ihren Dienst verrichten, bekannt wird. Dieser fände vor einem niederländischen Gericht statt, denn die Anklage richtet sich in erster Linie gegen ein niederländisches Unternehmen, dem Crist zugeliefert haben soll. Dessen Namen rückt van Straatens Amsterdamer Kanzlei Prakken d'Oliveira nicht raus.

Die polnischen Strafverfolgungsbehörden haben in der Vergangenheit bereits Fälle, in die Nordkoreaner involviert waren, nicht aufgeklärt. Mangelndes Vertrauen in die polnischen Behörden dürfte ein Grund sein, warum van Straaten und ihr Mandant sich für einen Umweg entschieden haben und gegen ein Unternehmen klagen wollen, das indirekt von der Zwangsarbeit profitiert und nicht direkt, so wie Crist.

Insgesamt gibt es nur wenige Berichte, die Auskunft über die Arbeitsbedingungen von Nordkoreanern im Land geben. Der detaillierteste wurde 2016 von Wissenschaftlern des Asien-Zentrums im niederländischen Leiden unter Federführung von Korea-Experte Breuer vorgelegt.

In den Jahren 2017 und 2018 wurden Folgeberichte publiziert. Das Team aus Leiden hat es geschafft, vor Ort in Polen im Geheimen Interviews mit nordkoreanischen Arbeitern zu führen. Aus Sorge um deren Sicherheit und die ihrer Familien in Nordkorea wurden sie anonym zitiert.

Sie geben einen Einblick in eine Lebensrealität, die nicht mit europäischen Arbeitsstandards vereinbar ist und beweisen, dass polnische Behörden offenbar nicht in der Lage oder bereit sind, diese durchzusetzen.

So können sich die Nordkoreaner nicht frei im Land bewegen, sie pendeln lediglich zwischen ihrem Arbeitsplatz, Schiffswerften wie Crist, einer weiteren im westpolnischen Szczecin oder Erdbeerfeldern, und ihrer Gemeinschaftsunterkunft. Dort erhalten sie von Regimevertretern „ideologischen Unterricht", werden auf Diktator Kim Jong-un eingeschworen. Alles abgeschirmt von der Außenwelt.

Angeblich Schichten von 24 Stunden am Stück

An sechs Tagen in der Woche arbeiten sie je zwölf Stunden oder länger. Es ist sogar die Rede von 24 Stunden Arbeit ohne Pause, ohne Schlaf. Die Nordkoreaner bekommen nur ein sehr geringes Gehalt, um sich verpflegen zu können, der größte Anteil geht an das Regime in Pjöngjang, ein kleiner an die Familien daheim. Diese werden sozusagen als Geiseln gehalten. Wenn die Nordkoreaner in Polen nicht liefern, werden ihre Angehörigen bestraft, ihnen droht etwa die Einlieferung in ein Arbeitslager.

„Um das klar zu stellen: Wir haben nie nordkoreanische Arbeiter beschäftigt", sagt dazu Tomasz Wrzask, PR-Manager bei Crist, zu WELT. „Vor einigen Jahren haben wir mit dem Subunternehmer Armex zusammengearbeitet, der auf Stahlarbeiten spezialisiert war", so Wrzask weiter. „Die haben mit vielen Unternehmen zusammengearbeitet, auch mit unserer Werft. Die haben die Nordkoreaner eingestellt."

Das polnische Unternehmen Armex hat 2014 tatsächlich nordkoreanische Schweißer vermittelt. Es war eines von zwei Unternehmen, die die Verteilung von nordkoreanischen Arbeitern über polnische Werften übernommen haben. Wrzask beruft sich darauf, dass Armex alle notwendigen Dokumente vorlegen konnte und es so keinen Grund gegeben habe, misstrauisch zu sein: „Es ist merkwürdig, dass also unser Firmenname von der Presse erwähnt wird, aber nicht der der niederländischen Firma. Das sind doppelte Standards."

Anwältin van Straaten betont, dass es ihr nicht um Crist gehe. „In der Vergangenheit wurde bereits über Nordkoreaner und darüber berichtet, wie sie in polnischen Werften ausgenutzt werden, auch bei Crist", sagt sie. „Es geht hier um die schrecklichen Arbeitsbedingungen von Nordkoreanern in Polen und konkret um den Fall meines Mandanten."

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