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"Wichtigste Kommunalwahlen unseres Lebens"

Rafal Trzaskowski, der für die liberalkonservative PO als Stadtpräsident von Warschau antritt, ist bei den Linken ebenso verhasst wie bei der PiS. In den Umfragen liegt er dennoch vorn | Quelle: Reuters

Richtungsweisender Sonntag in Polen: Bei den Kommunalwahlen will die nationalistische Regierungspartei PiS ihre Macht ausbauen und sich widerspenstiger Regionalfürsten entledigen. Für die Opposition wird der Tag zur Schicksalswahl.

Unübersehbar dominiert der Kulturpalast das Stadtzentrum Warschaus. 237 Meter ragt der sozialistische Bau in den Himmel. Doch zu seiner Ostseite hin: Betonwüste. Ein riesiger, weitgehend leerer Platz, auf dem vereinzelt Parkflächen eingerichtet wurden.

Für viele Warschauer ist das seit Jahren schon ein Ärgernis. Was könnte hier nicht alles entstehen? Ein Park, Hochhäuser oder ein verdichtetes Viertel mit Altstadtfassaden. Ideen sind da, aber niemand packt es an.

Da steht auf jenem Platz Patryk Jaki, Kandidat der nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) für das Amt des Stadtpräsidenten von Warschau.

Am 21. Oktober finden in Polen Kommunalwahlen statt. Landauf, landab werden Stadträte, Bürgermeister, Stadtpräsidenten und die 16 Regionalparlamente, die Sejmiki, gewählt. Sie entscheiden etwa in Bildungsfragen oder vergeben Baugenehmigungen, kurz: Ihr Einfluss ist da groß, wo der der Zentralregierung endet.

Jaki präsentiert bei seinem Auftritt neben dem Kulturpalast Schaubilder, die das Gebäude umrahmt von einem grünen Gürtel und moderner Architektur zeigen. „Das werden wir umsetzen", sagt er selbstbewusst.

Der 33-Jährige mit dem freundlichen Lächeln spricht gerne von Bauplänen. Vor allem Brücken und Metro-Linien hat er im Programm. Er fliegt auch mal mitten im Wahlkampf medienwirksam nach Sofia oder Madrid, um sich von den dortigen Verwaltungen Tipps zu holen, wie es mit dem öffentlichen Nahverkehr besser laufen kann.

Für die PiS steht viel auf dem Spiel

Lange sah es so aus, als könnte Jaki mit diesem Aktivismus Warschau für die PiS gewinnen. Keine Selbstverständlichkeit. Denn die Regierungspartei des mächtigen Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski, die seit 2015 eine absolute Mehrheit im Sejm, dem polnischen Parlament, innehat, die das Staatsfernsehen kontrolliert und die sich wegen ihrer Justizreform mit Brüssel anlegt, diese Partei hat es traditionell in den großen Städten des Landes schwer.

Bei den vergangenen Kommunalwahlen 2014 konnte die PiS lediglich in einem Regionalparlament, in der Woiwodschaft Karpatenvorland im äußersten Südosten Polens, die absolute Mehrheit der Sitze gewinnen, in vier weiteren die relative.

In Großstädten wie Wroclaw, Poznan oder Gdansk regieren progressive Stadtpräsidenten und sogar in der Mittelstadt Slupsk im Nordwesten sitzt mit dem bekannten offen schwulen Robert Biedron ein Kritiker der Nationalkonservativen im Rathaus.

Für die PiS wie die Opposition steht viel auf dem Spiel. Die Regierungspartei möchte ihre Macht ausbauen und sich widerspenstiger Regionalfürsten entledigen; die Opposition, in erster Linie die liberal-konservative PO (Bürgerplattform), muss zeigen, dass sie Kommunen halten kann und dass überhaupt noch mit ihr zu rechnen ist.

„Wichtigste Kommunalwahlen unseres Lebens"

In den vergangenen drei Jahren hat sie eine beinahe sozialdemokratische Verzwergung erfahren, wohingegen die PiS in nationalen Umfragen gut dasteht. Gerade erst sagte der Chefredakteur des polnischen Nachrichtenmagazins „Newsweek", Tomasz Lis, in einem Wahlaufruf, dass am Sonntag die „wichtigsten Kommunalwahlen in unserem Leben" stattfinden werden. Kleine Brötchen sind das nicht.

Das Ganze ist demnach auch ein Lackmustest mit Blick auf die Parlamentswahlen im nächsten Jahr. Wie kann die PO sich behaupten? Die Ausgangslage in den Gemeinden immerhin ist gut, Warschau jedoch ist die am härtesten umkämpfte Großstadt.

Rafal Trzaskowski eilt von Termin zu Termin. Wirkte er in seiner Kampagne vor einigen Wochen noch arrogant und selbstgewiss, ist er auf den letzten Metern zu Hochform aufgelaufen.

Das spiegelt sich in der neusten Umfrage für die oppositionelle Zeitung „Gazeta Wyborcza". 42 Prozent der Befragten würden dem Kandidaten der gemeinsamen Liste der PO und der Partei Nowoczesna (Moderne) für das Amt des Warschauer Stadtpräsidenten ihre Stimme geben, Patryk Jaki bekäme bloß 31.

Gerade steht Trzaskowski im Warschauer Stadtzentrum vor dem Amtssitz des Premierministers, umringt von Presseleuten, und teilt gegen die PiS aus. Er ist selten länger als zehn Minuten an einem Ort, dann geht es weiter, woanders Bürger treffen, Hände schütteln. Er reicht Interessierten Flyer oder beißt genüsslich in einer Markthalle vor einem Obststand in einen Apfel. Wenig später finden sich die Szenen online, zum Beispiel auf Twitter.

Gerade die Jungen nehmen Trzaskowski die angebliche Volksnähe nicht ab. Er gilt als das kleinere Übel. Er stammt aus Warschau, kam allerdings 2015 für die PO auf einem Krakauer Listenplatz als Abgeordneter in den Sejm. Dem 46-jährigen ehemaligen Staatssekretär, der auch in Oxford studiert hat, hängt der Ruf des Elitären an.

Jaki lässt Parteilogo von Wahlplakaten entfernen

Ganz anders Patryk Jaki. Zwar ist er derzeit stellvertretender Justizminister und schon lange in der Politik aktiv, er hat es aber trotzdem geschafft, sich nahbar als „der Typ von nebenan" zu inszenieren. Was ihm dafür wiederum kaum jemand abkauft, ist sein Versuch, sich bürgerlicher und weltoffener zu geben.

2014 noch sagte er als Abgeordneter, in Warschau sei kein Platz für Homosexuelle. Heute spricht er von „einem Warschau für alle Menschen". Unvergessen ist, dass er in seiner Heimatstadt Opole im Süden Polens in der nationalistischen Fußballfanszene aktiv war, bevor er in die PiS eintrat.

Zur Partei möchte er sich aktuell übrigens nicht so richtig bekennen. Ihr Logo ist von Jakis Wahlplakaten verschwunden. Die Warschauer wählen in der Regel progressive Kandidaten. Das weiß Patryk Jaki.

Jaki führe, so PO-Kandidat Trzaskowski gegenüber WELT, die Warschauer an der Nase herum. „Heute etwa sagt er, er sei für Impfungen. Noch vor einem Jahr aber war er ein Gegner der Impfpflicht." Zuletzt sammelten Impfgegner 120.000 Stimmen, womit die Frage, ob Impfungen für Kinder verpflichtend sein sollen, im polnischen Parlament debattiert werden musste. Patryk Jaki stand WELT nicht für ein Interview zur Verfügung. Weder er noch sein Stabschef reagierten auf Anfragen.

In Warschau wird es den aktuellen Zahlen nach - wie in vielen anderen polnischen Städten auch - zu einer Stichwahl kommen. Kein Kandidat wird am Sonntag mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Neben Jaki und Trzaskowski treten in Warschau zwölf weitere Kandidaten an.

Der Drittplatzierte allerdings, der linke Politiker und Stadtaktivist Jan Spiewak, kann höchstens mit fünf Prozent rechnen. Das heißt, dass am 4. November die beiden mit den meisten Stimmen noch mal gegeneinander antreten.

Die Frage ist, wie diejenigen, die sich einem dritten politischen Lager zurechnen, dann wählen werden. Denn unter polnischen Linken ist die PO teils so verhasst wie die PiS. Auch wenn Trzaskowski im Augenblick um acht Prozent vorne liegt, ist ihm das Amt des Stadtpräsidenten also noch nicht sicher.

Die PiS wird alles daran setzen, Stimmen in den Städten zu gewinnen. Für die Opposition ist es eine Schicksalswahl. Die kommunale Ebene ist das letzte Feld in Polen, auf dem sie in Führung liegt.

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