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Lego für Erwachsene

Lego für Erwachsene

Die Idee ist bestechend. Wenn Architekten, Fachplaner und ausführende Firmen anhand eines digitalen, dreidimensionalen Gebäudemodells zusammenarbeiten, sparen alle Zeit und Kosten. Gibt es Änderungen, sind diese sofort für Planer und Gewerke sichtbar.

Soweit die Theorie des Building Information Modelling (BIM). Doch in der Praxis tut man sich hierzulande noch immer schwer damit. Die bauteilorientierte Methode wird zwar durch Vorgaben für Großprojekte politisch gefördert. Doch jenseits der Konzerne tasten sich Baufirmen nur zaghaft in die 3D-Welt vor. Der Holzbau hat gegenüber der Betonfraktion in Sachen BIM eigentlich einen Vorsprung: Weil CAD-Programme schon länger die Daten für den CNC-Abbund liefern, gibt es in der Branche viel Erfahrungen mit dem Konstruieren in 3D. Und das Hantieren mit geometrischen Formen ist ein Kernelement der bauteilorientierten Methode.
Zum Standard in Holzbau-Betrieben zählt BIM dennoch nicht. Eine Ausnahme ist die Zimmerei Sieveke. Seit mehr als dreißig Jahren arbeitet die Firma digital in 3D. Zunächst bei Konstruktion und Fertigung, inzwischen basieren auch Angebot, Einkauf und Montage darauf. „Im operativen Bereich arbeiten bei uns alle mit objektorientierten Projektmodellen“, erklärt Christian Buhr. Der Vorteil: „Materialmengen, Preise und Bauzeit fließen präzise in unsere Kalkulation ein“, sagt der Geschäftsführer des auf Fassaden spezialisierten Unternehmens.
Know how, Software und leistungsstarke Computer sind vorhanden. Dennoch kann die Firma aus dem niedersächsischen Lohne längst nicht das ganze BIM-Potenzial nutzen. „In 95 Prozent der Fälle bekommen wir vom Architekten einen zweidimensionalen Plan“, bedauert Buhr. Immerhin nicht mehr auf Papier, sondern meist als PDF-Datei. Die Werte lassen sich auslesen und müssen nicht manuell übernommen werden. Ohne Tücken verläuft diese Informationsweitergabe jedoch nicht: „Wenn der Maßstab nicht stimmt, skaliert man sich einen Wolf“, seufzt der Zimmermann. Das Grundproblem ist aber, dass für jeden Auftrag ein Modell zu zeichnen ist, um es in CAD umsetzen zu können. Dieser Schritt wäre in der perfekten BIM-Welt eigentlich überflüssig, gehört in der Praxis mangels 3D-Vorgaben der Planer aber zum Alltag.
Bekommt Sieveke vom Architekten oder Fachplaner doch einmal ein dreidimensionales Modell, läuft gleichwohl nicht alles reibungslos. „Schwächen zeigen 3D-Modelle von externen Partnern vor allem, sobald es in die Schräge geht“, berichtet Buhr. Und trotz des IFC-Standards für den Datenaustausch hapert es auf der virtuellen Baustelle oft an der Weitergabe von Attributen und Klassen der Materialen. Buhr hofft, das sich derartige Probleme mit der Zeit geben, wenn die Software-Anbieter besser zusammenarbeiten. Bessere Schnittstellen erhofft er sich etwa davon, dass die Programmierer seiner ERP-Software mit ArchiCAD kooperieren.
BIM-Software einkaufen und schon kann man mit loslegen? Insbesondere im Holzbau klappt das nicht. Denn die gängigen Programme sind eher für die Betonbranche ausgelegt. Was eine Zimmerei braucht, ist nicht immer in den Bibliotheken hinterlegt, sondern muss selbst generiert werden. Bei Sieveke wird die Software individuell angepasst. Das bedeutet für Buhr: „Wir müssen jemanden im Haus haben, der Java Script beherrscht. Man braucht Grundlagen im Programmieren.“ Aber auch die Hardware muss passen. Für einen BIM-tauglichen Arbeitsplatz braucht es einen Rechner mit leistungsstarker Grafikkarte der rund 5000 Euro kostet.
Trotz aller Anlaufprobleme ist der 40-Jährige von BIM überzeugt. Wenn er am Rechner durch ein 3D-Modell führt, ist die Begeisterung des Sieveke-Geschäftsführers für die vielen Möglichkeiten zu spüren. Ob OSB, Fermacell, Aluprofile oder Attika – für jedes Objekt in der Fassade sind detaillierte Informationen etwa zu Kosten und Terminen hinterlegt. Damit ist das 3D- eigentlich ein 5D-Modell. So liefert eine bei Sieveke in Ceapoint erstellte Konstruktion nicht nur die Daten für die Abbundmaschinen. Über die Verknüpfung mit einem ERP-Programm dient das Modell auch zur Kalkulation, Angebotserstellung und Abrechnung.
Hinzu kommt die Projektsteuerung: Am Bildschirm wächst im Schnelldurchlauf ein Gebäudeensemble in die Höhe. Teile, die sich noch in der Fertigung befinden, sind hellgrün markiert, was schon montiert ist, leuchtet rotbraun, ein violetter Kreis zeigt den Schwenkbereich des Krans. Auf einen Blick ist so zu sehen, ob alle Arbeitsschritte im Terminplan liegen. „Früher habe ich meinen Plan ausgerollt und mit Buntstiften die einzelnen Schritte markiert, das erledige ich jetzt am Rechner“, erklärt Buhr. Das Ziel des Projektingenieurs ist dabei gleich geblieben: „Ich will Spitzen bei der Arbeit auf der Baustelle vermeiden.“ Nimmt man beim virtuellen Rundgang durch die Benedikt Schule in Hannover mit einem Mausklick die Gipsplatten der Gebäudehülle weg, wird jede Ausfräsung und jeder Zapfen, jedes Loch für die Halterung des Sonnenschutzes sichtbar. Jedes Bauteil hat eine Nummer. „Das einzige, was nicht im Modell eingezeichnet ist, sind die Schrauben“, erklärt der Geschäftsführer. Deren Datenmenge würde die Rechner überfordern, da bei Sieveke von Anfang an mit der höchstmöglichen Auflösung konstruiert wird.
Lego für Erwachsene nennt Buhr die bunten Bauteile in seinem Computer. Nebenan, in den insgesamt 4.000 Quadratmeter großen Werkhallen, verwandeln sich die virtuellen Klötzchen in bis zu 14 Meter lange Gebäudeelemente, die per Schwertransport in die ganze Republik und darüber hinaus gehen. Was die Maschinen geschnitten, gefräst und gebohrt haben, setzen Zimmerer zusammen. Gewerkeübergreifend sorgen Tischler, Schlosser und Maler für Türen, Fenster, Sonnenschutz, Lüftung und andere Haustechnik. „Wir sind spezialisiert auf die 50 Zentimeter Gebäudehülle“ sagt Buhr, der stolz den hohen Vorfertigungsgrad betont.
Sieveke ist einer der größten Fassadenbauer in Deutschland. Verschärfte energetische Vorgaben sorgen für viele Aufträge. Neue Fassaden baut die Firma insbesondere für Schulen und Kitas, Projekte mit bis zu sieben Geschossen wie jüngst bei Berliner Wohnhäusern hat das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rund 12 Millionen Euro schon umgesetzt. Aktuell erfolgt der Abbund für die Sanierung des Verwaltungsgebäudes des Berliner Tierparks. Parallel laufende Aufträge sind unter anderem die Fassaden für ein Wohnheim in Hannover, eine Schule in Oldenburg, ein neues Wohngebäude im nordbayerischen Fürstenfeldbruck. Auf dem Hof stehen Auflieger mit Elementen für ein Studentenwohnheim in Wuppertal bereit. Die Hälfte der Aufträge entfällt auf Neubauten, die andere Hälfte auf das Sanieren im Bestand. Das Aufmaß erfolgt in beiden Fällen millimetergenau per Tachymeter. Die Konstruktionspunkte fließen aber nur bei Großprojekten und bei Neubauten in die BIM-Programme ein. Denn das Sanieren und das Bauen im Bestand ist allzu oft von Überraschungen geprägt. Wenn es ums Anpassen vor Ort geht, nützt das beste Modell nichts.
Dass bei Sieveke schon so lange digital gearbeitet wird, mag auch am fachlichen Hintergrund der Geschäftsführer liegen: Christian Buhrs Vater, ebenfalls Geschäftsführer, hat als Tragwerksplaner gearbeitet, bevor er Mitte der 80er in den Betrieb des Schwiegervaters einstieg. Der Senior ist also mit der Sichtweise der Planer wie der ausführenden Firmen vertraut. Dass beide Seiten künftig enger zusammenarbeiten, wünscht sich auch der Junior: „Wir können die Kosten nur beeinflussen, wenn wir früh eingebunden werden.“ Weil kompetente Holzplaner rar sind, müssten Architekten stärker die Fachkompetenz der ausführenden Betriebe nutzen. Etwa innerhalb eines Bauteams, in dem sich bereits während der Planungsphase Architekt, Fachplaner und Handwerker gemeinsam an einen Tisch setzen, um termin- und kostentreu zu bauen. Kommt bei dieser Zusammenarbeit ein gemeinsames 3D-Modell zum Einsatz, würde das auch BIM in der Praxis voranbringen.